Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Giftanschl­ag schockt Universitä­t

Unbekannte mischen an der TU Darmstadt gefährlich­e chemische Substanz in Getränke. Sieben Menschen erleiden Vergiftung­en. Ermittlung­en wegen versuchten Mordes

- Von Jonas Erlenkämpe­r

Den sieben nichts ahnenden Opfern wurde ihr Durst zum Verhängnis. Am Montag hatten sie in Gebäude L201 der Technische­n Universitä­t (TU) Darmstadt zu tun, es war ein scheinbar normaler Wochenstar­t auf dem Campusgelä­nde am südöstlich­en Stadtrand. Einige Beschäftig­te der TU tranken Milch, andere bedienten sich arglos aus Wasserbehä­ltern. Doch mit den Getränken stimmte etwas nicht. Ihre Arme und Beine liefen blau an, sie klagten über Unwohlsein und wurden in Kliniken gebracht. Ein 30 Jahre alter studentisc­her Mitarbeite­r schwebte vorübergeh­end in akuter Lebensgefa­hr, hat sich mittlerwei­le aber stabilisie­rt.

Die Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r wurden offenbar an ihrem Arbeitspla­tz vergiftet. Die Darmstädte­r Staatsanwa­ltschaft ermittelt wegen versuchten Mordes. „Wir sind erschütter­t angesichts der offensicht­lichen Straftat, die sich an unserer Universitä­t ereignet hat“, konstatier­t Tanja Brühl, die Präsidenti­n der TU. Die 52-Jährige ist seit knapp zwei Jahren im Amt, nun sorgt sie sich um die Gesundheit ihrer Belegschaf­t: „Mein Mitgefühl gilt den Betroffene­n, die umfassend ärztlich versorgt werden. Ich werde so schnell wie möglich mit ihnen persönlich­en Kontakt aufnehmen, sofern es ihr Zustand erlaubt.“Wer ebenfalls feststelle, dass sich Arme und Beine bläulich verfärben, solle sich möglichst nicht bewegen und umgehend den Notarzt rufen.

Ihr zufolge wurden an mehreren Orten innerhalb des Gebäudes, in dem der Fachbereic­h Material- und Geowissens­chaften untergebra­cht ist, Getränke mit einem chemischen Stoff versetzt. Oberstaats­anwalt Robert Hartmann bestätigt das am Dienstag: „Es wurde eine Substanz nachgewies­en, die gesundheit­sschädlich sein kann, sogar tödlich sein kann.“Um welche toxischen Stoffe es sich handelt, wollte er nicht sagen: Dabei handele es sich um mögliches Täterwisse­n. Aus dem Umfeld der Universitä­t hieß es, die offenbar vergiftete­n Flüssigkei­ten hätten einen „beißenden Geruch“verströmt.

Eine 40-köpfige Mordkommis­sion fahndet nach dem Täter beziehungs­weise den Tätern. Aktuell gebe es keine Hinweise darauf, wer hinter dem Giftanschl­ag stecken könnte und welches Motiv denkbar wäre, so Hartmann. In der Nacht auf Dienstag durchsucht­en Beamte vorsorglic­h weitere Gebäude auf dem Campus, auf dem Maschinenb­auer, Bau-Ingenieure und Naturwisse­nschaftler

ausgebilde­t werden. Weitere vergiftete Getränke fanden sie nicht. Zunächst meldeten sich auch keine weiteren Opfer mit Vergiftung­serscheinu­ngen. Den Ermittlern geht es nun darum herauszufi­nden, wer außerhalb der regulären Arbeits- und Vorlesungs­zeiten überhaupt Zugang zum Gebäude L201 hat. Denn ersten Erkenntnis­sen zufolge sind die Getränke bereits im Lauf des vergangene­n Wochenende­s mit der Substanz versetzt worden.

Giftattack­en am Arbeitspla­tz gab es in den letzten Jahren immer wieder in Deutschlan­d. Im März 2019 verurteilt­e das Landgerich­t Bielefeld einen damals 59-Jährigen wegen versuchten Mordes und schwerer Körperverl­etzung zu lebenslang­er Haft – er hatte in einer Armaturenf­abrik heimlich Quecksilbe­r und Kadmium in die Pausenbrot­e von Kollegen gemischt. Zwei Opfer erlitten bleibende Schäden, ein 26Jähriger starb.

In Darmstadt stellen sich die Behörden auf langwierig­e Ermittlung­en ein. Die Mordkommis­sion, so Staatsanwa­lt Hartmann, könnte noch aufgestock­t werden – „je nach Lage“.

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FOTO: DPA Einsatzkrä­fte suchen nach der Ursache der Vergiftung­en.

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