Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Giftanschlag schockt Universität
Unbekannte mischen an der TU Darmstadt gefährliche chemische Substanz in Getränke. Sieben Menschen erleiden Vergiftungen. Ermittlungen wegen versuchten Mordes
Den sieben nichts ahnenden Opfern wurde ihr Durst zum Verhängnis. Am Montag hatten sie in Gebäude L201 der Technischen Universität (TU) Darmstadt zu tun, es war ein scheinbar normaler Wochenstart auf dem Campusgelände am südöstlichen Stadtrand. Einige Beschäftigte der TU tranken Milch, andere bedienten sich arglos aus Wasserbehältern. Doch mit den Getränken stimmte etwas nicht. Ihre Arme und Beine liefen blau an, sie klagten über Unwohlsein und wurden in Kliniken gebracht. Ein 30 Jahre alter studentischer Mitarbeiter schwebte vorübergehend in akuter Lebensgefahr, hat sich mittlerweile aber stabilisiert.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden offenbar an ihrem Arbeitsplatz vergiftet. Die Darmstädter Staatsanwaltschaft ermittelt wegen versuchten Mordes. „Wir sind erschüttert angesichts der offensichtlichen Straftat, die sich an unserer Universität ereignet hat“, konstatiert Tanja Brühl, die Präsidentin der TU. Die 52-Jährige ist seit knapp zwei Jahren im Amt, nun sorgt sie sich um die Gesundheit ihrer Belegschaft: „Mein Mitgefühl gilt den Betroffenen, die umfassend ärztlich versorgt werden. Ich werde so schnell wie möglich mit ihnen persönlichen Kontakt aufnehmen, sofern es ihr Zustand erlaubt.“Wer ebenfalls feststelle, dass sich Arme und Beine bläulich verfärben, solle sich möglichst nicht bewegen und umgehend den Notarzt rufen.
Ihr zufolge wurden an mehreren Orten innerhalb des Gebäudes, in dem der Fachbereich Material- und Geowissenschaften untergebracht ist, Getränke mit einem chemischen Stoff versetzt. Oberstaatsanwalt Robert Hartmann bestätigt das am Dienstag: „Es wurde eine Substanz nachgewiesen, die gesundheitsschädlich sein kann, sogar tödlich sein kann.“Um welche toxischen Stoffe es sich handelt, wollte er nicht sagen: Dabei handele es sich um mögliches Täterwissen. Aus dem Umfeld der Universität hieß es, die offenbar vergifteten Flüssigkeiten hätten einen „beißenden Geruch“verströmt.
Eine 40-köpfige Mordkommission fahndet nach dem Täter beziehungsweise den Tätern. Aktuell gebe es keine Hinweise darauf, wer hinter dem Giftanschlag stecken könnte und welches Motiv denkbar wäre, so Hartmann. In der Nacht auf Dienstag durchsuchten Beamte vorsorglich weitere Gebäude auf dem Campus, auf dem Maschinenbauer, Bau-Ingenieure und Naturwissenschaftler
ausgebildet werden. Weitere vergiftete Getränke fanden sie nicht. Zunächst meldeten sich auch keine weiteren Opfer mit Vergiftungserscheinungen. Den Ermittlern geht es nun darum herauszufinden, wer außerhalb der regulären Arbeits- und Vorlesungszeiten überhaupt Zugang zum Gebäude L201 hat. Denn ersten Erkenntnissen zufolge sind die Getränke bereits im Lauf des vergangenen Wochenendes mit der Substanz versetzt worden.
Giftattacken am Arbeitsplatz gab es in den letzten Jahren immer wieder in Deutschland. Im März 2019 verurteilte das Landgericht Bielefeld einen damals 59-Jährigen wegen versuchten Mordes und schwerer Körperverletzung zu lebenslanger Haft – er hatte in einer Armaturenfabrik heimlich Quecksilber und Kadmium in die Pausenbrote von Kollegen gemischt. Zwei Opfer erlitten bleibende Schäden, ein 26Jähriger starb.
In Darmstadt stellen sich die Behörden auf langwierige Ermittlungen ein. Die Mordkommission, so Staatsanwalt Hartmann, könnte noch aufgestockt werden – „je nach Lage“.