Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Bürgermeisterin in der kleinsten Stadt
Christine Bardin stammt aus Franken und entdeckte Ummerstadt erst nach ihrer Rückkehr aus den USA
Ummerstadt. Zu DDR-Zeiten war die mittlerweile kleinste Stadt im Land kaum zu erreichen. Sperrgebiet. An drei Seiten von der Grenze umgeben. Wie in einem Wurmfortsatz im Rodachtal südlich von Bad Colberg gelegen. Abgeschnitten von der Welt. Coburg lag nicht nur hinter dem Berg, sondern in einem anderen Land.
Heute ist Ummerstadt ein von gut sanierten Fachwerkhäusern dominiertes städtebauliches Kleinod und ein Ort, der Unterhaltung und Ruhe zugleich bietet. Zum Arbeiten fahren viele nach Franken rüber. Es gibt morgens einen Backwarenverkauf, abends treffen sich die Ummerstädter im Gasthof. Ein kleines Café öffnet an den Wochenenden. Fahrzeuge ruckeln laut über das historische Pflaster. Aber so gut wie kein Handy fiept: Ummerstadts Mitte liegt quasi im Funkloch. Das mag für manchen Radtouristen oder Wanderer, der die Übernachtungsgelegenheit am Markt oder in der Pension eine Straße weiter nutzt, ganz entspannend sein … Und die Einheimischen haben ja Breitband. Die kleine Stadt stehe da als modellhaft vorne dran in der Verwaltungsgemeinschaft Heldburg, sagt Christine Bardin. Die Zugezogene, die seit 2004 ehrenamtliche Bürgermeisterin ist, bringt das, was Ummerstadt ausmacht, auf den Punkt: „Wir sind ein wenig was Besonderes.“
Zu DDR-Zeiten war im Sperrgebiet selbst das Winken verboten Ummerstadt ähnelt von den Problemlagen her manchem Dorf vergleichbarer Größe. Doch hier gibt es viel Bürgersinn und zudem etwas, was in vielen Kommunen längst Geschichte ist: ein Brauhaus der Bürger, in dem jährlich zwei Mal – im März und im Herbst – von den Hobbybrauern eigenes Bier hergestellt wird. Für den Eigenbedarf. Und als Kostprobe beim Stadtfest, wenn es denn wieder Stadtfeste geben kann.
So idyllisch Ummerstadt heute wirkt, es hat eine Grenzgeschichte und damit war manches Unrecht verbunden. Wer von hier vertrieben wurde in den frühen Jahren der DDR und es auf Umwegen in den Westen schaffte, der schaute vom Ummerstädter Kreuz auf einer Anhöhe gelegen runter in die Stadt oder rüber zum Friedhof. Heimweh plagte viele, die damals weg mussten. Und die, die in Ummerstadt lebten, durften – wie in anderen Orten direkt an der Grenze auch – nicht einmal zurückwinken. Der Abschnittsbevollmächtigte hatte ein Auge darauf, dass jegliche Kontaktaufnahme unterblieb. So war das.
Ummerstadt mit seinen mittlerweile etwa 470 Einwohnern ist als Wohnort derart beliebt, dass gerade ein Neubaugebiet am Stadtrand entsteht. Architektin Christine Bardin sieht die Nutzung der Fachwerkhäuser als vorrangig an – und hofft, weiterhin Leerstände vermeiden zu können. Dass etwa zwei junge Berliner Paare für so eine Art zu wohnen Interesse zeigen, freut sie beim Zuwachs der Neubürger. Bardin ist aber außerdem langjährige Bürgermeisterin – und als solche weiß sie, dass die jungen Leute bisweilen andere Vorstellungen haben als das, was in altem Gemäuer an Umbau möglich ist. Und schließlich soll die Stadt nicht noch kleiner werden. Wichtiger noch als neuer Wohnraum wäre allerdings ein Investor, denn jüngst ist ein wichtiger
Gewerbesteuerzahler weggefallen. Das Geld fehlt nun in der Stadtkasse. Und weil der Borkenkäfer im Stadtwald wütet, ist mit Holz derzeit kaum Geld zu verdienen. Es herrscht aktuell Haushaltssperre. Und die Bürgermeisterin hat aktuell noch nicht einmal eine Verwaltungskraft in Teilzeit, weswegen sie deren Büroarbeit nun übergangsweise miterledigt.
