Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Wehrbeauftragte Eva Högl fordert „absolute Transparenz“vom Kommando Spezialkräfte. Es geht um gestohlene Munition - und Rechtsextremismus
Die Politik erwägt, Lehrer früher zu impfen als bislang geplant. Es ist höchste Zeit dafür. Lehrer arbeiten an der Pandemiefront. „Ich habe das Gefühl, ich werde verheizt“, gestand eine ältere Lehrerin weinend in einer Debatte zum Thema Corona. Diese Ängste sind begründet und man muss sie ernster nehmen.
Lehrer und Lehrerinnen sind mit Hunderten Kontakten täglich konfrontiert. Sie arbeiten über Stunden in Klassenräumen, die sich oft schlecht belüften lassen. Die Hygieneregeln, entwickelt von Bürokraten in Schulbehörden, sind im Alltag einfach nur weltfremd. Wenn sich im Pausenhof zwei Jungs in die Haare kriegen, geht ein engagierter Lehrer dazwischen und misst nicht erst den empfohlenen Abstand nach. Und bei den ganz Kleinen muss auch mal getröstet werden. Das macht eine Lehrerin mit Herz nicht auf zwei Meter Distanz – und das ist auch gut so. Von engagierten, mutigen Lehrern profitieren alle Schüler.
Das größere Risiko aber liegt eindeutig bei den Pädagogen. Die Ständige Impfkommission hatte entschieden, Lehrer erst in Gruppe 3 zu impfen. Diese Entscheidung war damals schon umstritten. In Zeiten hoch ansteckender Mutanten ist sie falsch. Denn anders als gesundheitlich gefährdete Personen sind ungeimpfte Lehrer durch ihre vielen Kontakte Pandemietreiber. Sie jetzt beim Impfen vorzuziehen, weil Astrazeneca übrig ist, ist nicht ungerecht, sondern sinnvoll. Für die Lehrer, für unsere Kinder – und damit für uns alle.
Ich freue mich für jede geimpfte Lehrerin, jeden Erzieher. Ich sehne selbst den Tag herbei, an dem ich mein Kind zu geimpftem Personal in die Kita schicken kann. Politisch ist die Entscheidung, Lehrkräfte früher zu impfen, absolut nachvollziehbar. Das macht sie nur nicht zwangsläufig richtig. Leider. Die Wahrheit ist: Aktuell ist der Impfstoff knapp, und solange das so bleibt, rückt mit jeder und jedem, der in der Impfschlange vorrückt, eine andere Person nach hinten. Dafür, dass die 35-jährige Lehrerin ohne Vorerkrankungen eine Spritze bekommt, muss ein Krebspatient in der Chemotherapie, der Ehemann einer Hochrisikoschwangeren oder eine Sprechstundenhilfe, die täglich Alte und Kranke berührt, länger warten.
So essenziell die Schulen und Kitas sind, so wenig dürfen wir die Tatsache verdrängen, dass andere schützenswerte Personen dadurch länger auf ihren Schutz warten müssen. Und dadurch womöglich schwer erkranken oder gar sterben. Ja, Lehrkräfte haben ein erhöhtes Risiko zu erkranken, aber es gab eben auch gute Gründe, sie nicht in die Gruppe 2 der Impfreihenfolge zu nehmen.
Ob die aktuelle Entscheidung richtig ist, werden wir erst in Jahren wissen, wenn die Wissenschaft beurteilen kann, welche Maßnahmen der Pandemiebekämpfung richtig waren, welche Schäden unsere Kinder durch geschlossene Schulen davongetragen haben und wie viele Tote mit einer anderen Impfreihenfolge hätten verhindert werden können.
Berlin.
Eine „Amnestie“für Waffen und Munition belastet nach Ansicht der Wehrbeauftragten Eva Högl den „gesamten Prozess von Aufklärung und Reform“beim Kommando Spezialkräfte (KSK), einer sogenannten Elitetruppe der Bundeswehr. In ihrem am Dienstag vorgestellten Jahresbericht mahnt Högl „absolute Transparenz“an.
Rechtsextremismus:
477 Verdachtsfälle
Die Kritik entzündet sich daran, dass die KSK-Soldaten im Laufe des letzten Jahres gestohlene Munition straffrei zurückgeben konnten. Der Vorfall ist bezeichnend. Zum einen wurden 2020 der Wehrbeauftragten mehr Fälle (229) von extremistischen Tendenzen gemeldet als im Vorjahr (197) . Zum anderen stand das KSK laut Högl „im Fokus“. Der Verband hat sich auch zum Schwerpunkt des Militärischen Abschirmdienstes (MAD), des Verfassungsschutzes der Bundeswehr, entwickelt. Insgesamt zählte der MAD allein im Rechtsextremismus 477 Verdachtsfälle in der Bundeswehr.
