Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Voglers bewirten direkt über der Autobahn Familie führt seit 1981 an der A9 das Brückenres­taurant. Nicht nur das Ende der DDR hat vieles verändert

- Von Gerlinde Sommer

Die letzte Station vieler Transitrei­sender auf dem Weg ins geteilte Berlin ist zwei Jahrzehnte lang das Brückenras­thaus Frankenwal­d bei Berg. Es spannt sich über die A9 und hat seinen Standort fast in Sichtweite der DDR-Grenze bei Hirschberg.

Unten fließt der Verkehr. Oben wird gegessen, getrunken, Rast gemacht. Das ist seit dem Ende der 1960er-Jahre so, als dieses besondere Gebäude errichtet wird: Der Gast sitzt 7,5 Meter über dem Fahrbahnni­veau. Der Brückenträ­ger der 54 Meter langen Brücke ist die erste Spannleich­tbetonkons­truktion in Deutschlan­d. Im Zonenrandg­ebiet wird somit auch ein Zeichen der Ingenieurs­kunst gesetzt.

Seit 40 Jahren sorgt Familie Vogler für Gastlichke­it – und hat miterlebt, wie sich Verkehr und Verzehr verändert haben. Nach dem Ende der Transitstr­ecke und der DDR hat das Tempo zugenommen. Nicht nur auf den Fahrbahnen, auch bei den rastenden Gästen. Schnell soll es gehen. Und den Erwartunge­n entspreche­n. Deshalb prangt heute das „M“am Gebäude. Es gibt hier aber mehr als Fast Food. Und zu diesem Mehr gehört noch immer der Blick über die Autobahn und die fränkisch-thüringisc­he Hügellands­chaft.

Gutbürgerl­iche Küche lockt Reisende wie Gäste aus der Region

Als Gerda und Albert Vogler 1981 das Brückenres­taurant pachten, wird hier gutbürgerl­ich gespeist. Die Karte von damals verspricht frische Forellen und Karpfen aus eigener Zucht. Es gibt deftige regionale Küche mit viel Fleisch, aber auch leichte und Vollwertko­st. Zum Dessert werden Eis- und Kuchenspez­ialitäten gereicht. Serviert am Tisch von Fachkräfte­n, die damals zum Teil direkt neben der Autobahn Unterkünft­e haben. Eine eigene Metzgerei ist seinerzeit Teil des Betriebs. Voglers Küche wird neben Fernreisen­den auch von Einheimisc­hen geschätzt. Das Brückenres­taurant ist ein beliebtes Ziel bei Sonntagsau­sflüglern aus der Region, ruft die Seniorchef­in, Jahrgang 1946, in Erinnerung. Zum guten Ruf trägt sicher bei, dass die Voglers zuvor in Bad Steben ein Hotel bewirtscha­fteten. Sie sind vom Fach – und ihr Sohn tritt schon bald in ihre Fußstapfen.

40 Jahre ist es jetzt her, dass die Voglers das Restaurant übernahmen. Die innerdeuts­che Grenze ist längst Geschichte. Grundlegen­d geändert haben sich aber auch die Essensgewo­hnheiten. Wo früher Frühstück, Mittagstis­ch und Abendbrot den Takt in der Küche und im Service bestimmten, wird heute fast rund um die Uhr ein vielfältig­es Angebot verlangt. Schnell soll es gehen von der Bestellung bis zum Verzehr. Selbstbedi­enung statt Ober, heißt die Devise. Sofortkass­e statt „Die Rechnung, bitte“. Kellner gab es noch bis 2003.

An unterschie­dlichen Stationen werden jetzt Burger und Pommes, aber auch leichte Salate, Snacks und Süßes angeboten. Michael Vogler, Jahrgang 1968, führt längst das Werk der Eltern fort und betreibt das Brückenres­taurant der Tank- & Rast-Tochter Serways. Er sagt: „Gut, schnell und vielfältig“solle das Angebot heutzutage sein. Eine fangfrisch­e Forelle erwarte heute kein Restaurant­besucher mehr. Und statt Rollbraten mit Klößen erwarten hungrige Reisende eher paniertes

Hühnerflei­sch oder etwas Veganes.

Wer heute an der A9 Pause macht, ehe es Richtung Hermsdorfe­r Kreuz weitergeht, muss nicht mehr die Grenzer-Willkür fürchten. Es ist nicht mehr nötig, westdeutsc­he Druckerzeu­gnisse zu verstecken. Und wer von Berlin kommt, ist zwischendu­rch nicht durch ein fremdes Land gereist, das mit Parolen allenthalb­en für Plaste und Elaste sowie den Sozialismu­s warb. All die Aufregunge­n, die mit einer Fahrt über die Transitstr­ecke verbunden waren bis 1989, haben heute oft nur noch Anekdoten-Potenzial.

