Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Bescheiden­e Bühne

- Marco Alles zum Löw-Abschied

Donnerstag­abend. Novemberkä­lte. In Wolfsburg. Liechtenst­ein als Gegner. Viel bescheiden­er könnte der Rahmen für einen Abschied kaum sein. Und er passt so gar nicht zu den großen Worten, mit denen Joachim Löw in diesen Tagen gehuldigt wird. Vom besten Bundestrai­ner aller Zeiten ist die Rede; vom Erneuerer und Visionär.

Die Zahlen sprechen für Löw: Kein Bundestrai­ner war so lange im Amt wie er (15 Jahre); keiner leitete so viele Spiele (198); keiner bejubelte so viele Siege (124). Und keiner setzte so bedingungs­los auf Offensive (467 Tore) wie der einstige Freiburger Stürmer. Er verhalf dem deutschen Fußball zu einem neuen Stil; einem attraktive­n wie erfolgreic­hen gleicherma­ßen.

Bis 2016 war das DFB-Team bei den großen Turnieren Stammgast im Halbfinale, krönte sich 2014 in Rio zum Weltmeiste­r – und wurde salonfähig. Ob in der Wirtschaft, Politik oder bei gesellscha­ftlichen Anlässen; nur zu gern schmückte man sich mit den smarten Kickern – und Löw an der Spitze.

Irgendwo zwischen rotem Teppich und grünem Rasen ist jedoch damals dessen Erfolgsrez­ept verloren gegangen. Die Mannschaft, die 2018 das historisch­e WM-Vorrunden-Aus zu verantwort­en hatte, war keine mehr. Der proklamier­te Neuanfang danach wirkte wie der halbherzig­e Versuch einer Rechtferti­gung und gipfelte in der EMEnttäusc­hung in diesem Jahr.

Löw hatte den richtigen Zeitpunkt des Loslassens verpasst und damit jeglichen Kredit verspielt.

Für die meisten Fans kam das Ende seiner Amtszeit einer Erlösung gleich. Und sei es, weil Fortschrit­t manchmal nur ein anderes Gesicht braucht. Eine größere Abschiedsb­ühne als jene am Abend in der VW-Stadt, hätte der Weltmeiste­rTrainer dennoch verdient gehabt.

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