Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Die Angst vor der nächsten Welle
In China gibt es so viele Neuinfektionen wie seit Monaten nicht. Unbemerkte Ansteckungen in den Dörfern bereiten Sorge
Mit einem Absperrband lässt der Sicherheitspförtner die anlaufenden Passanten vor der IFCMall abblitzen: Wer das luxuriöse Einkaufszentrum gegenüber dem ikonischen Oriental Pearl Tower in Schanghai betreten möchte, muss zunächst einen gültigen Gesundheitscode auf seinem Smartphone präsentieren und danach eine Kamera passieren, die die Körpertemperatur misst. Was in vielen Städten wie Peking fester Bestandteil des Alltags ist, ist für die Bewohner der liberalen Metropole am JangtseFluss ungewohntes Neuland.
Das neuartige Coronavirus SarsCoV-2
wütet derzeit vor allem in der Provinz Hebei. In deren Hauptstadt Shijiazhuang hat sich der größte Infektionscluster Chinas seit Langem gebildet, 115 Neuansteckungen meldeten die Gesundheitsbehörden am Mittwoch – so viele wie seit fünf Monaten nicht mehr. Die bisher knapp 1000 Fälle seit Neujahr fallen in kleineren Teilen zusätzlich auf mehrere Städte im Nordosten des Landes, was das Risiko einer unkontrollierten Verbreitung steigen lässt. Im internationalen Vergleich mögen die Zahlen niedrig erscheinen, doch im zwischenzeitlich nahezu virenfreien Reich der Mitte sorgen sie für Entrüstung: Landesweit sind mittlerweile über 28 Milschwindigkeitszüge
Bewohner in häuslicher Quarantäne.
Extrem rasch und vor allem drastisch reagieren die Behörden. Shijiazhuang war bereits am Freitag im „Kriegsmodus“und ging in einen vollständigen Lockdown, Hochge
durch die umliegende Provinz nehmen zudem keine Passagiere mehr auf.
Vor allem in Peking sind die Behörden alarmiert: In der Hauptstadt wurde die Zwangsquarantäne bei Einreisen aus dem Ausland oder aus heimischen Hochrisikogebieten von zwei auf drei Wochen in einem staatlich zugewiesenen Hotelzimmer erhöht. In der Parteizeitung „Global Times“heißt es, dass in den nächsten Tagen „höchstwahrscheinlich neue Ausbrüche ausgelöst“werden. Das habe zum einen damit zu tun, dass die aktuellen Fälle durch einen neueren Virusstrang verursacht werden, der im Vergleich zur ursprünglichen Valionen riante aus Wuhan deutlich infektiöser ist. Ob es sich dabei um die aus Großbritannien stammende Mutation handelt, ist unklar.
In der aktuellen Situation lauert eine neue Gefahr: die unbemerkten Ansteckungen in den Dörfern, die von den Behörden wohl nur mit Verspätung erkannt werden können. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass das chinesische Neujahr 2021 ausfallen wird. Am 12. Februar beginnen die Feiertage, bei denen die Hälfte der 1,4 Milliarden Chinesen auf Reisen zu ihren Familien ist. Dieses Jahr hat die Regierung eine freiwillige Reisewarnung herausgegeben, die bald zum verpflichtenden Verbot werden könnte.