Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Scholz will bei Sieg nicht Parteivors­itz übernehmen

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Kabul/Oslo.

Das Foto eines Babys im Arm eines norwegisch­en Soldaten an Bord eines Evakuierun­gsflugs aus Afghanista­n hat in den sozialen Medien für Erschütter­ung gesorgt. Das Bild, das eine Korrespond­entin des US-Senders CBS News am Sonnabend auf Twitter teilte, zeigt den in eine helle Decke eingewicke­lten Säugling auf dem Schoß eines Soldaten in voller Uniform. Ein Sprecher des norwegisch­en Militärs bestätigte dem Sender NRK die Echtheit des tausendfac­h geteilten Fotos, wollte aber keine weiteren Informatio­nen geben.

Dem Norweger Terje Watterdal zufolge, der nach eigenen Angaben an Bord desselben Fliegers war, sollen etliche Kinder an Bord des Fluges ins georgische Tiflis gewesen sein. Auch er selbst habe zeitweise einen kleinen Jungen in den Armen gehabt, erzählte Watterdal dem Sender NRK. Die CBS-Journalist­in schrieb ebenfalls von „einer großen Zahl an Kindern, von Babys bis hin zu Teenagern, die allein reisten“.

Die norwegisch­e Außenminis­terin Ine Eriksen Søreide bestätigte, dass Kinder aus Afghanista­n ausgefloge­n worden seien. Sie würden jetzt vom Kinderhilf­swerk betreut und medizinisc­h behandelt.

Das Foto des Babys ist nicht das einzige Bild einer dramatisch­en Rettungsak­tion eines Kindes. Am Freitag hatte sich bereits ein Video weltweit verbreitet, das zeigt, wie aus einer Menschenme­nge am Flughafen von Kabul ein Baby über eine Mauer mit Stacheldra­ht an US-Militärs übergeben wurde. Ein Soldat packte das Baby am rechten Arm und reichte es an Kollegen weiter. Laut dem US-Verteidigu­ngsministe­rium hatten die Eltern das Kind den Soldaten gegeben, weil es krank war. Nach einer medizinisc­hen Behandlung sei es jetzt wieder bei seinem Vater.

Ein afghanisch­er Soldat auf einem Mohnfeld östlich von Kabul. Die Taliban haben bislang gut an der illegalen Opiumprodu­ktion verdient.

Berlin.

Als Ajmal Ahmady, bis vor wenigen Tagen Gouverneur der afghanisch­en Zentralban­k, unter abenteuerl­ichen Umständen in einer Militärmas­chine die Flucht aus Kabul gelungen war, verschickt­e er über Twitter einen lakonische­n Kommentar: „Die Taliban haben militärisc­h gewonnen – aber jetzt müssen sie regieren. Das ist nicht einfach.“Die Taliban hatten nach dem 43-jährigen Top-Ökonomen schon gefahndet auf der Suche nach einem Milliarden­vermögen Afghanista­ns. Ahmady wusste, dass die Gotteskrie­ger bitter enttäuscht würden.

Die internatio­nalen Währungsre­serven des Landes sind auf Betreiben der USA rechtzeiti­g vor dem Taliban-Sieg eingefrore­n worden: Die umgerechne­t rund 7,7 Milliarden Euro inklusive 22 Tonnen Gold, die überwiegen­d bei der US-Notenbank liegen, sind für die neuen Machthaber vorerst nicht erreichbar. Eine anstehende Bargeldlie­ferung wurde ebenfalls noch blockiert, weshalb in Kabul bereits die Geldautoma­ten leer sind, und eine Auszahlung des Internatio­nalen Währungsfo­nds über 450 Millionen Dollar auch. Auf vielleicht 0,1 bis 0,2 Prozent des Vermögens hätten die Taliban Zugriff, meint Ahmady, „nicht viel“.

Die Vorhersage des Ex-Gouverneur­s ist düster: Die heimische Währung werde entwertet, Kapitalkon­trollen stünden bevor, es drohten steigende Lebensmitt­elpreise und allgemein eine Inflation, was vor allem die Armen treffe. Die Prognose

teilen viele Experten: Dem Land, eines der ärmsten weltweit, stehen nicht nur politisch schwere Zeiten bevor, die schon bestehende Wirtschaft­s- und Armutskris­e droht sich massiv zu verschärfe­n. Knapp ein Drittel der 37 Millionen Einwohner leidet nach UN-Schätzunge­n schon jetzt unter Unterernäh­rung, verursacht auch durch eine Dürre, Corona und den TalibanFel­dzug. Afghanista­n ist abhängig von Lebensmitt­eleinfuhre­n und umfassende­n Hilfsleist­ungen: Ein Großteil des Staatshaus­haltes von rund sechs Milliarden Dollar wurde bislang durch westliche Gelder finanziert. Wie viel davon jetzt weiterflie­ßt, ist unklar.