Erst am Montag hatte die Staatsanwaltschaft Tübingen Vorermittlungen eingeleitet. Untersucht wird, ob es zu einer Strafvereitlung gekommen ist. Bei der Bundeswehr steht eine Ablösung von KSK-Kommandeur Brigadegeneral Markus Kreitmayr im Raum. Nach einer Reihe von rechtsextremistischen Vorfällen beim KSA hatte er 2018 das Kommando übernommen. Kreitmayr stand für einen Kulturwandel, für null Toleranz und das Ende einer „Mauer des Schweigens“, einen Neuanfang. Diesem Zweck diente womöglich die Aufstellung von Sammelboxen für gehortete Munition. Mehrere Tausend Schuss Munition und sogar Hand- und Nebelgranaten kamen
„Mauer des Schweigens“über rechtsextreme Vorfälle? Die KSK-Elitetruppe der Bundeswehr (Kommando Spezialkräfte) ist in der Kritik.
2020 zusammen – die dem Vernehmen nach mehr als vermisst worden waren.
Wann Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) von der Amnestie erfuhr, ist unklar. Laut dpa war ihr Ministerium spätestens am 23. September vom Heer über die Amnestieboxen informiert worden. Die internen Ermittlungen laufen. Kramp-Karrenbauer stellt eine Aufklärung für nächste Woche in Aussicht. Für die Opposition sieht es so aus, als würde sie sich wegducken, auf Zeit spielen und ein Bauernopfer suchen. Sie wurde aufgefordert, schon am morgigen Mittwoch dem Verteidigungsausschuss des Bundestages dazu Rede und Antwort zu stehen.
Högl war seit Amtsübernahme Ende Mai 2020 ungewöhnlich oft beim KSK im baden-württembergischen Calw, insgesamt dreimal. Kramp-Karrenbauer und Generalinspekteur Eberhard Zorn hatten im letzten Jahr 60 Vorschläge für eine Reform des Verbandes gemacht – die Fehlbestände bei Munition hatten sie schon damals thematisiert, die Amnestie indes nicht.
Ob des KSK-Skandals gerät in den Hintergrund, dass die meisten Eingaben von Soldaten bei der Wehrbeauftragten – fast 500 – die
Covid-19-Pandemie betrafen. Verkürzte Ausbildung, abgesagte Lehrgänge, ausgefallene Übungen, verschobene Beförderungen, mehrfach Quarantäne vor und im Einsatz, Homeoffice, Amtshilfe: Die Belastungen für die Soldaten durch Corona waren enorm, die Leistungen aber auch. Högl schlägt eine Einsatzmedaille für alle Soldaten im Corona-Kampf vor. Der Bundeswehr empfiehlt sie, eine Impfpflicht zu „prüfen“, aber zunächst auf Freiwilligkeit zu setzen. Die Ausnahme: Soldaten im Auslandseinsatz, in der Amtshilfe oder im Sanitätsdienst „müssen geimpft sein“.
Einen erfreulichen Trend führt sie indirekt auf die Pandemie zurück. 2020 wurden deutlich weniger sexuelle Übergriffe (224) als im Vorjahr (345) gemeldet. „Soldatinnen und Soldaten waren vermehrt im Homeoffice.“Feiern – oft Auslöser von sexuellen Übergriffen – fielen in der Pandemie aus.
Frauenanteil in der Truppe unter 10 Prozent
Falsches Führungsverhalten, überzogene Härte in der Ausbildung – „Klassiker“der Jahresberichte der Wehrbeauftragten – gerieten im Jahr der Pandemie in den Hintergrund. Klare Worte fand Högl für den Einsatz in Afghanistan. Nach rund 20 Jahren sei ein Ende der Mission „absehbar“und „Zeit für eine kritische, ehrliche Bilanz“. Eine Dauerklage betraf auch 2020 die Materialausstattung, obwohl der Haushalt gestiegen ist. „Deutlich zu langsam voran geht es bei der Modernisierung der Liegenschaften der Bundeswehr“, stellt Högl im 62. Jahresbericht fest. „Unzumutbar sind die Zustände in manchen Gebäuden“, rügt sie. Ein eigenes Kapitel nimmt im 150 Seiten langen Bericht die Frauenförderung ein. 20 Jahre nach der Öffnung der Bundeswehr für Frauen habe man die selbst gesteckten Ziele nicht erreicht. Festgelegt war eine Quote von 15 Prozent – in Wahrheit liegt der Frauenanteil bei 8,88 Prozent. „Wenig zweckdienlich“ist für Högl auch, dass das Durchschnittsalter der Soldaten seit 2012 von 30,3 auf 33,4 Jahre gestiegen ist, ganz schön alt.