Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Ärger um die hohen Rechnungen
Beispiel Piesau: Anwohner hoffen bisher vergeblich auf den Härtefallfonds bei den Straßenausbaubeiträgen
Piesau/Erfurt.
Undine Schirmer kämpft in Piesau gegen die hohen Gebührenbescheide. Sie soll etwa 6000 Euro bezahlen und das macht sie wütend: „Das ist eine Frechheit sondergleichen, was die da in Erfurt abziehen. Die interessieren sich doch überhaupt nicht für die Leute. Die brauchen sich nicht wundern… Die werden schon sehen, was sie davon haben…“.
Dass Schirmer und etwa ein Dutzend andere Anlieger dieser Straße – die ebenso wie Piesau inmitten des Thüringer Schiefergebirges liegt – mit ganz viel Unverständnis ins politische Erfurt schauen, hat einerseits mit einem schönen, glatten Stück Asphalt zu tun. Andererseits mit den Hoffnungen, die in der Landeshauptstadt geweckt worden waren, seit dort entschieden wurde, dass auch im Freistaat die Straßenausbaubeiträge abgeschafft werden.
7000 Thüringer warten auf die längst versprochene Regelung Mit Wirkung zum 1. Januar 2019 müssen in Thüringen diese Abgaben nicht mehr erhoben werden. Doch trotz der Abschaffung der Straßenausbaubeiträge gibt es nach Schätzungen immer noch etwa
7000 Menschen im Land, denen nach dem 1. Januar 2019 Bescheide zugestellt worden sind. Das wiederum hat mit den Details der Abschaffung zu tun, die es erforderlich machen, dass die Kommunen noch bis Ende 2022 Straßenausbaubeiträge für solche Arbeiten an Straßen eintreiben, die die zwischen dem 1. Januar 2015 und dem 31. Dezember
2018 abgeschlossen wurden oder in diesem Zeitraum für abgeschlossen erklärt worden sind. Zugleich wird seit Jahren auch über einen Härtefallfonds des Landes diskutiert, mit dem Menschen unterstützt werden könnten, die trotz der beschlossenen Abschaffung dieser Beiträge immer noch zahlen sollen …
Schirmer sagt, schon als sie im Januar 2019 ihren Gebührenbescheid in der Hand gehalten habe, habe sie von diesem Fonds gehört. Eine Mitarbeiterin der für sie zuständigen Kommunalverwaltung habe ihr erzählt, dass sie eine Zuarbeit für das Thüringer Innenministerium vorbereite, um diesen Fonds auf den Weg zu bringen. Schirmer hat Plenarsitzungen des Landtages verfolgt, in denen es um den Härtefallfonds ging. Sie hat mit CDU- und LinkeAbgeordneten dazu hin und her geschrieben. Sie hatte – gemeinsam mit anderen Anliegern der Straße – einen Termin bei Innenminister
Georg Maier (SPD) und einem Abteilungsleiter seines Hauses. Nur hat all das und auch das Drängen etwa des Verbandes Deutscher Grundstücksnutzer oder der Thüringer Bürgerallianz für sozial gerechte Kommunalabgaben nichts daran geändert, dass es diesen Härtefallfonds immer noch nicht gibt.
„Dass wir jetzt eine neue Straße haben, neues Wasser- und Abwasser, das steht außer Frage und dafür wollen wir auch etwas bezahlen“, sagt zum Beispiel Martina Roth. Ihr Beitragsbescheid beläuft sich auf etwa 11.000 Euro, viel Geld für eine Kindergärtnerin wie sie. Schirmer sagt: „Wir wollten, das gebaut wird.“Der Straßenbelag vorher sei, sagen die Anwohner, eigentlich „nur Dreck“gewesen, durchzogen von Schlaglöchern. Was sie stört sind erstens die enormen Summen, von denen sie sich völlig überfordert sehen. Zweitens ist es die Ungerechtigkeit, die sich aus ihrer Sicht daraus ergibt, dass bei ihnen früher gebaut wurde als bei anderen. Und drittens ist da die Tatsache, dass über den Härtefallfonds zwar immer wieder geredet, dass er immer wieder in Aussicht gestellt worden ist. Dass diesem Reden aber keine Taten folgten.
