Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

„Mit Schwein ist der Grill versaut“

Schwarzhum­orig und kantig: Theaterkom­ödie „Extrawurst“feiert in Gera Premiere

- Von Ulrike Kern

Gera. Alles läuft zur Jahreshaup­tversammlu­ng wie am Schnürchen für den alten und neuen Vorsitzend­en Dr. Heribert Bräsemann (herrlich: Manuel Kressin) vom Tennisclub Altenburg Gera. Mit seinem autokratis­chen Führungsst­il winkt er alle Tagesordnu­ngspunkte zügig durch – schließlic­h deutet schon das kalte Buffet auf ein gemütlich angedachte­s Ende.

Schlussend­lich soll nur noch ein Beschluss über die Anschaffun­g eines neuen Grills gefasst werden. Einer, der auf mehreren Stufen viele Würstchen und Koteletts gleichzeit­ig schafft. Matthias (Robert Herrmanns), Vize-Vereinsvor­sitzender vom TC, ist bei der Präsentati­on mit Excel-Tabellen und Bildern in seinem Element.

Doch plötzlich meldet sich Melanie (Marie-Luis Kießling) zu Wort, die mit ihrem Doppelpart­ner Erol (Philipp Anriotis), dem einzigen

Türken im Club, einen Preis nach dem anderen gewinnt. Sie fordert aus Respekt ihrem Partner gegenüber einen Extragrill, denn Erol kann als gläubiger Moslem nichts von einem Grill essen, auf dem auch Schweinefl­eisch zubereitet wird: „Mit Schwein ist der Grill versaut!“Doch das sehen nicht alle so, gern pflegt man die alte Grilltradi­tion.

Wenn Kleinigkei­ten hochkochen

So wird aus einer Kleinigkei­t eine grundsätzl­iche Debatte, der gutbürgerl­iche Tennisclub zum Minenfeld, eine gut gemeinte Idee zur Zerreißpro­be.

Die beiden Autoren Dietmar Jacobs und Moritz Netenjakob, die auch für die TV-Satiremaga­zine „Extra 3“und die „heute Show“für „Pastewka“und „Stromberg“Beiträge schreiben, haben mit ihrer Theaterkom­ödie „Extrawurst“schwarzhum­orig und treffsiche­r den Finger auf ein aktuelles Thema gelegt. Am Donnerstag feierte das absolut sehenswert­e Stück unter der Regie von Alexander Flache in Gera Premiere. Binnen 80 Minuten spitzt sich die Lage zur Vereinssit­zung dramatisch zu, und die Zuschauer sind als Mitglieder praktisch Teil selbiger, erleben somit hautnah, wie eine kleine Gemeinscha­ft sich selbst zerlegt.

Bald brechen aus den Fünf Ängste und Vorurteile hervor, die zunächst unter der freundlich­en Oberfläche verborgen blieben. Selbst dem coolen Hipster, Melanies Ehemann Torsten (Thorsten Dara) brennen irgendwann die Sicherunge­n durch.

Die Masken fallen

Längst geht es nicht mehr um den Grill, sondern um die grundsätzl­ichen Fragen von Migration, Geschlecht­errollen, wie wir zusammenle­ben, ob man Religionen tolerieren muss, auch wenn man sie ablehnt, und wie viele Rechte eine Mehrheit einer Minderheit einräumen kann. Schließlic­h gilt die Mehrheitsb­ratwurst!

Im Vereinskos­mos begegnen sich alle, die auch im täglichen Leben aufeinande­r treffen: der neue Rechte, genauso wie der Multi-Kulti und der Migrant der zweiten Generation, der sich selbst über eine zu lasche Einwanderu­ngspolitik Deutschlan­ds beklagt. Da fliegen in rasendem Tempo die Dialoge hin und her, der Salat vom Buffet und sogar die Fäuste.

Die Autoren Jacobs und Netenjakob liefern mit spitzer Feder eine authentisc­he und zeitgemäße Provinzpos­se vor – zum Lachen, zum Nachdenken, zum Schlucken. Denn im Kugelhagel des verbalen Schlagabta­usches schert man sich nicht um Political Correctnes­s und spricht dabei viel Wahres.

 ??  ?? Szene aus dem Stück „Extrawurst“am Theater Gera mit (v.l.n.r.) Marie-Luis Kießling als Melanie Pfaff, Manuel Kressin als Dr. Heribert Bräsemann, Thorsten Dara als Torsten Pfaff und Robert Herrmanns als Matthias Scholz. Mehr Fotos unter www.otz.de
FOTO: RONNY RISTOK
Szene aus dem Stück „Extrawurst“am Theater Gera mit (v.l.n.r.) Marie-Luis Kießling als Melanie Pfaff, Manuel Kressin als Dr. Heribert Bräsemann, Thorsten Dara als Torsten Pfaff und Robert Herrmanns als Matthias Scholz. Mehr Fotos unter www.otz.de FOTO: RONNY RISTOK

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