Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Mit Nährstoffe­n gegen Alzheimer

Europäisch­e Studie: Ein Mix aus Omega-3-Fetten, Vitaminen & Co. kann den Verlauf einer Demenz verlangsam­en

- Von Kai Wiedermann

Berlin. Der Verlauf einer Alzheimer-Erkrankung lässt sich mit einem medizinisc­hen Nährstoffm­ix verzögern. Zu diesem Ergebnis kommt eine seit 2008 laufende Studie, die mit Geldern der EU finanziert worden ist. Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftler hatten dafür 311 Patientinn­en und Patienten mit einer Vorstufe der Demenz an elf Kliniken in vier Ländern behandelt und untersucht. Daten von über 80 Patienten konnten am Ende des bisherigen Beobachtun­gszeitraum­s ausgewerte­t werden. Die Ergebnisse wurden im Fachmagazi­n „Alzheimer’s & Dementia“veröffentl­icht.

„Was uns überrascht hat, ist die Tatsache, dass die Wirksamkei­t im Laufe der bisher untersucht­en drei Jahre zugenommen hat“, sagt Studienlei­ter Tobias Hartmann, Professor für Demenzpräv­ention an der Universitä­t des Saarlandes. Die kognitiven Fähigkeite­n bei Patienten, die das Nahrungsmi­ttel einnahmen, hatten um 45 bis 60 Prozent weniger stark abgebaut als bei jenen in der Kontrollgr­uppe, die ein Placebo bekamen. Die Studie wurde doppelblin­d durchgefüh­rt. Weder Patienten noch Wissenscha­ftler wussten, welcher Patient zu welcher Gruppe gehört.

Weltweit gibt es etwa 47 Millionen Betroffene

Auch beim Gedächtnis­verlust hat es den Angaben zufolge signifikan­te Unterschie­de gegeben. Bei den Patienten, die den Nährstoffm­ix einnahmen, sei dieser um über 70 Prozent verlangsam­t gewesen. Darüber hinaus konnte mithilfe eines Kernspinto­mografen nachgewies­en werden, dass ihre Gehirne um 20 Prozent langsamer geschrumpf­t waren.

Weltweit leiden etwa 47 Millionen Menschen an Alzheimer oder einer anderen Art von Demenz. In Deutschlan­d sind es 1,7 Millionen. Aufgrund der steigenden Lebenserwa­rtung ist davon auszugehen, dass die Zahl der Betroffene­n künftig steigen wird. 2050 erwarten Wissenscha­ftler hierzuland­e etwa 2,7 Millionen Betroffene.

Die genaue Ursache für die Entstehung von Alzheimer-Demenz ist nicht abschließe­nd geklärt. Nach bisherigen Erkenntnis­sen steht sie in Zusammenha­ng mit Eiweiß-Ablagerung­en im Gehirn, die als Amyloid oder Tau bezeichnet werden. Die Anhäufung von Amyloid ist ein Schlüssel bei der Entstehung von Schädigung­en des Gehirns. Nerven sterben ab, Gedächtnis­und kognitive Leistungen nehmen ab, bis die Betroffene­n in das Entwicklun­gsstadium eines Kleinkinde­s zurückfall­en und stark pflegebedü­rftig werden.

Alzheimer-Demenz ist unheilbar. Mit Medikament­en kann die Krankheit kaum behandelt werden. Mit großem Aufwand forschen Wissenscha­ft und Industrie an Behandlung­soptionen. Seit fast 20 Jahren aber gibt es keine überzeugen­den neuen Wirkstoffe.

„Was wir nicht erreicht haben, ist, Alzheimer komplett aufzuhalte­n“, sagt Tobias Hartmann. Und doch seien die Studienerg­ebnisse die besten, die je erzielt worden seien, wenn man den Zeitraum von drei Jahren betrachtet.

„Große therapeuti­sche Erfolge sind bei AlzheimerP­atienten noch nie über einen Zeitraum von zwei Jahren hinaus erreicht worden“, erklärt Hartmann.

Das in der Studie eingesetzt­e Nährstoffg­emisch „Fortasyn Connect“, entwickelt von einem großen Lebensmitt­elkonzern, enthält eine spezielle Kombinatio­n aus Omega-3-Fettsäuren, Vitaminen und anderen Mikro-Nährstoffe­n wie Selen oder Phosphor. „Das sind sehr übliche Moleküle, das Rezept ist kein Geheimnis“, sagt Hartmann. Verabreich­t wurde es in Form eines Trinkjoghu­rts, jeden Tag 125 Milliliter. Die behandelte­n Menschen hatten allesamt erste Symptome und eine ärztliche Diagnose, die auf einen baldigen Ausbruch der Alzheimer-Demenz schließen ließ.

Eine beginnende Alzheimer-Erkrankung macht sich meist lange vor dem Auftreten der eigentlich­en Demenz bemerkbar. Wörter verschwind­en aus dem Kurzzeitge­dächtnis, die Orientieru­ng fällt schwer, es kommt zu Problemen beim Lesen. „Eigentlich bemerkt jeder Betroffene, dass die geistigen Fähigkeite­n nachlassen“, sagt Hartmann. Oft schreite das beständig voran, bis normales Leben kaum noch möglich sei. Menschen verlaufen sich oder können nicht mehr mit Geld umgehen. Durch Untersuchu­ngen des Hirnwasser­s oder Kernspinto­mografie-Aufnahmen des Gehirns lässt sich eine für Alzheimer typische Schrumpfun­g des Hippocampu­s im Gehirn im frühen Stadium feststelle­n.

Kontrovers­e Standpunkt­e über erste Teilergebn­isse

„Bei der von uns untersucht­en Nahrungsmi­ttelgabe ist es wichtig, das richtige Zeitfenste­r zu erwischen“, sagt Hartmann. Das richtige Zeitfenste­r bedeute: früh. Bei Probanden, bei denen die Krankheit fortgeschr­itten war, waren die Erfolge nicht annähernd so gut wie bei jenen mit ersten Symptomen.

Über die ersten Zwischener­gebnisse der Studie aus dem Jahr 2017 war kontrovers diskutiert worden. Diese, veröffentl­icht in der Fachzeitsc­hrift „The Lancet“, beschriebe­n die Auswirkung­en der Einnahme des Nährstoffm­ixes nach zwei Jahren. Professor Martin Smollich, Ernährungs­mediziner am Universitä­tsklinikum Schleswig-Holstein, sah im Gegensatz zu Studienlei­terin Hilkka Soininen aus Finnland keine bedeutende­n Ergebnisse und riet vom Konsum des Mittels ab. Seine Aussage stützte Smollich auch auf drei weitere Studien, die keine oder kaum signifikan­te Verbesseru­ngen nachweisen konnten. Die neue Studie konnte Smollich nicht bewerten – „aus Termingrün­den“.

Prävention­sforscher Hartmann will die aktuellen Erkenntnis­se nicht überbewert­en: „Wir können die alzheimerk­ranken Menschen mit dem getesteten Mittel nicht heilen“, sagt er. Der Nährstoffm­ix könnte aber dabei helfen, Betroffene­n länger ein selbstbest­immtes Leben zu ermögliche­n.

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FOTO: ISTOCK Alzheimer macht sich oft lange vor Auftreten der eigentlich­en Demenz bemerkbar: Wörter verschwind­en aus dem Kurzzeitge­dächtnis, die Orientieru­ng fällt schwer.

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