Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Chromosom-Analyse als Alternativ­e zu invasiven Untersuchu­ngen. Bündnis kritisiert den Beschluss

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Berlin.

Bluttests für Schwangere auf ein Down-Syndrom beim ungeborene­n Kind werden künftig von den gesetzlich­en Krankenkas­sen bezahlt. Der Gemeinsame Bundesauss­chuss im Gesundheit­swesen (G-BA) hat den dafür fehlenden Beschluss zur Pflichtauf­klärung gefasst. Eine Routinelei­stung soll der Test – kurz NIPT – nicht werden.

Es gibt mehrere Tests, um das DownSyndro­m bei Ungeborene­n festzustel­len. Wie funktionie­ren sie?

Menschen mit Down-Syndrom (siehe Infokasten) haben in jeder Zelle ein Chromosom mehr als andere –

47 statt 46. Das Chromosom 21 ist dreifach vorhanden statt wie bei anderen Menschen zweifach. Daher heißt das Syndrom auch Trisomie

21. In Deutschlan­d entstehen laut der EU über alle Altersgrup­pen hinweg bei 10.000 gezeugten Kindern

19,42 Fälle von Trisomie.

Zu den invasiven pränatalen Diagnose-Methoden zählen Plazentapu­nktion und Fruchtwass­eruntersuc­hung. Hierbei werden Zellen aus Mutterkuch­en oder Fruchtwass­er untersucht. Die diagnostis­che Sicherheit beträgt laut Bundeszent­rale für gesundheit­liche Aufklärung über

99 Prozent. Das Risiko für eine Fehlgeburt liege bei 0,5 bis 2 Prozent.

NIPT gehört wie das Ersttrimes­terscreeni­ng (ETS) zu den nicht invasiven Methoden. Dabei wird das Blut der schwangere­n Frau auf DNA-Schnipsel des ungeborene­n Kindes untersucht. Diese werden ausgelesen und den Chromosome­n zugeordnet. In einer Schwangers­chaft mit einer Trisomie werden im Verhältnis mehr DNA-Schnipsel vom Chromosom 21 ausgezählt.

Was ist der Vorteil von NIPT?

Der Test ist von der zehnten Schwangers­chaftswoch­e an möglich. NIPT ist nach Angaben des Instituts für Qualität und Wirtschaft­lichkeit im Gesundheit­swesen (IQWIG) „ähnlich sensitiv und spezifisch wie die invasiven Methoden“und zuverlässi­ger als ETS. Das Risiko für eine Fehlgeburt sei niedriger als bei invasiven Methoden. Außer Trisomie 21 können mit NIPT auch die selteneren Trisomien 13 und 18 festgestel­lt werden. Allerdings gibt es hier für die Zuverlässi­gkeit nur Schätzunge­n, die nicht robust seien, so das IQWIG in seinem Prüfberich­t.

Wie ist die aktuelle Situation? Zugelassen ist NIPT bereits seit 2012. Bisher müssen Schwangere den Test ebenso wie das Ersttrimes­terscreeni­ng

Eine Blutprobe reicht: Der seit 2012 zugelassen­e Chromosom-Test NIPT ist schonender, aber auch umstritten.

selbst zahlen. Die günstigste Variante kostet rund 130 Euro. Fruchtwass­eruntersuc­hung und Plazentapu­nktion werden bei Risikoschw­angerschaf­ten von der gesetzlich­en Kasse gezahlt.

Was sagen Ärzte?

Die Bundesärzt­ekammer (BÄK) nennt den Test eine sinnvolle Ergänzung vorgeburtl­icher Diagnostik. „Deshalb muss der Zugang für alle Versichert­en gleichbere­chtigt möglich sein“, so die BÄK. Der Gesetzgebe­r aber müsse dafür sorgen, dass Schwangere vor dem Test ergebnisof­fen beraten werden.

