Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Ein Vogel lernt das Fliegen
In Deutschland war der Waldrapp fast 400 Jahre lang ausgestorben. Doch nun wollen Forscher den seltenen Vogel wieder ansiedeln. Und aus den Tieren wieder Zugvögel machen
Wie bringt man einem Vogel bei, dass er im Winter in den Süden fliegen soll? Ganz einfach: Man setzt sich in ein Flugzeug und zeigt es ihm. Klingt verrückt, oder? Aber Tierforscher wie Anne-Gabriela Schmalstieg haben das gemacht – und zwar mit dem Waldrapp.
Waldrappe sind besondere Vögel. Sie haben ungefähr die Größe einer Gans, ihr Gefieder ist schwarz mit grünlichem Glanz. Ihr Schnabel ist sehr lang und gebogen. Die erwachsenen Tiere haben eine Glatze.
Früher lebte der Waldrapp auch hier bei uns. Doch vor ungefähr 400 Jahren wurde er ausgerottet. Sehen kann man die Vögel deshalb fast nur noch im Tierpark. Auch hier bei uns im Erfurter Zoo leben sie.
Da aber kommt Anne-Gabriela Schmalstieg ins Spiel. Seit einigen Jahren versuchen sie und ihre Kollegen, den Waldrapp wieder in Deutschland anzusiedeln. Die Forscher haben noch größere Pläne: Sie wollen dem Vogel beibringen, in weit entfernte Regionen zu fliegen und dann wieder zurückzukehren. „Denn der Waldrapp ist eigentlich ein Zugvogel“, erzählt die Expertin.
Allerdings kennen die Jungtiere die Strecke in den Süden nicht von selbst. „Sie müssen sie von ihren Eltern erlernen und zwar im ersten Jahr“, erklärt die Fachfrau. Und was macht man, wenn es keine Eltern gibt, die das wissen? Hier springen Menschen wie Frau Schmalstieg als Ersatzeltern ein.
Sechs Jahre lang hat sie Jungvögel aus einem Tierpark mit der Hand aufgezogen. Mehrere Monate für den großen Tag trainiert. Einmal im Jahr starten die Forscher dann jeweils mit 32 Jungvögeln Richtung Süden. Die Ersatzeltern sitzen mit zwei Piloten in Ultraleicht-Flugzeugen, die Jungvögel fliegen nebenher.
Das Ziel ist ein 1000 Kilometer weit entferntes Vogelschutzgebiet in der Region Toskana im Land Italien. „Das ist der nördlichste Platz, an dem die Vögel überwintern können“, erklärt die Forscherin. „Man fliegt sehr dicht neben den Vögeln, sodass man die Tiere zum Teil anfassen kann“, berichtet Frau Schmalstieg.
Wenn alles nach Plan läuft, ziehen die Vögel in spätestens drei Jahren wieder Richtung Deutschland, bekommen Junge und fliegen mit diesen im Herbst wieder los.