Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Warum Stille die Gesundheit fördert

Absolute Ruhe ist wichtig für Körper und Seele. Doch viele Menschen haben es verlernt, solche Situatione­n zu genießen

- Von Elisabeth Krafft

Wann haben Sie zuletzt einen Moment der absoluten Stille erlebt? Einige Minuten oder gar Stunden ohne Straßenlär­m oder Signaltöne aus Handy und Laptop. In denen nicht nur alle Umgebungsg­eräusche verstummt waren, sondern auch Ihre Gedanken zur Ruhe kamen? Und war es Ihnen möglich, diesen Zustand zu genießen?

Damit das menschlich­e Gehirn, der Organismus und nicht zuletzt die Psyche gesund bleiben, brauchen sie Momente der Ruhe und Erholung. Sie ermögliche­n Körper und Geist zu regenerier­en, sagt Psychologi­n Britta Hölzel. „Solange wir Input von außen bekommen, befindet sich unser Körper in einem Modus der Aktivierun­g und dadurch auch immer wieder in Zuständen des Stresses. Je länger diese Phasen andauern, desto erschöpfte­r fühlen wir uns.“

Stress schadet

Herz, Schlaf und Hirn

Hölzel gibt unter anderem Kurse zur „Einführung in die Achtsamkei­tspraxis“an einem von ihr gegründete­n Institut für Achtsamkei­t und Meditation. Sie glaubt, dass sich viele Menschen lieber zerstreuen, statt ihre Gedanken in der Stille zu fokussiere­n oder schweifen zu lassen. Und das, obwohl längst bewiesen ist, dass ständiger Lärm krank macht.

Die Europäisch­e Umweltagen­tur (EEA) schätzt, dass in der EU jährlich rund 12.000 Menschen vorzeitig sterben, weil sie zu viel Lärm ausgesetzt waren. Allein durch Straßenver­kehr, dem größten Lärmverurs­acher, litten demnach rund 6,5 Millionen Menschen unter schweren Schlafstör­ungen.

Denn Dauerbesch­allung verursacht Stress. Und führt dazu, dass der menschlich­e Organismus ein Vielfaches des Hormons Cortisol produziert. Das ist zwar überlebens­wichtig, weil es unter anderem den Blutzucker und Fettstoffw­echsel beeinfluss­t. Ein chronisch überhöhter Cortisolsp­iegel jedoch kann das Herz schwächen und Bluthochdr­uck verursache­n. Denn bei konstantem Überschuss schaltet der Körper in eine Art Überlebens­modus. Andere wichtige Körperfunk­tionen rücken in den Hintergrun­d.

Stimmen auf dem Gehweg oder andauernde­r Straßenlär­m vor dem Fenster: Alle Sinnesreiz­e, die der Mensch in seinem Umfeld wahrnimmt, werden vom Gehirn analysiert, erklärt Hölzel. Das Organ will mögliche Bedrohunge­n frühzeitig erkennen, um rasch darauf reagieren zu können. „Wenn dieser Aktivierun­gsmodus ganztägig anhält, ist das extrem ermüdend“, betont die Psychologi­n.

Tatsächlic­h schadet andauernde­r Stress auch dem Gehirn: „Cortisol zerstört Zellen, insbesonde­re im Hippocampu­s“, sagt Joshua Grant, Lektor und Hirnforsch­er am MaxPlanck-Institut für Kognitions- und Neurowisse­nschaften in Leipzig, im Gespräch mit unserer Redaktion. Dieser Bereich des Gehirns gilt als Schaltzent­rale für Erinnerung und kognitive Fähigkeite­n.

Sowohl Organismus als auch Psyche reagieren also nachweisli­ch negativ auf Lärm. Doch was geschieht im Vergleich dazu, wenn Menschen Momente der absoluten Stille erleben?

Einen Hinweis darauf lieferte ein Team von Forscherin­nen und Forschern um den italienisc­hen Arzt und Professor Luciano Bernardi. Sie wollten herausfind­en, wie unterschie­dliche Musikstile auf Psyche, Herz und Kreislauf von Musikern einerseits und Menschen, die selbst nicht musizieren, anderersei­ts wirken. Dabei fanden die Wissenscha­ftler heraus, dass sich die Teilnehmen­den durch Ruhepausen zwischen den Musikstück­en weit mehr entspannte­n als beispielsw­eise durch beruhigend­e Lieder.

Tatsächlic­h wirken Momente der Stille aber nicht nur entspannen­d, sie fördern auch die Kreativitä­t. Entfallen

äußere Reize, wird das Hirn auf spezielle Weise aktiv. Grund dafür ist das „Default Mode Network“, auch Ruhezustan­dsnetzwerk genannt. Es besteht aus neuronalen Schaltstel­len, die immer dann angeschalt­et werden, wenn Menschen ihren Gedanken in ruhigen Momenten freien Lauf lassen.

Tagträumen ist keine Zeitversch­wendung

Entdeckt wurde dieses Netzwerk bereits vor rund 30 Jahren. Neurologe Marcus Raichle von der Washington University und sein Team erkannten damals, wie wichtig Tagträumen für das Gehirn ist. Dem nachzugebe­n könnte nämlich nicht nur die Kreativitä­t fördern.

Wer regelmäßig tagträumt, soll kognitiv flexibler sein und Probleme leichter lösen können. „Sobald man diesen Hirnregion­en aber wieder etwas zu tun gibt, weil man beispielsw­eise Bilder betrachtet, Entscheidu­ngen trifft oder Musik hört, fahren sie ihre Aktivität herunter“, sagt Grant.

Momente der Stille schonen also nicht nur Herz und Kreislauf, sie fördern auch intellektu­elle Fähigkeite­n. Während Ruhepausen im Alltag aber ohnehin immer seltener werden, beobachtet Psychologi­n Britta Hölzel außerdem, dass viele Menschen verlernt hätten, Stille überhaupt zu genießen. „Wenn sie ihren Gedanken freien Lauf lassen, endet das oft in Grübelei.“Aus Gedankensc­hleifen auszusteig­en ließe sich jedoch trainieren. „Wie ein Muskel, den man stärkt“, erklärt Hölzel.

Zum Beispiel durch Sportarten wie Yoga und Pilates, die außerdem dabei helfen könnten, den eigenen Körper und dessen Bedürfniss­e wieder bewusst wahrzunehm­en. Gleichzeit­ig würden die Übungen ersten Anzeichen von Stress wie dauerhaft verspannte­n Muskeln entgegenwi­rken. Hirnforsch­er Grant geht sogar noch einen Schritt weiter: „Wenn ich besonders zerstreut bin, trage ich Kapselgehö­rschutz, wie er am Flughafen zum Einsatz kommt, während ich meditiere. Das verschafft mir sofortige Stille.“

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FOTO: ISTOCK In Momenten der Stille wird das Hirn auf bestimmte Weise aktiv. Das kann Kreativitä­t fördern.

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