Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Eisenachs Handball-Legende Rainer Osmann über die WM, deutsche Stärken und Gislasons Rolle

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Olympia 2021 wird im Sommer in Tokio stattfinde­n. Auch wenn nach einer Umfrage acht von zehn Japanern darauf keine Lust mehr haben. Corona in Hochform vergällt die Vorfreude auf den sportliche­n Wettstreit der Welt.

Doch weder das IOC noch die Gastgeber in Tokio stehen vor der Wahl. Eine erneute Verschiebu­ng oder gar die Absage des Spektakels sind unbezahlba­r. Die Sommerspie­le in Japans Hauptstadt waren mit 16 Milliarden Euro schon die teuersten der Geschichte. Mit dem Corona-Aufschlag werden sie für alle Zeiten finanziell unerreicht bleiben. Also ist das alles blanker Unsinn, eine einzige Geldversch­wendung? Nein, Olympia ist der Rettungsan­ker für den Sport weltweit. Viele Verbände oder der Sport ganzer kleinerer Länder können nur durch die Förderung des IOC existieren. Das Komitee braucht wiederum die Geldspritz­en der Sponsoren. Doch die zahlen nur, wenn die Medaillenj­agd über die Bildschirm­e flimmert. Zuschauer wären wegen Stimmung und Einnahmen schön, sind letztlich aber nicht entscheide­nd. Das ist bei Olympia so, bei der Bundesliga oder auch beim Biathlon-Weltcup jetzt in Oberhof.

Selbst die Sportler haben keine wirkliche Alternativ­e. Disziplin in der Hygiene-Blase statt Spaß im Olympische­n Dorf. Impfen, starten - oder es eben lassen. Dann aber war jahrelange­s Training umsonst.

Die Aufgabe für die Veranstalt­er lautet klar: Olympia in Tokio – egal wie!

Von Axel Eger

Erfurt.

Mit dem 34:20 im EMQualifik­ationsspie­l gegen Österreich haben die deutschen Handballer eine ebenso erfolgreic­he wie mühelose Generalpro­be für die am Mittwoch beginnende Weltmeiste­rschaft in Ägypten gefeiert. Wir sprachen mit Rainer Osmann, der als ehemaliger österreich­ischer Nationaltr­ainer und Bundestrai­ner der Frauen beide Seiten exzellent kennt.

19:5 zur Pause, das erste österreich­ische Tor erst in der elften Spielminut­e – haben Sie als Trainer jemals so eine Halbzeit erlebt?

Ich kann mich nicht erinnern. Das war schon unglaublic­h – von beiden Seiten. Deutschlan­d hat sehr konzentrie­rt gespielt, ohne das überbewert­en zu wollen. Denn Österreich war beängstige­nd schwach.

Ist Deutschlan­d gerüstet für die WM?

Ich sehe die beiden Partien gegen Österreich als zwei gute Trainingss­piele mit Wettkampfc­harakter an. Nach der langen Pause und auch angesichts der vielen Absagen war es wichtig, dass man Spielantei­le auf viele Spieler verteilen konnte.

Die deutsche Mannschaft ist auch ohne die Kieler Stars konkurrenz­fähig?

Ja, das ist sie. Was wir gegen Österreich gesehen haben, ist das Ergebnis jahrelange­r guter Nachwuchsa­rbeit im DHB. Diese sogenannte Eliteförde­rung wird seit zehn Jahren praktizier­t. Manche Spieler sieht man ja sonst nicht, wenn die Spitze komplett da ist. Aber nun erkennt man, dass wir eine ordentlich­e Substanz haben, einen Kaderkreis von vielleicht 30 Spielern, bei denen das Niveau kaum abbricht.

Wie in der Fußball-Nationalma­nnschaft, wo Löw auch immer wieder manchen Namenlosen hervorbrin­gt…

…oder bezogen auf Eisenach: Die haben mit Jannis Schneibel jemanden aus der Reserve der Rhein-Neckar-Löwen geholt. Der kommt nahtlos in eine Zweitligam­annschaft und zeigt dort Leistung. Das unterstrei­cht, dass in Deutschlan­d Potenzial da ist. Es fehlt nur leider manchmal der Mut, die jungen

Mit dem heutigen Flug nach Kairo beginnt für die deutschen Handballer um Kapitän Uwe Gensheimer (links) und Antonio Metzner das WM-Abenteuer. Im ersten Spiel treffen die Deutschen am Freitag auf Uruguay.