Christine Bardin ist Jahrgang
1961. Sie wuchs nur wenige Kilometer entfernt auf der bayerischfränkischen Seite der Grenze auf. Das nahe, aber durch die Grenze unerreichbare Ummerstadt lernte sie erst nach ihrer Rückkehr aus den USA kennen. Es habe in der Verwandtschaft Vorbehalte gegeben, als sie sich im Thüringischen ansiedelte mit ihrem Mann, einem US-Amerikaner. Doch sie hätten, sagt sie, den Schritt nicht bereut – und seien hier heimisch geworden. Und was sie an Bardin haben, das wissen auch die Ummerstädter: Seit
2004 ist sie ehrenamtliche Bürgermeisterin. Die beiden Söhne sind mittlerweile aus dem Haus – und raus in die Welt gegangen. Bardin versteht das gut: Ihr eigener Weg führte sie einst auch raus aus der Provinz. Für sie stand die Rückkehr nach Deutschland erst zur Debatte, als es um die Frage ging, ob es nicht besser sei, wegen der Kinder in der Nähe der Oma zu wohnen. Und mittlerweile war ihr Heimatort nicht mehr westliches Zonenrandgebiet und Ummerstadt nicht mehr Sperrgebiet.
Das Fachwerkstädtchen im
Rodachtal bietet mehr als Wohnraum Bardin hat Überzeugungskraft, wenn es darum geht, deutlich zu machen, dass der Einsatz für die Kommune manche Anstrengung lohnt. Gerade als es um die Städtebauförderung ging, konnte sie ihr Wissen als Architektin gut nutzen bei den Verhandlungen mit den Verwaltungen etwa im fernen Erfurt. Der Stadtkern ist weithin zum Schmuckkästlein geworden – und auch jetzt werden noch weitere Häuser saniert. Abends, wenn es warm ist, sitzen vor manchen Häusern ein paar Nachbarn beisammen. „Wir haben hier viele Mehrgenerationenfamilien“, sagt die Bürgermeisterin – und das ist gut für Jung und Alt. Die Kleinen können in Ummerstadt den Kindergarten besuchen. Die Grundschule ist im nahen Heldburg, wo auch die Regelschüler hingehen. Gymnasien können sowohl in Hildburghausen als auch in Coburg besucht werden. Bardin lobt die Nachbarschaftshilfe. Das macht es jenen leichter, die nicht mehr selber in die Kreisstadt oder rüber nach Franken fahren können. Individualverkehr hat einen hohen Stellenwert. Das hieße auch, sagt Bardin: „Busse fahren oft fast leer.“Immerhin gibt es für jene, die darauf angewiesen sein, auch am Wochenende tagsüber je zwei, drei Verbindungen in beide Richtungen – nach Hildburghausen und nach Coburg sowie zurück. Wer als Jugendlicher aber abends weg will, braucht hier – wie in vielen ländlichen Regionen – einen Fahrer. Und möglichst bald einen Führerschein.
Bardin schätzt in Ummerstadt die kurzen Wege. Derzeit ist die Gastronomie im Rathaus nicht verpachtet. Corona hat es dem vorigen Wirt schwer gemacht. Bardin aber möchte nicht, dass die Räume auf Dauer leer stehen. Sie sagt: „Ein Rathaus ohne Wirtshaus ist nix.“Sie habe oft nach der Arbeit im Büro noch einen kurzen Stopp am Stammtisch eine Etage tiefer gemacht. „Da habe ich mich an den runden Tisch gesetzt und gleich gehört, was es zu meckern gibt.“
Christine Bardin sagt, sie habe alles erreicht, was sie sich vorgenommen habe für Ummerstadt. 2022 ist die nächste Wahl. Sie sieht damit dem Ende ihrer Zeit als Bürgermeisterin entgegen. Denn: „Bis 67 möchte ich nicht weitermachen.“