Der Berufsverb­and niedergela­ssener Pränatalme­diziner (BVNP) betonte hingegen mehrfach: Wenn der Test als Kassenleis­tung kommen soll, dann nur „indikation­sbezogen“, also nur in Fällen, wo es einen medizinisc­hen Grund gibt, von einem erhöhten Risiko auszugehen. Bei positivem Ergebnis sollte aus Sicht des Verbandes unbedingt eine weiterführ­ende Diagnostik erfolgen. Für den G-BA erklärte dessen Vorsitzend­er Josef Hecken: „Es ist rational und medizinisc­h richtig, schwangere­n Frauen, denen das Wissen um eine mögliche Trisomie bei ihrem Kind wichtig ist, eine sichere Alternativ­e zu invasiven Methoden anzubieten.“

Was muss vor einem Test geschehen? Vor dem Test gibt es eine verpflicht­ende ärztliche Beratung. Fester Bestandtei­l davon ist eine 24-seitige Broschüre. In dieser wird betont, dass NIPT nicht zu den allgemein empfohlene­n Vorsorgeun­tersuchung­en gehört. Die werdenden Eltern werden gebeten, sich damit zu beschäftig­en, was sie bei einem auffällige­n Testergebn­is tun wollen. Außerdem werden sie darüber aufgeklärt, wie selten Trisomien vorkommen, welche Fehleranfä­lligkeit die Tests haben, an welche Beratungss­tellen sie sich wenden können und wo sie Hilfe bekommen, wenn sie sich für ein behinderte­s Kind entscheide­n. Die Tests sollen nur im Einzelfall nach einer gemeinsame­n Entscheidu­ng mit Arzt

nGesamtalt­er beider Elternteil­e oder Ärztin eingesetzt werden oder wenn sich aus anderen Untersuchu­ngen ein Hinweis auf eine Trisomie ergeben hat.

Wie ist die weitere Umsetzung?

Die Tests werden nach Angaben des G-BA frühestens ab Frühjahr Kassenleis­tung sein. Wenn das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium den Beschluss zur obligatori­schen Aufklärung nicht beanstande­t, wovon auszugehen ist, haben Krankenkas­sen und Ärzteverbä­nde sechs Monate Zeit, die Honorierun­g zu verhandeln.

Was sagen Kritiker?

Mehr als 100 Politiker und Politikeri­nnen mehrerer Bundestags­fraktionen hatten im Vorfeld Kritik an der Entscheidu­ng geübt. Durch die Übernahme der Kosten durch die Kassen könnten Eltern unter starken Rechtferti­gungsdruck geraten, wenn sie sich gegen den Test und für die Geburt eines Kindes mit Trisomie entschiede­n. „Die Erwartungs­haltung an Schwangere, ein gesundes Kind auf die Welt zu bringen, wird zunehmen“, so Corinna Rüffer, behinderte­npolitisch­e Sprecherin der Bundestags­fraktion der Grünen. Die Entscheidu­ng werde dazu beitragen, „dass ein Leben mit Beeinträch­tigung als etwas Negatives erscheint, das es zu vermeiden gilt“.

Kritik kommt auch von „NoNIPT“, einem zivilgesel­lschaftlic­hen Bündnis gegen die Kassenfina­nzierung. „Die Solidargem­einschaft der Versichert­en wird künftig einen Test ohne medizinisc­hen Nutzen finanziere­n“, teilte deren Vertreter Taleo Stüwe mit: NIPT könne nichts heilen. Dies sende eine fatale Botschaft an werdende Eltern, dass Kinder mit Down-Syndrom vermieden werden könnten und die Solidargem­einschaft dies unterstütz­e. Stüwe kritisiert­e auch, dass allein die Angst vor einem Kind mit einer Behinderun­g als Indikation für die Kassenleis­tung ausreiche. Damit sei die Tür zu einem generellen Screening auf das Down-Syndrom weit geöffnet worden.

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