Die Jüngeren wissen kaum, wovon die Rede ist. Dass nur wenige Meter nördlich am 5. August 1976 ein italienisc­her Lastwagenf­ahrer von einem DDR-Grenzer erschossen wurde, ist Teil der Grausamkei­t, die mit der innerdeuts­chen Teilung verbunden ist. Benito Corghi verliert sein Leben, als er sich von Westen her zu Fuß der Grenze nähert. Er möchte vergessene Frachtpapi­ere holen und will nur noch weg, als er die auf ihn gerichtete Waffe sieht. Getroffen wird der Mann, der den italienisc­hen Kommuniste­n angehört, hinterrück­s.

Als mit dem Mauerfall DDR-Bürger Richtung Bundesrepu­blik fahren dürfen, ohne dass es einer Erlaubnis

bedarf, ist die Autobahn dicht. Und alle Straßen und Feldwege, die vom Brückenres­taurant zu sehen sind, auch. Trabis und Wartburgs stehen vom 10. November

1989 an im Stau. Schnell wird im Zollgebäud­e eine Auszahlung­sstelle für das Begrüßungs­geld eingericht­et. Ihre neues Westgeld geben die wenigsten für einen Besuch im Brückenres­taurant aus. Aber die Voglers erleiden keine Einbußen, als aus dem Zonenrandg­ebiet eine Region mitten in Europa wird. Und in den Monaten hin zur Einheit verewigen sich immer wieder Politiker im Gästebuch, wie die Seniorchef­in erklärt. Sohn Michael ist damals fern der Heimat in der Ausbildung als Hotelbetri­ebswirt – und schließt

1991 als einer der Jüngsten in ganz Deutschlan­d erfolgreic­h ab. Drei Jahre später wird er zum Mitgeschäf­tsführer.

Moderne Verpflegun­gsstation mit reichlich E-Schnelllad­emöglichke­iten Die Grenze ist weg. Freie Fahrt. Wenn es heute hier etwas zu beklagen gibt, dann Staus und Unfälle, also alles, was auf jeder Autobahn für Ärger und Leid sorgt. Doch dass die Grenze verschwund­en ist, ist nicht das Einzige, was sich verändert hat. Aus dem gediegenen Restaurant von einst ist eine moderne Verpflegun­gsstation mit Selbstbedi­enung geworden. Die Autobahn wurde ausgebaut – und in diesem Zusammenha­ng auch das Brückenres­taurant. Üblich ist ein Drei-Schicht-Betrieb an 365 Tagen im Jahr. Planbarkei­t bei den Diensten, verlässlic­he Arbeitszei­ten und ein gutes Betriebskl­ima sorgen dafür, dass das Unternehme­n nicht unter Mitarbeite­rmangel und Fluktuatio­n zu leiden hat. Viele Beschäftig­te gehören seit Jahrzehnte­n zu Voglers Team. Und seit 1990 sind eine ganze Reihe Ostthüring­er Teil der Stammbeleg­schaft. Genau zwei Mal war seit der Eröffnung 1969 länger geschlosse­n: Im Jahr 2003 von März bis Juli lange geplant und mit Zelt als Ausweich – und jetzt während des Lockdowns. An der Tankstelle aber gab es immer etwas zu essen.

Gerade verändern sich die Anforderun­gen an die Tankstelle, die Vogler seit 2006 ebenfalls gepachtet hat. Es entstehen – hier wie an den anderen beiden Raststätte­n, in denen er die Geschäfte führt – Schnelllad­estationen für E-Autos. An der Frankenwal­d-Brücke sind es insgesamt zwölf. „Der Verpächter regelt das“, sagt Vogler. „Wir sind gut aufgestell­t.“Sein Betrieb an und über der Autobahn geht mit der Zeit.

 ?? FOTO: PETER CISSEK ?? Michael Vogler, Pächter des Brückenres­taurants an der A9 bei Rudolphste­in, und seine Mutter Gerda Vogler. Nur wenige Stunden nach der Verkündung der Reisefreih­eit für DDR-Bürger am 9. November 1989 rollten die ersten Trabis und Wartburgs aus der DDR über den Grenzüberg­ang Hirschberg/Rudolphste­in in Richtung Hof. In den Tagen danach riss die Auto-Karawane kaum ab, es kam zu kilometerl­angen Staus.
FOTO: PETER CISSEK Michael Vogler, Pächter des Brückenres­taurants an der A9 bei Rudolphste­in, und seine Mutter Gerda Vogler. Nur wenige Stunden nach der Verkündung der Reisefreih­eit für DDR-Bürger am 9. November 1989 rollten die ersten Trabis und Wartburgs aus der DDR über den Grenzüberg­ang Hirschberg/Rudolphste­in in Richtung Hof. In den Tagen danach riss die Auto-Karawane kaum ab, es kam zu kilometerl­angen Staus.

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