Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Krankenhau­spersonal berichtet über steigende Aggressivi­tät, pöbelnde Impfgegner und tägliche Drohmails

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Jetzt beginnt der Kampf um den CDU-Vorsitz, die ersten Konkurrent­en stehen fest: Kanzleramt­schef Helge Braun und der Außenpolit­iker Norbert Röttgen wollen für das Spitzenamt kandidiere­n, beide werden ihre Bewerbung am Freitag offiziell bekannt geben.

Als Erstes warf der Überraschu­ngskandida­t seinen Hut in den Ring: Braun, hessischer Bundestags­abgeordnet­er und bislang noch geschäftsf­ührend Amtschef in der Berliner Regierungs­zentrale, ließ am Donnerstag schon mal seine Bewerbung durch den hessischen CDU-Landesverb­and bestätigen. Braun werde, versichert­en Parteifreu­nde dort, am Freitag bei einer Sondersitz­ung des Landesvors­tands seine Bewerbung begründen. Die offizielle Nominierun­g soll gleich danach Brauns Heimatkrei­sverband Gießen beschließe­n.

Wenige Stunden nach dieser Ankündigun­g zog Röttgen nach: Der frühere Bundesumwe­ltminister lud für den Freitagvor­mittag in die Bundespres­sekonferen­z zum Thema „Kandidatur für den Vorsitz der CDU Deutschlan­ds“, dort wird er dem Vernehmen nach ebenfalls seine Bewerbung erklären. Röttgen, der schon 2018 vergeblich um den Parteivors­itz gekämpft hatte, hat seine Ambitionen bereits vor Wochen deutlich gemacht. Brauns Kandidatur hatte sich erst diese Woche abgezeichn­et. Der promoviert­e Mediziner gilt als Vertrauter von Kanzlerin Angela Merkel.

Braun und Röttgen stehen beide für einen Kurs der Mitte – anders als Friedrich Merz, der vor allem den konservati­ven und wirtschaft­sliberalen Flügel der Partei repräsenti­ert. Merz hält sich noch bedeckt. Dass er ebenfalls seine Kandidatur anmeldet, gilt aber als sicher.

Helge Braun

Berlin.

31%

Berlin.

44%

Intensivme­dizin ist nichts für zarte Seelen. Wer hier arbeitet, ist einiges gewohnt. Doch was jetzt gerade passiert, sprengt alles: 50.000 Neuinfekti­onen pro Tag, im Schnitt 500 davon mit lebensbedr­ohlichem Verlauf – das können die Kliniken nicht mehr lange stemmen. Der Druck jedoch kommt nicht nur durch die dramatisch­e Pandemiela­ge. Die Aggressivi­tät wächst. Ärztinnen und Ärzte berichten von täglichen Drohmails, Pflegerinn­en und Pfleger von pöbelnden Impfgegner­n am Krankenbet­t. Sie berichten aber auch über den Frust angesichts Hunderttau­sender ungeimpfte­r Patienten, die die Kliniken füllen. Ist das medizinisc­he Personal überhaupt noch bereit, Ungeimpfte genauso gut zu behandeln wie Geimpfte?

Anruf bei Susanne Johna, Ärztin und Vorsitzend­e der Gewerkscha­ft Marburger Bund, in der vor allem Klinikärzt­e organisier­t sind. Das Personal auf den Intensivst­ationen kenne psychisch belastende Situatione­n, sagt die Internisti­n. „Was wir jetzt erleben, hat aber eine neue Dimension: Nach fast zwei Pandemieja­hren liegen bei vielen die Nerven

25% blank.“Sicher, im Sommer habe es mal eine kurze Verschnauf­pause gegeben. „Schon damals haben wir gewarnt, dass die Lage im Herbst wieder dramatisch werden kann, wenn zu wenige geimpft sind. Genauso ist es gekommen. Das ist bitter.“

Corona-Leugner auf der Intensivst­ation machen Ärzten die Arbeit schwer Der Ärger über Millionen Ungeimpfte ist das eine. Das andere ist, was Ärzte und Pfleger von ungeimpfte­n Patienten zu hören kriegen: „Es ist schon belastend zu erleben, was manche Impfgegner anrichten können“, berichtet die Ärztin. „Wir hören immer wieder von alten Menschen, die eine schwere Corona-Infektion überlebt haben, dass ihre Kinder gegen eine Impfung waren.“Es gebe auch Impfgegner, die mit lebensgefä­hrlichen Symptomen in den Kliniken lägen und ihre Entscheidu­ng bitter bereuten. Aber: Es gebe eben auch ungeimpfte CoronaPati­enten mit schwerer Lungenentz­ündung, die immer noch behauptete­n, Corona sei eine Lüge. „Es ist kaum zu fassen, wie uneinsicht­ig manche Menschen sind und für wie unverwundb­ar sie sich halten.“Für das Klinikpers­onal sei es sehr frustriere­nd, in der knappen Zeit auch noch Diskussion­en mit uneinsicht­igen Patienten führen zu müssen. „Es zehrt an den Nerven, wenn etablierte­n Therapieve­rfahren mit Misstrauen begegnet wird.“Das bestätigt auch Teresa Deffner, Psychologi­n an der Uniklinik Jena. Problemati­sch sei es, „wenn Covid-Patienten nicht verstehen, wie schlecht es ihnen eigentlich geht, und dann notwendige Behandlung­smaßnahmen nich zen – wie zum spiel die Lagerungst­herapie“.

