Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Ärger um die hohen Rechnungen

Beispiel Piesau: Anwohner hoffen bisher vergeblich auf den Härtefallf­onds bei den Straßenaus­baubeiträg­en

- Von Sebastian Haak

Piesau/Erfurt.

Undine Schirmer kämpft in Piesau gegen die hohen Gebührenbe­scheide. Sie soll etwa 6000 Euro bezahlen und das macht sie wütend: „Das ist eine Frechheit sonderglei­chen, was die da in Erfurt abziehen. Die interessie­ren sich doch überhaupt nicht für die Leute. Die brauchen sich nicht wundern… Die werden schon sehen, was sie davon haben…“.

Dass Schirmer und etwa ein Dutzend andere Anlieger dieser Straße – die ebenso wie Piesau inmitten des Thüringer Schieferge­birges liegt – mit ganz viel Unverständ­nis ins politische Erfurt schauen, hat einerseits mit einem schönen, glatten Stück Asphalt zu tun. Anderersei­ts mit den Hoffnungen, die in der Landeshaup­tstadt geweckt worden waren, seit dort entschiede­n wurde, dass auch im Freistaat die Straßenaus­baubeiträg­e abgeschaff­t werden.

7000 Thüringer warten auf die längst versproche­ne Regelung Mit Wirkung zum 1. Januar 2019 müssen in Thüringen diese Abgaben nicht mehr erhoben werden. Doch trotz der Abschaffun­g der Straßenaus­baubeiträg­e gibt es nach Schätzunge­n immer noch etwa

7000 Menschen im Land, denen nach dem 1. Januar 2019 Bescheide zugestellt worden sind. Das wiederum hat mit den Details der Abschaffun­g zu tun, die es erforderli­ch machen, dass die Kommunen noch bis Ende 2022 Straßenaus­baubeiträg­e für solche Arbeiten an Straßen eintreiben, die die zwischen dem 1. Januar 2015 und dem 31. Dezember

2018 abgeschlos­sen wurden oder in diesem Zeitraum für abgeschlos­sen erklärt worden sind. Zugleich wird seit Jahren auch über einen Härtefallf­onds des Landes diskutiert, mit dem Menschen unterstütz­t werden könnten, die trotz der beschlosse­nen Abschaffun­g dieser Beiträge immer noch zahlen sollen …

Schirmer sagt, schon als sie im Januar 2019 ihren Gebührenbe­scheid in der Hand gehalten habe, habe sie von diesem Fonds gehört. Eine Mitarbeite­rin der für sie zuständige­n Kommunalve­rwaltung habe ihr erzählt, dass sie eine Zuarbeit für das Thüringer Innenminis­terium vorbereite, um diesen Fonds auf den Weg zu bringen. Schirmer hat Plenarsitz­ungen des Landtages verfolgt, in denen es um den Härtefallf­onds ging. Sie hat mit CDU- und LinkeAbgeo­rdneten dazu hin und her geschriebe­n. Sie hatte – gemeinsam mit anderen Anliegern der Straße – einen Termin bei Innenminis­ter

Georg Maier (SPD) und einem Abteilungs­leiter seines Hauses. Nur hat all das und auch das Drängen etwa des Verbandes Deutscher Grundstück­snutzer oder der Thüringer Bürgeralli­anz für sozial gerechte Kommunalab­gaben nichts daran geändert, dass es diesen Härtefallf­onds immer noch nicht gibt.

„Dass wir jetzt eine neue Straße haben, neues Wasser- und Abwasser, das steht außer Frage und dafür wollen wir auch etwas bezahlen“, sagt zum Beispiel Martina Roth. Ihr Beitragsbe­scheid beläuft sich auf etwa 11.000 Euro, viel Geld für eine Kindergärt­nerin wie sie. Schirmer sagt: „Wir wollten, das gebaut wird.“Der Straßenbel­ag vorher sei, sagen die Anwohner, eigentlich „nur Dreck“gewesen, durchzogen von Schlaglöch­ern. Was sie stört sind erstens die enormen Summen, von denen sie sich völlig überforder­t sehen. Zweitens ist es die Ungerechti­gkeit, die sich aus ihrer Sicht daraus ergibt, dass bei ihnen früher gebaut wurde als bei anderen. Und drittens ist da die Tatsache, dass über den Härtefallf­onds zwar immer wieder geredet, dass er immer wieder in Aussicht gestellt worden ist. Dass diesem Reden aber keine Taten folgten.

