Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Trumps gefährliche Verschwörer
QAnon-Anhänger waren am Sturm auf das Kapitol beteiligt. Auch in Deutschland findet die krude Ideologie immer mehr Unterstützer
Washington/Berlin.
Jacob Chansley steht vor dem Mikrofon und warnt vor der „neuen Weltordnung“. Er fabuliert von „Stationen im Untergrund“, die durch die Regierung betrieben würden. Er schwadroniert über die „Manipulation durch die Medien“. Er ist wütend, weil „ein Ring von pädophilen Eliten“einen „tiefen Staat“gegründet habe. Chansley trägt eine Fellmütze mit Büffelhörnern, sein Gesicht ist blauweiß-rot bemalt. Gegen die „teuflischen Kräfte“, von denen er spricht, würde nur eine „okkulte Kraft“helfen, an der Seite Gottes. In seiner Hand hält Chansley, der sich als „QSchamane“Jake Angeli nennt, einen Speer mit einem Schild. „Q sent me!“, steht dort. „Q“habe ihn gesandt.
Es sind Bilder aus dem Sommer, von einer Wahlkampfveranstaltung in Arizona. Damals war Chansley eine skurrile Figur unter vielen im US-Wahlkampf. Vergangene Woche taucht er wieder auf, mit Fell und Hörnern, diesmal in Washington. Chansley stürmt mit Tausenden anderen das Kapitol. Mit ihm sollen es Hunderte andere Anhänger von „Q“gewesen sein.
Grob zusammengefasst glauben die „Q“-Anhänger an eine weltweite Verschwörung von Eliten – den sogenannten „tiefen Staat“– der, so die Erzählung, Kinder kidnappt und quält, um aus ihrem Blut einen Stoff zu gewinnen, der ewige Jugend garantieren soll. Donald Trump, glauben die Anhänger des Kults, kämpfe darum, dieses Netzwerk zu enttarnen. Informationen über diesen Kampf liefere aus seinem nahen Umfeld „Q“: Angeblich eine hochrangige anonyme (Anon) Quelle aus einer US-Regierungsbehörde.
Der Mythos um „Q“ist ein Kind des Internets: Dort verbreitet „Q“seine Thesen, dort vernetzen sich seine Anhänger. Sie treffen sich auf Imageboards wie „8kun“oder Plattformen wie „Parler“oder „Gab“. Fast jeder postet anonym, anders etwa als bei Twitter ist eine Verfolgung eines Nutzers durch Verschlüsselung kaum möglich.
Der Mythos – für den es keine Belege gibt – hat auch in Deutschland zahlreiche Anhänger. Schon im Umfeld der Gelbwesten-Proteste vor Jahren tauchten Menschen auf, die sich zu den Unterstützern von „Q“zählen. Doch gewachsen ist die Zahl der Anhänger vor allem seit Beginn der Pandemie, das zeigt eine Analyse der Amadeu-Antonio-Stiftung. Auf dem Messenger-Dienst Telegram hatte demnach einer der reichweitenstärksten Kanäle, die die Erzählung verbreiten, im März
21.000 Abonnenten. Drei Monate später waren es schon mehr als
111.000, jetzt sind es fast 160.000. Noch am Tag der Ausschreitungen am Kapitol postet dort ein Nutzer Propagandavideo mit dem Titel: „Trump und wir, das Volk, sind der Sturm“. Ein anderer Kanal, mit
60.000 Abonnenten, schmückt sich mit dem Konterfei des Präsidenten in einem brennenden Q als Profilbild. Der Noch-Präsident ist das Idol der Bewegung. Auch die deutschen Anhänger der Bewegung sehen Trump als eine Art Erlöserfigur. So finden sich in den Chats zum Teil aufwendig produzierte Videos. Trump wird inszeniert mit Maschinenpistole
in der Hand. Dazu der Schriftzug auf Englisch: „Die Jäger werden zu den Gejagten.“Der Titel des Videos: „Die Nachrichten sind gefälscht der Krieg ist real #KeinVerhandeln“.
Viele Beiträge sind lächerlich – aber alles andere als ungefährlich Viele der Beiträge überschreiten die Grenze zum Lächerlichen, doch Fachleute warnen davor, die Bewegung deshalb nicht ernst zu nehmen. Die Erzählungen würden häufig hinauslaufen auf Tribunale für die vermeintlichen Verschwörer und ihren Tod, sagt Rechtsextremismus-Experte
Miro Dittrich, der die Szene seit langem beobachtet. Der angeblich drohende Untergang, der in Verschwörungserzählungen eine wichtige Rolle spiele, erzeuge einen Handlungsdruck, sagt Dittrich. „Und wenn man glaubt, alle Gegner sind Kinder-folternde Satanisten, dann senkt das die Hemmschwelle, Gewalt gegen diese Menschen auszuüben.“
Auch Terrorismus-Forscher wie Peter Neumann vom Londoner Kings College zeigen sich besorgt über die wachsende Gewaltbereitschaft in der QAnon-Bewegung. „Meine Sorge ist: Nach dem Ende der Präsidentschaft von Trump wird die QAnon-Bewegung noch gefährlicher“, sagte Neumann unserer Redaktion. Zwar würden viele Anhänger der Verschwörungsideologie durch die Gewalt am Kapitol abgeschreckt worden sein, aber ein radikalisierter Kern werde jetzt eher bereit sein, zuzuschlagen.
Jacob Chansley, der selbst ernannte „Schamane“, wurde am Sonnabend festgenommen. Ihm werden illegales Eindringen in ein besonders gesichertes Gebäude sowie gewaltsames Eindringen und ungebührliches Verhalten auf dem Gelände des Kapitols vorgeworfen.
„Nach dem Ende der Präsidentschaft von
Trump wird die QAnon-Bewegung noch gefährlicher.“
Peter Neumann, Terrorismus-Forscher