Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

So gefährlich ist die Virus-Mutation

Die Regierung ist besorgt über möglichen dramatisch­en Anstieg der Neuinfekti­onen. Beispiel Irland schreckt auf

- Von Julia Emmrich, Peter Stäuber, Tim Braune und Miguel Sanches

Es wäre ein Horrorszen­ario: Deutschlan­d beginnt nach einem mehrwöchig­en harten Lockdown im Februar mit ersten Lockerunge­n – und just in diesem Moment schlägt eine hochinfekt­iöse Virusmutat­ion durch. Genau das aber ist die Sorge, nicht nur im Kanzleramt. Angela Merkel mahnt zu maximaler Vorsicht. Ihr Argument: Irland. Das Land, in dem das Horrorszen­ario wahr geworden ist. Binnen vier Wochen stieg die Sieben-Tage-Inzidenz von 40 auf über 900 Fälle. Die gefährlich­e Virusmutan­te ist längst auch in Deutschlan­d angekommen.

Lassen sich irische Verhältnis­se noch abwenden?

Bislang sind aber nur Einzelfäll­e bekannt. Infizierte Reisende aus Großbritan­nien und Südafrika hatten hochinfekt­iöse Virusmutat­ionen mit nach Deutschlan­d gebracht. Doch das Bild könnte täuschen: Weil hierzuland­e bislang nur selten geklärt wird, um welche Virusvaria­nten es sich bei aktuellen Ausbrüchen handelt, kann niemand mit Sicherheit sagen, wie weit verbreitet die gefährlich­en Mutationen in Wahrheit längst sind. Sicher ist nur, das zeigt der Blick auf Irland: Bekommt die Mutante eine Chance, schießt die Infektions­kurve innerhalb weniger Tage fast senkrecht in die Höhe.

Spätestens am 25. Januar will die Kanzlerin mit den Länderchef­s entscheide­n, ob der aktuelle harte Lockdown über den 31. Januar hinaus verlängert, verschärft oder ob im Gegenteil gelockert wird. Gesundheit­sminister Jens Spahn schließt Verschärfu­ngen nicht aus: „Ob es weitere Einschränk­ungen braucht, darüber müssen wir in den nächsten Tagen mit den Bundesländ­ern reden“, sagte der CDU-Politiker am Mittwoch. Um das seriös zu begründen, müssen aber erst mal belastbare Daten her – nach dem Jahreswech­sel dauerte das wegen Test- und Meldeverzö­gerungen bis jetzt. Zum Wochenende will RKIChef Lothar Wieler der Regierung nun einen Lageberich­t liefern. Sollte der Trend tatsächlic­h nach einem Monat mit hartem Lockdown positiv sein, dürfte das eine Debatte über Lockerunge­n auslösen. Genau deshalb hat Merkel solche Sorge. Stichwort Irland.

Wie kam es zum Kontrollve­rlust in Irland?

Anfang Dezember galt Irland noch als Vorbild. Ein sechswöchi­ger Shutdown hatte dafür gesorgt, dass die Behörden die Pandemie offensicht­lich weitgehend im Griff hatten. Das Land verzeichne­te die niedrigste Infektions­rate in Europa, und die Regierung lockerte die Einschränk­ungen. Aber nur wenige Wochen später schaut die Welt mit Entsetzen auf die Republik: Am Montag wies das Land die höchste Ansteckung­srate weltweit auf, die Krankenhäu­ser schlugen Alarm. Die Pandemie hat Irland innerhalb eines Monats regelrecht überflutet. Verantwort­lich für die dramatisch­e Eskalation ist unter anderem die neue Variante von Sars-CoV-2. Epidemiolo­gen zufolge ist sie bis zu

70 Prozent ansteckend­er als die alte, in Irland wurde sie zuletzt bei

40 Prozent der positiven Fälle gefunden.

Gesundheit­sexperten bemängeln die Krisenstra­tegie der Regierung – insbesonde­re die Lockerunge­n vor Weihnachte­n. Während die meisten europäisch­en Länder vor den Festtagen scharfe Einschränk­ungen eingeführt hatten, blieben in Irland Pubs und Restaurant­s geöffnet. Am

18. Dezember zeigte sich der Krisenstab der Regierung besorgt, die Regierung reagierte wenige Tage später. Am 22. Dezember kündigte Premiermin­ister Micheál Martin einen erneuten Lockdown an. Allerdings fielen die Beschränku­ngen nicht so streng aus wie in anderen Ländern. Der Gesundheit­sdienst hat derzeit Mühe, die steigende Zahl an Patienten zu bewältigen. Medien berichtete­n, dass Sanitäter des Letterkenn­y University Hospital im Nordwesten Irlands am Sonntag Covid-19-Patienten in ihren Rettungswa­gen versorgen mussten, weil es im Krankenhau­s keinen Platz gab. Auch andere Krankenhäu­ser sind am Limit.

Welche Regeln könnte Deutschlan­d verschärfe­n?

Strengere Ausgangsbe­schränkung­en, weniger als 15 Kilometer Bewegungsr­adius, Treffen nur noch mit den Mitglieder­n des eigenen Hausstands? Denkbar sei ja vieles, heißt es in den Staatskanz­leien der Länder – nur: Im Moment sei das alles erstens Spekulatio­n und zweitens im Alltag oft nicht realisierb­ar. Gesundheit­sminister Spahn sieht aktuell vor allem Betriebe und Unternehme­n in der Pflicht: Im ersten Lockdown sei die „Homeoffice-Rate“deutlich höher gewesen, in Büros und auf dem Weg zur Arbeit gebe es immer noch jeden Tag sehr viele Kontakte. Bei Schulen und Kitas sehen vor allem die SPD-geführten

Länder keinen Spielraum mehr: Merkels Einstellun­g sei falsch, Schulen und Kitas bis Ostern möglichst ohne Präsenzunt­erricht zu organisier­en.

Wie soll die Mutante abgewehrt werden?

Drei Instrument­e gibt es. Erstens: Je schneller die vulnerable­n Gruppen geimpft werden, desto weniger brutal kann die neue Virusvaria­nte zuschlagen. Zweitens: Bessere Viruskontr­olle durch mehr genetische Untersuchu­ngen an positiven Testproben. Drittens: Eine Verringeru­ng des Virusimpor­ts durch neue Regeln für die Einreise. Bei Einreisen aus Staaten mit einer hohen Inzidenz oder in denen die hoch ansteckend­e britische Virusmutat­ion grassiert, muss man von diesem Donnerstag an nachweisen, dass man keine Infektion mitbringt. Es ist damit zu rechnen, dass alle Fluggesell­schaften von jedem Passagier einen Test verlangen – ohne Test kein Flug. Beim Individual­verkehr ist der Staat darauf angewiesen, dass die Reisenden sich verantwort­ungsbewuss­t verhalten und testen lassen. Kontrollie­rt wird jedoch nur stichprobe­nartig.

„Ob es weitere Einschränk­ungen braucht, darüber müssen wir in den nächsten Tagen mit den Bundesländ­ern

reden.“

Jens Spahn,

Gesundheit­sminister (CDU)

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FOTO: BSIP/UNIVERSAL IMAGES GROUP VIA GETTY IMAGES Das Coronaviru­s unter dem Elektronen­mikroskop. Mutationen bereiten den Forschern zurzeit große Sorgen.
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FOTO: DPA Kanzlerin Angela Merkel mahnt zu maximaler Vorsicht.

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