Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
„Aber wann passt das schon mal?“ Sozialpolitikerin Diana Lehmann fordert das Land auf, Familien mehr Gehör zu geben
Die Diskussion ist schon über eine Stunde alt, da setzt Barbara Lochner noch einmal zu einem Grundsatzstatement an. „Wir haben Eltern das gesellschaftliche Versprechen gegeben und mit diesem Versprechen kann man nicht einfach brechen.“
Lochner ist Professorin an der Fachhochschule in Erfurt und forscht zu Situationen der Familien in der Coronakrise. Was sie meint? Seit drei Jahrzehnten wird Eltern deutlich gemacht, dass sie für Bildung und Erziehung ihrer Kinder nicht allein sorgen müssen, sondern von der Gesellschaft unterstützt werden. Im Lockdown, auch im zweiten, überwiegen Zweifel daran, dass auf Familien und Kinder wirklich mit Priorität geschaut wird.
Die SPD-Fraktion im Thüringer Landtag will das Thema deshalb stärker in den Fokus rücken und hat dazu am Montagabend eine OnlineDebatte organisiert, bei der zeitweise bis zu 50 Zuhörer zeitgleich dabei waren – in Pandemie-Zeiten als Präsenzveranstaltung undenkbar. Neben Lochner gehörten die Mütter Marlene Steiche und Carola Schneider von der Initiative „Familien in der Krise“sowie die SPD-Sozialpolitikerin Diana Lehmann zu den Teilnehmerinnen und komplettierten ein durchweg weiblich besetztes Podium.
Wie angespannt die Lage in den Familien ist, hat nicht nur Barbara Lochner in einer Studie dargelegt. Es wird auch an den geschilderten Erlebnissen deutlich. Dabei wird schnell klar: Der Frust über Entscheidungen im politischen Erfurt ist groß. Marlene Steiche muss nur wenige Tage zurückblicken, um in Rage zu geraten. Ihr Anlass: die Rolle rückwärts der Landesregierung, die die Schul- und Kindergartenöffnungen am Freitagnachmittag plötzlich doch an den Inzidenzwert in der jeweiligen Region koppelte. „Das war eine Hammernachricht“, sagt Steiche. Jetzt seien es wieder die Kinder, die die größte Last zu tragen haben.
Diana Lehmann facht das Feuer in Richtung der Landesregierung übrigens noch weiter an. Zur Erinnerung: Ihre Partei, die SPD, gehört dem Minderheitsbündnis an. Lehmann wirft den zuständigen Ministern der Linkspartei indirekt vor, nicht vorausschauend gehandelt zu haben und stellt auch in Abrede, was Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) noch am Wochenende sagte. Er hatte erklärt, dass man Anfang der vergangenen Woche von sinkenden Werten ausgegangen sei. Lehmann hält dagegen: „Die Werte in Thüringen waren auch in der vergangenen Woche schon so hoch, dass ich gesagt hätte, wir öffnen nicht zum 22. Februar.“Man hätte lieber noch drei Wochen mit der Schul- und Kindergartenöffnung warten und den Zahlen die Chance geben sollen, sich zu erholen.
Die Unzufriedenheit liegt aber nicht nur in der schlechten Kommunikation der Landesregierung begründet. Das stellt Barbara Lochner in ihrer Studie fest. Ihr Rückschluss: „Wenn wir zu einer Normalität zurückkehren, dann werden sich Belastungen zeigen, die jetzt noch gar nicht sichtbar sind.“
Für Diana Lehmann steht deshalb eine Forderung im Fokus: „Wir müssen zwingend die Perspektiven der Eltern einbeziehen. Das richtet sich an die Landesregierung.“Kammern oder Gewerkschaften hätten diesen exklusiven und einfachen Zugang zu den Regierenden – Familien müsse das ermöglicht werden, damit sie Gehör finden.
Übrigens: Für die Thüringer SPD gibt es nach dem Format, das durchaus seinen Reiz hatte, einen Lerneffekt: In der Chatfunktion zur Debatte machte eine Teilnehmerin deutlich, dass die Startzeit 18 Uhr gerade für mit Heimarbeit und Heimunterricht doppelt bis dreifach belastete Eltern ungünstig früh ist – ihr Kommentar zeigt besonders deutlich, wie angespannt die Lage in Familien ist: „Interessante Diskussion, nur leider eine ungünstige Uhrzeit für #Corona Eltern. Aber wann passt das schon mal im Moment?“