Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Wie groß ist die Übersterbl­ichkeit?

Im Pandemie-Jahr 2020 sind in Deutschlan­d 28.000 Menschen mehr gestorben als üblich. Doch das hat nicht nur mit der Krankheit Covid-19 zu tun

- Von Ida Flik und André Pätzold

Jeden Tag Hunderte, manchmal mehr als 1000 Tote, die mit oder am Coronaviru­s sterben. Wer die Nachrichte­n verfolgt, weiß: Die Lage in Deutschlan­d ist sehr ernst. Doch hat die Pandemie bislang auch zu außergewöh­nlich vielen Todesfälle­n geführt? Oder behalten am Ende diejenigen recht, die zu Beginn des vergangene­n Jahres prophezeit­en: Es wird nicht schlimmer als in anderen Jahren?

Vorläufige Zahlen des Statistisc­hen Bundesamte­s zur Übersterbl­ichkeit 2020 zeigen: Die CoronaPand­emie hat zu einem deutlichen Anstieg der Sterbezahl­en in Deutschlan­d geführt. Danach sind allein bis Mitte Dezember 921.989 Menschen gestorben – über 28.000 mehr als der Durchschni­tt der Vorjahre. Die Übersterbl­ichkeit, also überdurchs­chnittlich hohe Sterbefall­zahlen, betreffen bisher fast ausschließ­lich Menschen im Rentenalte­r.

Während 2018 eine besonders heftige Grippewell­e dazu beigetrage­n hat, dass verglichen mit den Jahren 2016 bis 2019 fast 22.000 mehr Menschen gestorben sind, sind die Sterbefall­zahlen während der Grippesais­on 2020 niedriger als sonst geblieben. Erste Corona-Maßnahmen, wie Schulschli­eßungen ab der

12. Kalenderwo­che (KW), dürften laut dem Robert-Koch-Institut (RKI) auch „erheblich“zu einem früheren Ende der Grippesais­on

2020 beigetrage­n haben.

Ein Trend, der sich fortgesetz­t hat: Seit Beginn der neuen Influenza-Saison im Herbst sind laut RKI bundesweit weniger als 300 im Labor bestätigte Influenza-Fälle gemeldet worden. Vor einem Jahr waren es ungefähr zu dieser Zeit schon mehr als 5000 Fälle.

Auch die Ausbreitun­g anderer ansteckend­er Krankheite­n wurde durch die Kontaktbes­chränkunge­n gebremst. Laut einer Analyse des RKI gingen besonders Atemwegsun­d Magen-Darm-Erkrankung­en zurück.

Hohe Sterbezahl­en im Sommer wegen Hitze

Ein Zusammenha­ng zwischen überdurchs­chnittlich vielen Todesfälle­n im Jahr 2020 und der CoronaPand­emie ist „sehr, sehr naheliegen­d“, sagt Felix zur Nieden, Experte für Demografie und Sterbefall­zahlen beim Statistisc­hen Bundesamt. Deutliche Anzeichen dafür seien Anstiege zu untypische­n Jahreszeit­en, wie im April und Mai. Zudem passen die Zahlen zu den gemeldeten Corona-Todesfälle­n.

Die hohe Übersterbl­ichkeit im Sommer hingegen hatte nichts mit Corona zu tun: Grund dafür war, wie auch schon in vergangene­n Jahren, eine Hitzewelle, die besonders älteren Menschen zu schaffen gemacht hat. Laut einer aktuellen Studie, die Anfang Dezember im Fachblatt „The Lancet“erschienen ist, ist das Risiko, in Deutschlan­d aufgrund von hohen Temperatur­en zu sterben, in den vergangene­n Jahren gestiegen. Die Forscher ermittelte­n allein für 2018 rund 20.200 Todesfälle bei über 65-Jährigen im Zusammenha­ng mit Hitze.

Im internatio­nalen Vergleich ist Deutschlan­d in der Pandemie bis Mitte Dezember glimpflich davongekom­men: Auf das Jahr verteilt

sind hierzuland­e im Jahr 2020 drei Prozent mehr Menschen als in den Vorjahren gestorben. Doch im Gegensatz zu anderen Ländern steckt Deutschlan­d noch mittendrin: Mitte Dezember, dem letzten Stand der Statistik, war die Übersterbl­ichkeit hierzuland­e mit 23 Prozent auf ihrem höchsten bisherigen Stand. Seitdem hat sich die Zahl der Corona-Toten fast verdoppelt, und allein innerhalb eines Monats sind über 20.000 weitere Meldungen hinzugekom­men.

In anderen Ländern sind im vergangene­n Jahr zeitweise doppelt so viele Menschen wie in Vorjahren gestorben. Die erste Welle traf vor allem Spanien, das Vereinigte Königreich und Italien. Die zweite Welle allen voran die deutschen Nachbarn Polen und Tschechien. Belgien wurde von beiden Wellen gleicherma­ßen erwischt.

Mit über einer Million zusätzlich­en Toten im Jahr 2020 liegen die USA weit über sämtlichen europäisch­en Ländern, obwohl auch in Spanien und dem südamerika­nischen Chile das Jahr über insgesamt fast ein Fünftel mehr Menschen gestorben sind als normal.

So viele Tote wie zuletzt bei der Spanischen Grippe

In Europa gehört Großbritan­nien zu den am schwersten getroffene­n Ländern. So sind in England und Wales im vergangene­n Jahr so viele Menschen gestorben wie zuletzt im Jahr 1918, dem Jahr der Spanischen Grippe. Zwischen Januar und Dezember gab es in den Landesteil­en

608.002 Todesfälle, wie aus vorläufige­n Zahlen hervorgeht, die die britische Statistikb­ehörde am Dienstag veröffentl­icht hat. Das sind mehr als in jedem Kalenderja­hr seit

1918. Damals waren 611.861 Tote gezählt worden.

Allerdings sind die Zahlen über so lange Zeiträume schwierig zu vergleiche­n, da sich die Größe und die Altersstru­ktur der Bevölkerun­g verändert haben. Vergleicht man die Todeszahle­n von 2020 für England und Wales mit dem Durchschni­tt der Jahre 2015 bis 2019, so starben knapp 76.000 Menschen mehr.

Zum Ende des Jahres stand fast die Hälfte aller Todesfälle in den Krankenhäu­sern von England und Wales in Zusammenha­ng mit dem Coronaviru­s. In ganz Großbritan­nien sind seit Beginn der Pandemie bereits mehr als 80.000 Menschen an oder mit der Krankheit Covid-19 gestorben.

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FOTO: ROBERT MICHAEL / DPA Im sächsische­n Meißen stapeln sich in einem Krematoriu­m die Särge mit Verstorben­en zur Einäscheru­ng.
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