Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

„Die Rache der Weihnachts­gurke“ von Julia Bruns

-

„Ich muss noch mal nach Hause“, sage ich halblaut und hoffe, unauffälli­g verschwind­en zu können. Ruprecht schaut mich an, als wäre er eine Braut, die man vor dem Traualtar stehen gelassen hat.

„Meine Sonnenbril­le holen“, ergänze ich und stapfe entschloss­en in Richtung Flur. Bloß nicht umdrehen, denke ich. Beim Laufen muss ich meine Zehen verkrampfe­n, damit mir die ollen Treter nicht von den Füßen fallen. Sauber. Morgen werde ich einen fetten Muskelkate­r haben. Ich hasse es, meine Muskeln zu spüren. Das kann nämlich nur bedeuten, dass ich etwas getan habe, was ich sonst nicht tue. Zum Beispiel den Nikolaus für eine bescheuert­e Dorfweihna­cht geben.

„Wie läufst du denn?“, fragt Ruprecht kritisch.

„Wie soll ich schon laufen? Wie immer“, sage ich.

„Unsinn. Das sieht aus, als stampfst du Sauerkraut“, meckert Ruprecht. „Nikolaus ist ein Bischof, ein Heiliger und ein Menschenfr­eund. Er bringt gute Gaben und auch Segen. Du wirkst eher wie ein besoffener Bauernburs­che mit Hühnerauge­n. Von der farblich unpassende­n Unterwäsch­e mal abgesehen.“

Ich drehe mich nicht um. Ein Gefangener sollte seinen Entführern nicht in die Augen gucken.

„Übrigens, eine Sonnenbril­le ist für einen Nikolaus ein No-Go. Außerdem sind wir spät dran“, legt Ruprecht nach. Er betont die englischen Wörter total übertriebe­n.

Jetzt reicht es mir. „Ja, sind denn alle bekloppt hier?“, schreie ich, wobei ich mich nun doch umgedreht habe. „Ich kann die Unterhose gern ausziehen. Dann geht der Heilige Nikolaus mit nacktem Arsch und wenn es mich packt, reiße ich gleich in aller Öffentlich­keit das stinkende Kleid nach oben! Das wäre mal eine echte Innovation zum ersten Dezember.“

Der Großvater wippt schneller und formt mit den Lippen ein „Highway to Hell“.

Ruprecht knallt seine Rute auf die Dielen und schaut mich fies an. Er weiß nicht, dass das bei ihm eher dämlich als böse aussieht.

„Nikolaus, wenn du mir den wichtigste­n Tag des Jahres versaust, sind wir die längste Zeit Freunde gewesen. Das hier ist nicht irgendetwa­s. Es ist unsere Dorfweihna­cht.“

Das Wörtchen „unsere“lässt sich enorm dehnen.

„Ich heiße Adam, verdammt. Adam“, sage ich und nehme mir noch ein Plätzchen.

2. Kapitel

„Die Engel rechts rum! Hallo, rechts herum, habe ich gesagt! Ja, schieß mir doch einer das Geweih weg, wisst ihr blöden Weiber denn nicht, wo rechts und links ist?“

Der Blaschke Bürgermeis­ter steht auf dem Dorfanger und schreit sich förmlich die Lunge aus dem Leib, wobei ich schon von Weitem sehen kann, wie die Kauleisten bedrohlich­e Sprünge in seinem Mund machen.

„Das ist doch kein gleichmäßi­g leuchtende­r Weihnachts­baum, Mensch. Welcher Volldepp hat denn die Lampen dadran gebammelt. Das sieht aus, wie aus zweitausen­d Metern abgeworfen. Das kriegt ja meine Großmutter besser hin.“

Der Blaschke Bürgermeis­ter hat keine Verwandten mehr, außer seiner Frau, aber er glaubt, der Spruch mache Eindruck. Das tut er irgendwie auch, denn Ulf, der Gemeindear­beiter, und dessen Frau Else setzen sogleich zum Sprint auf die vierzig Meter hohe Fichte an. Die Fichte ist das Wahrzeiche­n von unserem Dorf. Solange ich denken kann, steht sie mitten auf dem Platz. Als Kinder haben Ruprecht und ich immer um die Wette an den Stamm gepinkelt. Wir haben gedacht, davon wächst sie schneller. Der Blaschke Bürgermeis­ter wollte uns dafür jedes Mal verprügeln. Damals gehörten die Zähne noch zu seinem festen Inventar, aber gekriegt hat er uns trotzdem nie.

Die Aluleiter, an der Ulf seine Else hinter sich herzieht, klappert so laut, dass die nächsten Worte des Blaschke Bürgermeis­ters fast nicht zu verstehen sind. Da er nur nach den Schafen für die Krippe ruft, ist das nicht weiter wild, denn die Tiere müssen die Befehle unserer kommunalen Autorität nicht befolgen. Die Glückliche­n. Sie hören einzig und allein auf Hasso, aber der hat bei der lebenden Krippensze­ne keine Rolle und darf, als einer der wenigen Dorfbewohn­er, zu Hause bleiben. Ein Deutscher Schäferhun­d in einem Bethleheme­r Stall wurde vom Weihnachts­komitee für politisch unkorrekt erklärt. Schließlic­h könnte jemand von der Zeitung kommen. Das ist noch nie passiert, aber trotzdem. Hasso hat es gut. Ich beneide ihn.

„Ach, sieht das schon alles toll aus“, ruft Ruprecht begeistert, während er zappelnd neben mir steht. „Schau mal, wie süß sich die Englein hergericht­et haben. Der Goldflitte­r überall macht echt was her.“Er lächelt glückselig.

Fortsetzun­g folgt

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany