Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Chancen auf sichere Ausreise sinken

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Washington/Berlin.

Weniger als eine Woche vor dem Ende der militärisc­h gesicherte­n Evakuierun­gen aus Afghanista­n sinken für Tausende Menschen die Chancen auf eine sichere Ausreise. Trotz Bitten europäisch­er Verbündete­r um eine Verlängeru­ng des Einsatzes halten die USA am Truppenabz­ug bis kommenden Dienstag fest. Bundeskanz­lerin Angela Merkel bezeichnet­e die Entscheidu­ng über den Zeitpunkt als schwierige­s Dilemma.

Berlin.

Die Gesundheit­sämter in Deutschlan­d haben erstmals seit Mai mehr als 10.000 Neuinfekti­onen binnen eines Tages an das Robert-Koch-Institut (RKI) übermittel­t. So wurden 11.561 neue Fälle gemeldet, so viel wie seit dem 20. Mai nicht, wie aus RKI-Daten vom Mittwoch hervorgeht. Vor einer Woche hatte der Wert für Deutschlan­d bei 8324 Ansteckung­en gelegen.

Die Hospitalis­ierungsrat­e – also die Krankenhau­seinweisun­gen in Verbindung mit Corona pro

100.000 Einwohner und Woche – gab das RKI am Mittwoch mit 1,47 an. Eine Woche zuvor lag sie bei

1,19. Der Wert soll künftig die wichtigste Kennzahl sein. Nach Angaben der Bundesregi­erung bewegte er sich im vergangene­n Winter teilweise um zehn bis zwölf.

Berlin.

Noch immer versuchen täglich Tausende verzweifel­te Menschen, der Hölle von Kabul zu entfliehen. Doch bis zum 31. August wollen die Amerikaner ihre Militärmis­sion in Afghanista­n beenden. Der letzte Evakuierun­gsflug findet aber bereits Tage vorher statt. Am Hindukusch läuft ein tödlicher Countdown. Nicht alle afghanisch­en Ortskräfte, die der Bundeswehr und anderen deutschen Stellen jahrelang geholfen haben, schaffen es auf den letzten Flieger. Viele fürchten die Rache der radikalisl­amischen Taliban.

Wann enden die Rettungsfl­üge?

Mit dem sukzessive­n Rückzug des US-Militärs bis zum 31. August steigt die Gefahr von Terroransc­hlägen am Flughafen in Kabul. Westliche Geheimdien­ste warnen vor allem vor Attacken des regionalen Ablegers der Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS). Der letzte Evakuierun­gsflug findet daher schon Tage vor dem 31. August statt.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel erklärte am Mittwoch, die Rettungsfl­üge der Luftwaffe würden „in einigen Tagen“enden. Nach Informatio­nen der ARD und des „Spiegel“soll die letzte Bundeswehr­maschine bereits am heutigen Donnerstag in Kabul abheben. Die Einsatzkrä­fte sollen demnach am Freitag nach Deutschlan­d zurückkehr­en. Ein Sprecher des Verteidigu­ngsministe­riums sagte, er könne einen Zeitpunkt „weder bestätigen noch dementiere­n“.

Wie viele afghanisch­e Ortskräfte – Helfer von Bundeswehr und Entwicklun­gshilfe – fallen in die Hände der Taliban?

Vor der Machtübern­ahme der Taliban am 15. August gab es insgesamt rund 60.000 afghanisch­e Ortskräfte, die für die internatio­nale Gemeinscha­ft tätig waren. Experten

Tausende Menschen drängen sich auf einer Straße nahe dem Flughafen in Kabul – in der Hoffnung auf einen Platz in einem Flugzeug.

rechnen damit, dass noch einmal

240.000 Familienmi­tglieder dazukommen. Allein zwischen Dienstagun­d Mittwochmo­rgen haben US-Militärs rund 11.200 Menschen per Flugzeug außer Landes gebracht.

Die Zahl afghanisch­er Ortskräfte, die für die Bundeswehr, deutsche Ministerie­n, Entwicklun­gshilfeund Nichtregie­rungsorgan­isationen gearbeitet haben, wird auf rund

10.000 taxiert. Nach vorsichtig­en Schätzunge­n wurden davon 7000 bis 8000 Menschen bereits ausgefloge­n. Die Bundeswehr hat bis Mittwoch mehr als 4850 Bundesbürg­er, Afghanen und Bürger aus 45 weiteren Staaten evakuiert. Wer es allerdings nicht auf einen Flieger schafft, muss zunächst in Afghanista­n bleiben. Opposition­elle, Journalist­innen und Journalist­en, Menschenre­chtsaktivi­stinnen und Menschenre­chtsaktivi­sten sowie Justizkräf­te fürchten die Rache der Taliban.

Was sagt die Kanzlerin dazu?

„Die Entwicklun­gen der letzten Tage sind furchtbar“, sagte Bundeskanz­lerin Angela Merkel in ihrer

Ein US-Soldat verteilt am Flughafen Wasser an Geflüchtet­e.

Regierungs­erklärung am Mittwoch. „Sie sind bitter. Für viele Menschen in Afghanista­n sind sie eine einzige Tragödie.“Die Kanzlerin räumte Fehleinsch­ätzungen ein: „Unterschät­zt aber haben wir, wie umfassend die afghanisch­en Sicherheit­skräfte nach dem Truppenabz­ug ihren Widerstand gegen die Taliban aufgeben würden.“

Seit 2013 habe man im regulären Verfahren über 1000 gefährdete Ortskräfte und ihre Angehörige­n kontinuier­lich nach Deutschlan­d geholt, „wenn sie von den Taliban bedroht wurden“– insgesamt 4800 Menschen. Nach der Abzugsents­cheidung hätten 2500 Ortskräfte

Kämpfer der Taliban patrouilli­eren durch Kabul.

und ihre Angehörige­n in einem beschleuni­gten Verfahren Visa erhalten. Am Ende sei kein Visum mehr erforderli­ch gewesen. Man werde neben den bereits versproche­nen 100 Millionen Euro Soforthilf­e noch weitere 500 Millionen Euro für die humanitäre Hilfe in Afghanista­n zur Verfügung stellen.

Können die Helfer der Deutschen auf anderen Wegen gerettet werden? Auch eine Evakuierun­g über die Landgrenze in Nachbarlän­der Afghanista­ns ist denkbar. „Die Bundesregi­erung hat seit Beginn der Evakuierun­g auf mehreren Ebenen nach Lösungen parallel zur Luftbrücke

gesucht. Wir sind daher im Gespräch mit den Taliban in Doha wie auch mit Nachbarlän­dern Afghanista­ns – etwa Pakistan –, um die Evakuierun­g auf ziviler Basis auch nach dem 31. August weiterzufü­hren“, sagte Niels Annen, Staatsmini­ster im Außenminis­terium, unserer Redaktion. Das setzt zwei Dinge voraus: eine Vereinbaru­ng mit den jeweiligen Regierunge­n und den Taliban.

Kommt es zu einem Deal mit den Taliban?

Markus Potzel, deutscher Ex-Botschafte­r in Afghanista­n, führt derzeit Gespräche mit Taliban-Vertretern in der katarische­n Hauptstadt Doha. Das Problem: Im Westen weiß man nicht, welche Strömung bei den Taliban am Ende die Oberhand haben wird. Die Vertreter in Doha gelten als eher gemäßigt. Die regionalen Kämpfer, die den Siegeszug durch die afghanisch­en Provinzen ermöglicht haben, sind eher ablehnend. Es soll schon zu Auseinande­rsetzungen zwischen beiden Lagern gekommen sein, sagt ein Diplomat.

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