Für Letzteres ist vor allem das Schwarze-Peter-Spiel verantwortlich, an dem sich verschiedene Akteure im politischen Erfurt seit Langem beteiligen. So ist zwar im Landeshaushalt für das laufende Jahr das Geld eingestellt, mit dem der Härtefallfonds ausgestattet werden könnte. Das räumt auch das Innenministerium ein. Es sei „wie bereits im Landeshaushalt 2020 auch im Landeshaushalt des aktuellen Jahres
Vorsorge für den Fall getroffen, dass ein Härtefallfonds eingerichtet wird“, sagt ein Ministeriumssprecher. Vermutlich würde eine einstellige Millionensumme reichen, um ihn zu finanzieren. Eingestellt in den Haushalt haben die Fraktionen von Linken, SPD, Grünen und CDU diese Mittel gemeinsam, indem sie den Landeshaushalt 2021 beschlossen haben. Allerdings argumentiert das Innenministerium, man brauche einen weiteren Landtagsbeschluss, um dieses Geld auch über einen Härtefallfonds auszahlen zu können; falls es diesen Fonds tatsächlich geben sollte. Immerhin, sagt der Sprecher, habe das Innenministerium auf Auftrag des Parlaments einen Prüfbericht zu einem Härtefallfonds vorgelegt. Im Sommer 2020. „Dabei wurde im Ergebnis weder aus rechtlichen noch aus tatsächlichen Gründen die Einrichtung eines Härtefallfonds als erforderlich angesehen.“Im Einzelfall auftretenden Härten könnten durch die schon bestehenden gesetzlichen Billigkeitsregelungen abgemildert werden …
Vor allem bei den Thüringer Linken, die seit Langem vehement für einen Härtefallfonds streiten, wird die Sache ganz anders gesehen. Indem eine Landtagsmehrheit als Haushaltsgesetzgeber das Geld für den Fonds bereits zur Verfügung gestellt habe, hätten die Abgeordneten dem Ministerium gegenüber ausreichend deutlich gemacht, was sie wollten, nämlich: dass die Mittel auch über diesen Fonds abflössen, sagt der kommunalpolitische Sprecher der Linke-Fraktion, Sascha Bilay. Aus seiner Perspektive weigert sich das Innenministerium schlicht, den Willen der Landtagsmehrheit umzusetzen – unterstützt von der SPD-Landtagsfraktion, die ihren Innenminister, der auch SPD-Landesvorsitzender ist, nicht beschädigen will.
Fraglich ist, wer sich das bisher ausgebremste Thema kapert
Dafür, dass in absehbarer Zeit ein Härtefallfonds eingerichtet wird, scheinen deshalb derzeit drei Wege gangbar, wobei sich im politischen Erfurt derzeit niemand eine seriöse Prognose dazu zutraut, welchen dieser Wege die Landespolitik gehen wird.
Erstens: Das Innenministerium gibt seinen Widerstand gegen den Fonds auf und richtet ihn über eine Verordnung ein.
Zweitens: Die Linken setzen sich innerhalb der Minderheitskoalition durch und sorgen dafür, dass RotRot-Grün im Parlament einen Gesetzesentwurf einbringt und – gemeinsam mit CDU beziehungsweise FDP – verabschiedet, der die Einrichtung eines solchen Topfs erzwingt.
Drittens: Die CDU kapert das Thema politisch und bringt einen entsprechenden Gesetzesentwurf in den Landtag ein, dem Rot-RotGrün sehr wahrscheinlich zustimmen müsste.
Oder könnte der Fonds – viertens – gänzlich scheitern? Eingedenk des Frustes von Schirmer und anderen Anliegern der Straße in Piesau mag man sich das lieber nicht vorstellen. Schon gar nicht, weil es ihnen nicht leicht fällt, zwischen Abgeordneten und Ministern zu unterscheiden. Es wären langfristig „die da oben“, die den Schaden hätten. Einen Schaden, der sich nicht in Euro und Cent beziffern ließe.