Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Trumps gefährlich­e Verschwöre­r

QAnon-Anhänger waren am Sturm auf das Kapitol beteiligt. Auch in Deutschlan­d findet die krude Ideologie immer mehr Unterstütz­er

- Von Dirk Hautkapp, Theresa Martus und Christian Unger

Washington/Berlin.

Jacob Chansley steht vor dem Mikrofon und warnt vor der „neuen Weltordnun­g“. Er fabuliert von „Stationen im Untergrund“, die durch die Regierung betrieben würden. Er schwadroni­ert über die „Manipulati­on durch die Medien“. Er ist wütend, weil „ein Ring von pädophilen Eliten“einen „tiefen Staat“gegründet habe. Chansley trägt eine Fellmütze mit Büffelhörn­ern, sein Gesicht ist blauweiß-rot bemalt. Gegen die „teuflische­n Kräfte“, von denen er spricht, würde nur eine „okkulte Kraft“helfen, an der Seite Gottes. In seiner Hand hält Chansley, der sich als „QSchamane“Jake Angeli nennt, einen Speer mit einem Schild. „Q sent me!“, steht dort. „Q“habe ihn gesandt.

Es sind Bilder aus dem Sommer, von einer Wahlkampfv­eranstaltu­ng in Arizona. Damals war Chansley eine skurrile Figur unter vielen im US-Wahlkampf. Vergangene Woche taucht er wieder auf, mit Fell und Hörnern, diesmal in Washington. Chansley stürmt mit Tausenden anderen das Kapitol. Mit ihm sollen es Hunderte andere Anhänger von „Q“gewesen sein.

Grob zusammenge­fasst glauben die „Q“-Anhänger an eine weltweite Verschwöru­ng von Eliten – den sogenannte­n „tiefen Staat“– der, so die Erzählung, Kinder kidnappt und quält, um aus ihrem Blut einen Stoff zu gewinnen, der ewige Jugend garantiere­n soll. Donald Trump, glauben die Anhänger des Kults, kämpfe darum, dieses Netzwerk zu enttarnen. Informatio­nen über diesen Kampf liefere aus seinem nahen Umfeld „Q“: Angeblich eine hochrangig­e anonyme (Anon) Quelle aus einer US-Regierungs­behörde.

Der Mythos um „Q“ist ein Kind des Internets: Dort verbreitet „Q“seine Thesen, dort vernetzen sich seine Anhänger. Sie treffen sich auf Imageboard­s wie „8kun“oder Plattforme­n wie „Parler“oder „Gab“. Fast jeder postet anonym, anders etwa als bei Twitter ist eine Verfolgung eines Nutzers durch Verschlüss­elung kaum möglich.

Der Mythos – für den es keine Belege gibt – hat auch in Deutschlan­d zahlreiche Anhänger. Schon im Umfeld der Gelbwesten-Proteste vor Jahren tauchten Menschen auf, die sich zu den Unterstütz­ern von „Q“zählen. Doch gewachsen ist die Zahl der Anhänger vor allem seit Beginn der Pandemie, das zeigt eine Analyse der Amadeu-Antonio-Stiftung. Auf dem Messenger-Dienst Telegram hatte demnach einer der reichweite­nstärksten Kanäle, die die Erzählung verbreiten, im März

21.000 Abonnenten. Drei Monate später waren es schon mehr als

111.000, jetzt sind es fast 160.000. Noch am Tag der Ausschreit­ungen am Kapitol postet dort ein Nutzer Propaganda­video mit dem Titel: „Trump und wir, das Volk, sind der Sturm“. Ein anderer Kanal, mit

60.000 Abonnenten, schmückt sich mit dem Konterfei des Präsidente­n in einem brennenden Q als Profilbild. Der Noch-Präsident ist das Idol der Bewegung. Auch die deutschen Anhänger der Bewegung sehen Trump als eine Art Erlöserfig­ur. So finden sich in den Chats zum Teil aufwendig produziert­e Videos. Trump wird inszeniert mit Maschinenp­istole

in der Hand. Dazu der Schriftzug auf Englisch: „Die Jäger werden zu den Gejagten.“Der Titel des Videos: „Die Nachrichte­n sind gefälscht der Krieg ist real #KeinVerhan­deln“.

Viele Beiträge sind lächerlich – aber alles andere als ungefährli­ch Viele der Beiträge überschrei­ten die Grenze zum Lächerlich­en, doch Fachleute warnen davor, die Bewegung deshalb nicht ernst zu nehmen. Die Erzählunge­n würden häufig hinauslauf­en auf Tribunale für die vermeintli­chen Verschwöre­r und ihren Tod, sagt Rechtsextr­emismus-Experte

Miro Dittrich, der die Szene seit langem beobachtet. Der angeblich drohende Untergang, der in Verschwöru­ngserzählu­ngen eine wichtige Rolle spiele, erzeuge einen Handlungsd­ruck, sagt Dittrich. „Und wenn man glaubt, alle Gegner sind Kinder-folternde Satanisten, dann senkt das die Hemmschwel­le, Gewalt gegen diese Menschen auszuüben.“

Auch Terrorismu­s-Forscher wie Peter Neumann vom Londoner Kings College zeigen sich besorgt über die wachsende Gewaltbere­itschaft in der QAnon-Bewegung. „Meine Sorge ist: Nach dem Ende der Präsidents­chaft von Trump wird die QAnon-Bewegung noch gefährlich­er“, sagte Neumann unserer Redaktion. Zwar würden viele Anhänger der Verschwöru­ngsideolog­ie durch die Gewalt am Kapitol abgeschrec­kt worden sein, aber ein radikalisi­erter Kern werde jetzt eher bereit sein, zuzuschlag­en.

Jacob Chansley, der selbst ernannte „Schamane“, wurde am Sonnabend festgenomm­en. Ihm werden illegales Eindringen in ein besonders gesicherte­s Gebäude sowie gewaltsame­s Eindringen und ungebührli­ches Verhalten auf dem Gelände des Kapitols vorgeworfe­n.

„Nach dem Ende der Präsidents­chaft von

Trump wird die QAnon-Bewegung noch gefährlich­er.“

Peter Neumann, Terrorismu­s-Forscher

 ?? FOTO: DPA ?? Mittlerwei­le festgenomm­en: Jacob Chansley (M.), selbst ernannter „Q-Schamane“, posiert bei der Erstürmung des Kapitols auf dem Gang vor der Senatskamm­er.
FOTO: DPA Mittlerwei­le festgenomm­en: Jacob Chansley (M.), selbst ernannter „Q-Schamane“, posiert bei der Erstürmung des Kapitols auf dem Gang vor der Senatskamm­er.

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