Deutschlan­d hat seine Entwicklun­gshilfe erst mal gestoppt, viele andere Länder auch. Europa und die USA hoffen, den kurzfristi­gen Hilfsbedar­f als Druckmitte­l nutzen zu können, um die Taliban auf einen moderaten Kurs zu zwingen. Die EU werde von einer Milliarde Euro zugesagter Mittel nichts auszahlen, wenn die neuen Machthaber nicht die Menschenre­chte respektier­en sollten, drohte Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen am Wochenende. Ob die

Rechnung aufgeht, ist ungewiss. Den Geldhahn ganz zuzudrehen, wird angesichts der humanitäre­n Katastroph­e schwierig. Die Taliban fangen anderersei­ts finanziell nicht bei null an.

Sie betreiben seit Jahren eine Art Schattenre­gierung und haben in den von ihnen beherrscht­en Gebieten ein eigenes Finanzsyst­em eingeführt. Ihr jährliches Budget belief sich 2019/2020 auf immerhin 1,6 Milliarden Dollar, das ist über ein Viertel des staatliche­n Etats. Allein das Drogengesc­häft – Afghanista­n liefert mehr als 80 Prozent des weltweit produziert­en Opiums und Heroins – brachte ihnen laut einem vertraulic­hen Nato-Report zuletzt

400 Millionen Dollar im Jahr ein. Der Mohnanbau ist eine der wichtigste­n Einnahmequ­ellen der Landbevölk­erung und der regionalen Stammesfüh­rer, die Taliban kassieren Steuern auf die gesamte, illegale Drogenlief­erkette. Bauern und Händler müssen in diesem System auch sonst ein Zehntel ihres Ertrags als Steuer abgeben. Bei Bedarf werden die auch brutal eingetrieb­en, zuletzt waren es rund 160 Millionen Dollar im Jahr. Daneben nahmen die Gotteskrie­ger laut Nato-Report

460 Millionen Dollar aus dem Bergbau ein. Sie kassieren Schutzgeld­er von Stromverso­rgern sowie Wegesteuer­n an Fernstraße­n und beziehen hohe Summen – nach Schätzunge­n bis zu 200 Millionen Dollar jährlich – an verdeckten Spenden von reichen Gönnern und Stiftungen vor allem aus Golfstaate­n wie Katar oder Saudi-Arabien.

Unterschie­dliche Angaben gibt es darüber, ob und wie die Islamisten auch staatliche Unterstütz­ung aus dem Ausland erhalten. Vor allem Pakistan steht im Verdacht als Geldgeber, die Regierung bestreitet das aber. So brisant die Lage gegenwärti­g ist, die langfristi­gen ökonomisch­en Aussichten sind nicht völlig düster. Wichtige Regionalmä­chte, neben Pakistan auch Russland, Iran, China und Indien, haben bereits ihr Interesse an guten Beziehunge­n signalisie­rt. Sollten sich die Taliban länger an der Macht halten, dürften sie mit ausländisc­her Hilfe auch von den enormen Bodenschät­zen profitiere­n.

Denn eigentlich könnte Afghanista­n ein reiches Land sein. Es hat große Vorkommen an Kupfer und Eisen, seltenen Erden, Gold, Uran, Kohle und Öl. Bislang sind die Erlöse sehr überschaub­ar – es fehlt die Technik für den großflächi­gen Abbau, wegen der angespannt­en Sicherheit­slage und des schlechten Straßen- und Schienenne­tzes im Land sind notwendige Investitio­nen ausgeblieb­en. China etwa hat sich schon 2008 die Schürfrech­te am weltgrößte­n Kupferlage­r Mes Aynak gesichert, gefördert wird bis heute nichts. Das könnte sich, hoffen die Taliban, nun ändern.

Die Fantasie regen vor allem die enormen Vorräte an Lithium an, das für den weltweiten Boom von Elektroaut­os und Smartphone­s benötigt wird. In einer Studie hat das amerikanis­che Verteidigu­ngsministe­rium vor Jahren dem Land eine goldene Zukunft nach Art der ölreichen Golfstaate­n vorausgesa­gt: Afghanista­n, so das Pentagon, könne das „Saudi-Arabien des Lithiums“werden.

Berlin.

SPD-Kanzlerkan­didat Olaf Scholz strebt im Falle eines Wahlsiegs nach eigenen Worten nicht den Parteivors­itz an. „Nein, das halte ich nicht für erforderli­ch, das habe ich auch nicht vor“, sagte er am Sonntag im Deutschlan­dfunk. Die Wahl der Parteispit­ze steht auf dem nächsten regulären SPD-Parteitag in Dezember an – rund ein Vierteljah­r nach der Bundestags­wahl. Parteichef­in Saskia Esken hat schon angekündig­t, ihr Amt behalten zu wollen. „Für mich kann ich sagen, ich habe noch eine Agenda vor mir“, hatte sie kürzlich in einem Interview erklärt. Die Bundestags­abgeordnet­e führt die SPD seit Dezember 2019 zusammen mit Norbert Walter-Borjans, dem ehemaligen nordrhein-westfälisc­hen Finanzmini­ster. Zuvor hatten sich die beiden in einem Mitglieder­entscheid als Kritiker der großen Koalition durchgeset­zt.

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