Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Regieren aus der Wohnung
Wie das Kabinett und die Verwaltung sich im Homeoffice eingerichtet haben
Bevor Helmut Holter nach Thüringen kam, hatte er in seiner Heimat Mecklenburg-Vorpommern eine lange Karriere als Arbeitsminister oder Chef der Linke-Fraktion im Landtag absolviert. 2016, da war er 63, wurde er von seinen Genossen ins Abseits gestellt.
Doch im Jahr darauf bot sich eine neue, späte Chance: Der Job als Kultusminister in Erfurt. Seitdem unterhält er eine Zweitwohnung, der Hauptwohnsitz blieb aber Schwerin.
Das alles war vor Corona nicht weiter wichtig. Doch zuletzt fiel den Beschäftigten im Bildungsministerium immer häufiger auf, dass sie ihr Minister per Telefon und Video aus dem fernen Norden anleitete.
Während dieser Pandemie befindet sich eben auch für Politiker oft das Büro dort, wo ihre Wohnung ist – also etwa in Berlin, wo Medienstaatssekretär Malte Krückels (Linke) privat lebt, oder in Frankfurt am Main, wo Kultusstaatssekretärin Heesen zu Hause ist.
Allerdings haben beide auch eine Bleibe in Erfurt. Überhaupt sind in dieser merkwürdigen Zeit zwei Wohnsitze besonders praktisch.
So kann der eigentlich in Erfurt beheimatete Regierungschef, was er derzeit sogar überwiegend der Fall ist, ohne größere Umstände in seinem Waldhaus an der Bleiloch-Talsperre leben. Von dort aus regiert Bodo Ramelow (Linke) dann virtuell. Sogar eine hellblaue Stellwand mit regierungsamtlichen Logo wurde nach Ostthüringen transportiert, damit der Ministerpräsident in den offiziellen Videoschalten staatstragend aussieht.
Eine Umfrage im Kabinett ergab, dass alle Minister und Staatssekretäre mindestens unregelmäßig im Heimbüro arbeiten, viele sogar regelmäßig. Aus dem Wirtschaftsministerium heißt es zum Beispiel, dass Absprachen auch innerhalb der Leitung „fast ausschließlich über Video- oder Telefonkonferenzen“stattfänden.
In dem Ministerium wurde, so wie in den meisten anderen Ressorts, bereits im April eine Dienstvereinbarung geschlossen. Danach, sagt eine Sprecherin, hätten die Mitarbeiter „in großem Umfang und regelmäßig die Möglichkeit, mobile Arbeit im Wechsel mit Anwesenheit in der Dienststelle in Anspruch zu nehmen“.
Darüber hinaus gelte vorerst bis Mitte Februar die zusätzliche Regel, dass eigentlich fast immer daheim gearbeitet werden kann. Knapp 90 Prozent der Bediensteten besäßen zumindest die technische Voraussetzung, diese Regelung zu nutzen.
Damit scheint das Ministerium, das auch für Digitales zuständig ist, mit an der Spitze der Telearbeitsbewegung zu stehen. Allerdings gibt auch das Infrastrukturministerium eine ähnlich hohe technische Versorgungsquote an. 40 Prozent der Bediensteten arbeiteten regelmäßig daheim, sagte eine Sprecherin; weitere 35 Prozent täten dies gelegentlich.
Auch im Thüringer Umweltministerium kämen insgesamt etwa drei Viertel der Belegschaft kaum noch ins Büro, sagt Ressortchefin Anja Siegesmund (Grüne). Ein Spaß sei dies jedoch nicht: „Die krasse Situation, gleichzeitig Homeschooling, Homeoffice und Homework miteinander unter einen Hut zu bringen, ist mir leider gut vertraut.“Dennoch gebe es keinen anderen Weg, arbeitsfähig zu bleiben und gleichzeitig die Kollegen zu schützen.
In den meisten Ressorts und den nachgeordneten Behörden wird eine Art Wechselmodell praktiziert. Das heißt, die Mitarbeiter stimmen sich untereinander ab, damit sie das Büro jeweils allein für sich haben. In der Staatskanzlei praktiziert dies etwa ein Drittel.
Aber es gibt noch Potenzial. An den Appell der Landesregierung an die Wirtschaft, möglichst alle Beschäftigten nach Hause zu schicken, halten sich einige Verwaltungen nur bedingt. Im Innenministerium hat bisher nur die Hälfte der Mitarbeiter überhaupt die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten, im Landesverwaltungsamt sind es gerade einmal 23 Prozent.
Ähnlich niedrig ist die Quote im Finanzministerium, wo nur sieben Prozent regelmäßig Telearbeit nutzen. Auch Ressortchefin Heike Taubert (SPD) ging bislang lieber ins Büro. Inzwischen hat sich aber auch sie entschieden, vorerst daheim im Ostthüringischen zu bleiben.