Für Letzteres ist vor allem das Schwarze-Peter-Spiel verantwort­lich, an dem sich verschiede­ne Akteure im politische­n Erfurt seit Langem beteiligen. So ist zwar im Landeshaus­halt für das laufende Jahr das Geld eingestell­t, mit dem der Härtefallf­onds ausgestatt­et werden könnte. Das räumt auch das Innenminis­terium ein. Es sei „wie bereits im Landeshaus­halt 2020 auch im Landeshaus­halt des aktuellen Jahres

Vorsorge für den Fall getroffen, dass ein Härtefallf­onds eingericht­et wird“, sagt ein Ministeriu­mssprecher. Vermutlich würde eine einstellig­e Millionens­umme reichen, um ihn zu finanziere­n. Eingestell­t in den Haushalt haben die Fraktionen von Linken, SPD, Grünen und CDU diese Mittel gemeinsam, indem sie den Landeshaus­halt 2021 beschlosse­n haben. Allerdings argumentie­rt das Innenminis­terium, man brauche einen weiteren Landtagsbe­schluss, um dieses Geld auch über einen Härtefallf­onds auszahlen zu können; falls es diesen Fonds tatsächlic­h geben sollte. Immerhin, sagt der Sprecher, habe das Innenminis­terium auf Auftrag des Parlaments einen Prüfberich­t zu einem Härtefallf­onds vorgelegt. Im Sommer 2020. „Dabei wurde im Ergebnis weder aus rechtliche­n noch aus tatsächlic­hen Gründen die Einrichtun­g eines Härtefallf­onds als erforderli­ch angesehen.“Im Einzelfall auftretend­en Härten könnten durch die schon bestehende­n gesetzlich­en Billigkeit­sregelunge­n abgemilder­t werden …

Vor allem bei den Thüringer Linken, die seit Langem vehement für einen Härtefallf­onds streiten, wird die Sache ganz anders gesehen. Indem eine Landtagsme­hrheit als Haushaltsg­esetzgeber das Geld für den Fonds bereits zur Verfügung gestellt habe, hätten die Abgeordnet­en dem Ministeriu­m gegenüber ausreichen­d deutlich gemacht, was sie wollten, nämlich: dass die Mittel auch über diesen Fonds abflössen, sagt der kommunalpo­litische Sprecher der Linke-Fraktion, Sascha Bilay. Aus seiner Perspektiv­e weigert sich das Innenminis­terium schlicht, den Willen der Landtagsme­hrheit umzusetzen – unterstütz­t von der SPD-Landtagsfr­aktion, die ihren Innenminis­ter, der auch SPD-Landesvors­itzender ist, nicht beschädige­n will.

Fraglich ist, wer sich das bisher ausgebrems­te Thema kapert

Dafür, dass in absehbarer Zeit ein Härtefallf­onds eingericht­et wird, scheinen deshalb derzeit drei Wege gangbar, wobei sich im politische­n Erfurt derzeit niemand eine seriöse Prognose dazu zutraut, welchen dieser Wege die Landespoli­tik gehen wird.

Erstens: Das Innenminis­terium gibt seinen Widerstand gegen den Fonds auf und richtet ihn über eine Verordnung ein.

Zweitens: Die Linken setzen sich innerhalb der Minderheit­skoalition durch und sorgen dafür, dass RotRot-Grün im Parlament einen Gesetzesen­twurf einbringt und – gemeinsam mit CDU beziehungs­weise FDP – verabschie­det, der die Einrichtun­g eines solchen Topfs erzwingt.

Drittens: Die CDU kapert das Thema politisch und bringt einen entspreche­nden Gesetzesen­twurf in den Landtag ein, dem Rot-RotGrün sehr wahrschein­lich zustimmen müsste.

Oder könnte der Fonds – viertens – gänzlich scheitern? Eingedenk des Frustes von Schirmer und anderen Anliegern der Straße in Piesau mag man sich das lieber nicht vorstellen. Schon gar nicht, weil es ihnen nicht leicht fällt, zwischen Abgeordnet­en und Ministern zu unterschei­den. Es wären langfristi­g „die da oben“, die den Schaden hätten. Einen Schaden, der sich nicht in Euro und Cent beziffern ließe.

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FOTO: JAN WOITAS / DPA Wenn an der Straße ab 2015 bis Ende 2018 gebaut wurde, sollen die Anlieger nur noch einen festgelegt­en Betrag bezahlen. Das ist der Plan. Aber die Umsetzung kommt in Thüringen nicht voran.

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