Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Grünen-Chef hält Union für schlagbar
Grünen-Chef Robert Habeck vor dem Parteitag über Corona, Steuererhöhungen und die Kanzlerkandidatur
Berlin. Grünen-Chef Robert Habeck hat den Führungsanspruch seiner Partei nach der Bundestagswahl im nächsten Jahr unterstrichen. Die Union, die in Umfragen derzeit klar vor den Grünen liegt, hält er für schlagbar. Die hohen Zustimmungswerte für CDU/CSU seien ein Zuspruch für die Bundeskanzlerin. „Aber Frau Merkel tritt nicht nochmal an. Mir fällt da eine Geschichte von Jim Knopf ein: Die Union ist ein Scheinriese wie Herr Turtur. Je näher man rangeht, desto kleiner wird sie“, sagte Habeck.
Berlin/Flensburg. Der von seinem Hof bei Flensburg zugeschaltete Robert Habeck erscheint zum Video-Interview, wie man ihn kennt – ziemlich verwuschelt. Am Wochenende darf der Grünen-Chef, der wegen Corona nur wenig Termine machen kann, endlich wieder raus. Nach Berlin. Dort werden die Grünen auf einem aus einer Konzerthalle gesendeten Digital-Parteitag nach 18 Jahren ein neues Grundsatzprogramm beschließen.
Herr Habeck, wenn Sie jetzt Kanzler wären – würden Sie bei Corona auf Gebote oder Verbote setzen?
Robert Habeck: Das ist gar nicht der entscheidende Punkt. Wichtig ist, dass es eine klare, gemeinsame Strategie gibt. Gerade in der Krise braucht es eine ruhige Hand, Vorsorge und Vorausschau. Immer nur kurz vor knapp – das geht meistens schief. Genau das ist in den letzten Monaten passiert: Die Ministerpräsidentenkonferenz war zu lange eine Konkurrenzveranstaltung zwischen Markus Söder und Armin Laschet. In diese Lücke ist dann die Kanzlerin mit ihren Beschlussvorlagen gesprungen. Das ist beim letzten Mal handwerklich danebengegangen. Das muss besser werden.
Wie groß ist die Gefahr, die von den „Querdenkern“ausgeht?
Gefährlich wird es, weil sich offensichtlich Rechtsextremisten, Rechtspopulisten darunter mischen, die die liberale Demokratie schwächen wollen. Sie verdrehen auf perfide Weise die Wirklichkeit, vergleichen unser freies Land heute mit dem Nazi-Regime damals. Das verhöhnt die Opfer und stachelt die Wut gezielt an. Da darf unser demokratischer Staat mit seinem Gewaltmonopol keinen Meter zurückweichen.
Die Grünen geben sich ein neues Grundsatzprogramm. Vieles liest sich sehr staatstragend. Werden die Revoluzzer etwa langweilig?
Gar nicht. Wir sagen nur nicht mehr wie früher, wir finden dies und das doof, sondern wir sagen einfach, was passieren muss. Wir haben sehr klug, wie ich finde, aufgeschrieben, nach welchen Prinzipien sich die Politik grundsätzlich ausrichten muss, damit wir im nächsten Jahrzehnt in einem ökologischen, weltoffenen, modernen und sicheren Land leben können. Noch nie haben wir ein so starkes inhaltliches Angebot gemacht.
Sind Sie für ein bedingungsloses Grundeinkommen?
Ich habe vor zwei Jahren einen Vorschlag für eine Garantiesicherung gemacht. Diese Garantie soll ohne weitere Bedingungen für jeden Menschen gelten, dessen eigenes Einkommen und Vermögen nicht ausreicht. Und die Leute, die sich aktiv um Jobs bemühen, werden besonders gefördert. Ich denke, dass dieses Modell Gerechtigkeit und das Versprechen von Würde am besten verbindet.
Wollen Sie Steuern erhöhen?
Erst mal werden wir Steuerbetrug bekämpfen. Hohe zweistellige Milliardenbeträge gehen dem Fiskus jährlich verloren. Die WarburgBank wäre bei uns nicht für Steuerhinterziehung noch belohnt worden. Noch immer und gegen alle Treueschwüre werden Zinsen und Veräußerungsgewinne niedriger besteuert als Arbeit. Wir wollen, dass die Unternehmen, die von unserer öffentlichen Infrastruktur profitieren – Google, Facebook –, sich aber der Steuer weitgehend entziehen, mehr zur Finanzierung des Gemeinwesens beitragen – durch eine Digitalisierungssteuer. Vermögen bringen soziale Verpflichtungen mit sich. Deshalb meine ich, dass das Aufkommen der Steuern aus Kapitaleinkommen, großen Vermögen und Erbschaften wieder erhöht werden muss.
Definieren Sie reich.
Es geht hier weniger um die abstrakte Definition von Reichtum als um die Frage der Fairness. Einkommensmillionäre jedenfalls sollten höhere Steuern zahlen, als sie es heute tun.
Spricht da schon ein Bundesfinanzminister Robert Habeck?
Wir arbeiten daran, Probleme zu lösen – in allen gesellschaftlich relevanten Bereichen. Wir spekulieren nicht über Ministerien.
Ist die Union, die in Umfragen weit vor den Grünen liegt, schlagbar?
Der hohe Zuspruch für die Union ist der Zuspruch für die Bundeskanzlerin. Aber Frau Merkel tritt nicht noch mal an. Die hohen Umfragen für die Bundeskanzlerin überdecken, dass die inhaltlichen und programmatischen Debatten bei CDU und CSU seit Jahren auf der Strecke bleiben. Mir fällt da eine Geschichte von Jim Knopf ein: Die Union ist ein Scheinriese wie Herr Turtur. Je näher man rangeht, desto kleiner wird sie.
Wann legen sich Frau Baerbock und Sie fest, wer Kanzlerkandidat wird?
„Einkommensmillionäre sollten höhere Steuern zahlen“Robert Habeck
Wir werden im Frühjahr gemeinsam entscheiden, wer von uns beiden am Ende von vorne zieht.