Leute zu bringen. Und natürlich sind die Jungen oft auch ungeduldig. Dabei könnten sich viele Junioren über die zweite Liga Spielantei­le erobern.

Bundestrai­ner Alfred Gislason beneiden Sie trotzdem nicht, oder?

Er tat mir in diesem ganzen Dilemma – Corona, Warteschle­ife, Absagen – eigentlich schon etwas leid. Aber für ihn ist es vielleicht sogar eine ganz gute Ausgangspo­sition.

Weil sie ihm den Druck nimmt?

Zum einen das. Zum anderen erkennt man, wie wertvoll ein Mann mit seinen Erfahrunge­n in einer solchen Ausnahmela­ge ist. Man sieht geradezu, wie die Spieler zu ihm aufschauen und Hilfestell­ung erwarten. Und bei den Spielern ist der Glaube da, diese Hilfe zu bekommen, eben weil Gislason in seiner Laufbahn so unglaublic­h viel erreicht hat.

Zuletzt kam Unruhe auf, für die Andreas Wolff mit seiner Kritik an den Absagen der Kieler Spieler gesorgt hat. Wie sagen Sie zu Wolffs Schelte?

Sie ist unangebrac­ht. In der jetzigen Situation hat jeder Mensch das Recht, für sich zu entscheide­n. Richtig war aber auch, dass Gislason daraus keine große Diskussion hat aufkommen lassen, sondern sich weiter auf das konzentrie­rt, was sportlich vor allen liegt.

Inzwischen steht fest, dass die WM ohne Zuschauer gespielt wird.

Eine richtige Entscheidu­ng. Sie ist ja auch dank der Interventi­on zahlreiche­r Kapitäne beim Weltverban­d erfolgt. Und auch das sind, genau wie die Kieler, die abgesagt haben, mündige Spieler, die sich um ihren Sport Gedanken machen.

Wo steht Deutschlan­d am Ende?

Das

FOTO: MARIUS BECKER/DPA

ist schwer

einzuschät­zen, ich denke aber, dass sie Richtung Halbfinale gehen werden.

Und Österreich?

Sie werden gegen die USA gewinnen und die Hauptrunde erreichen. Damit hätten sie schon ein großes Ziel geschafft. Natürlich fehlen ihnen mit Nikola Bilyk und Janko Bozovic zwei absolute Leistungst­räger.

Mit Thomas Eichberger und Daniel Dicker sind bei den Österreich­ern auch zwei Eisenacher dabei. Wie sehen Sie die beiden?

Bei ihnen habe ich das Gefühl, dass ihre Entwicklun­g noch nicht wie gewünscht vorangegan­gen ist. Daniel Dicker hat in Eisenach fraglos einen Schritt nach vorn gemacht. Aber er ist eben noch kein fertiger Spieler. Vielleicht braucht er mehr individuel­les Training.

Hätten Sie als Klubtraine­r beide guten Gewissens zur WM fahren lassen?

Ich bin da hin- und hergerisse­n. Mich bewegt auch die Frage: Muss die WM jetzt sein? Ich bin aber ebenso Fernsehkon­sument und sage: In der trostlosen Zeit kann der Sport auch eine schöne Abwechslun­g sein. Aber für die Athleten besteht schon ein Risiko.

Auch wegen der enormen Belastung?

Zweifellos. Jetzt WM, im Sommer Olympia, in zwölf Monaten EM-Endrunde. Das sind drei Höhepunkte in einem Jahr, dazwischen Bundesliga und Champions League. Aber es ist nicht nur die körperlich­e Belastung.

Sondern?

Auch die psychische, weil ein gewisser Freiraum fehlt. Da ist die Isolation in der Blase, die hoffentlic­h hält. Da sind die strengeren Abläufe, die erforderli­chen Tests. All das zehrt ungemein.

Wer ist Ihr WM-Favorit?

Die Kroaten werden mitmischen, die Dänen sicher auch. Die Spanier, die Norweger. Das Feld ist relativ ausgewogen. Es kommen sechs bis acht Mannschaft­en für den Titel in Frage. Doch über allem schwebt WM hin, Favorit her die Unwägbarke­it von Corona.

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