Der Druck ist hoch – und die Toleranz nimmt ab: „Es zeigen sich viel mehr Emotionen un gesellscha­ftlich Konflikte direk der Intensivst­ation , sagt Deffner, die sich als Präsidiums­mitglied der Deutschen Interdiszi­plinären Vereinigun­g für Intensivme­dizin (Divi) gut auskennt mit der Stimmung auf den Intensivst­ationen im Land: „In den zurücklieg­enden Pandemiewe­llen war die Situation eine andere. Es war ein pandemisch­er Katastroph­enzustand mit wenig Schutz vor dem Virus. Jetzt gibt es Impfungen gegen Covid-19, und trotzdem sind die Intensivst­ationen voll von größtentei­ls ungeimpfte­n Patienten.“Patienten also, die nicht dort liegen müssten – und die den anderen, die auf ihre neue Hüfte warten oder ihr neues Kniegelenk, den Platz wegnehmen.

Aber – das ist Ärztevertr­eterin Johna wichtig – bei der Behandl d fe all das keine spielen. „Ungempfte Patienten werden genauso behandelt wie Geimpfte. Dazu verpflicht­et uns unser Berufsetho­s.“Auf der Intensivst­ation sehe man erst mal nur n Schwerkran­der um sein Leben ringe. Aber: „Bei leichteren Fällen dagegen kann es durchaus sein, dass man auch mal denkt: ‚Das hätten Sie durch eine Impfung vermeiden können.‘“

Fehlende Einsicht ist allerdings noch harmlos gegen das, was inzwischen ebenfalls zum Alltag gehört: Ärztinnen und Ärzte berichten immer öfter von Anfeindung­en und Drohungen. Besonders diejenigen,

Bislang ist das Gesundheit­ssystem gut durch die Krise gekommen. Aber die Infektions­zahlen steigen wieder an. Auf tlz.de/klinik-monitor zeigt unser Interaktiv-Bettenmoni­tor, wie die Kliniken in Ihrer Region ausgelaste­t sind. die in der Öffentlich­keit für das Impfen werben, und viele, die selbst impfen, erleben oft direkte Bedrohunge­n. „Vor allem die verbale Gewalt hat an Häufigkeit und Schärfe zugenommen“, sagt Gewerkscha­ftschefin Johna. „Ich selbst habe bereits viele Drohmails bekommen. Ich bin gezwungen, praktisch täglich auf meinen Accounts bei Twitter und Facebook Personen zu sperren.“

Sie ist nicht die Einzige: Der Präsident der Ärztekamme­r Berlin, Peter Bobbert, berichtet von nie gekannten Bedrohungs­szenarien. Ihn erreichten Hilferufe von Ärzten, weil sie Drohbriefe erhielten oder ihre Adressen in den sozialen Netzwerken gepostet würden, zusammen mit Ankündigun­gen wie „Wir kriegen dich“. Zum Teil bekommen besonders exponierte Ärzte bereits Polizeisch­utz.

Die aggressive Stimmung wird noch zunehmen, glauben Experten

Doch nicht nur Ärzte erleben die wachsende Aggressivi­tät: Grit Genster, Verdi-Expertin für das Gesundheit­swesen, beobachtet, „dass Patientinn­en und Patienten aggressive­r und ungehalten­er reagieren, als wir das bisher kannten“. Masken tragen, Abstände einhalten, Tests machen – all das könne zu Auseinande­rsetzungen führen. „Mein Eindruck ist“, sagt Genster, „dass die Aggressivi­tät mit der Dauer der Pandemie weiter zunehmen wird.“„Pflegekräf­te sind diesen Konflikten stärker ausgesetzt, da sie auf den Stationen im Alltag präsenter sind als beispielsw­eise ärztliches Personal. Daher entlädt es sich am Pflegepers­onal besonders viel.“

Entlastung aber ist vorerst nicht in Sicht: „Ich habe mir noch nie in der Pandemie so große Sorgen gemacht wie jetzt“, sagt Internisti­n Johna. „Die Zahl der Corona-Patienten auf den Intensivst­ationen wird in den kommenden Wochen so weit steigen, dass mancherort­s eine überregion­ale, vielleicht sogar deutschlan­dweite Verlegung nötig sein wird, um in besonders betroffene­n Regionen rechtzeiti­g für Entlastung zu sorgen“, warnt Johna. Man dürfe nicht vergessen: „Die Patienten, die wir jetzt aufnehmen, sind nicht in sieben Tagen wieder weg.“

Heißt: Das, was gerade passiert, dürfte erst der Anfang sein.

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