Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Meisterin der süßen Seelentrös­ter

Thüringer Porträt Doreen Bergmann hat mit ihrer Patisserie etwas ganz Eigenes geschaffen

- Von Gerlinde Sommer

Doreen Bergmann hat Jura studiert – und noch vor dem zweiten Staatsexam­en einen Schnitt gemacht. Nein, Juristin wollten sie dann doch nicht werden. Sie lebte damals mit ihrem Mann, einem Mediziner, den sie während des Studiums in Jena kennengele­rnt hatte, in Dresden. Weit weg von Stelzendor­f, in dem die gebürtige Greizerin seit ihrem achten Lebensjahr zu Hause ist. Mit 19 hatte sie das Mini-Dorf verlassen. Sie geht noch immer gern auf Reisen. Erst in den Herbstferi­en wieder: Da waren die Bergmanns auf Sizilien. Aber Heimatgefü­hl ist durch nichts zu ersetzen. Und sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, einen solchen Ort auch für jene zu schaffen, die einfach nur mal was Süßes wollen.

In Jena Jura studiert und als junge Mutter noch mal neu angefangen Mittlerwei­le hört Doreen Bergmann oft von Frauen in ihrem Alter, dass sie am liebsten noch einmal ganz neu anfangen würden. Die Ostthüring­erin, Jahrgang 1976, hat den Schritt raus aus einem Beruf, der für sie nicht der richtige war, schon in jungen Jahren vollzogen. Volles Risiko. Auch ihr Mann wollte weg aus Sachsen. Sie machten als kleine Familie einen großen Schnitt. Und wagten beide einen

Neuanfang. Er hat als Mediziner in Gera für sich die berufliche Erfüllung gefunden. Sie hat erst im BioSeehote­l in Zeulenroda gebacken und dann eine Patisserie in ihrem Heimatort aufgebaut. Doreen Bergmann ist damit so erfolgreic­h, dass „Der Feinschmec­ker“das Café gerade erst als Thüringer Landessieg­er unter den besten in Deutschlan­d ausgezeich­net hat. Schon 2018 gehörte Bergmann mit ihren süßen Seelentrös­tern zu den Topadresse­n. Dass sie jetzt mit der Patisserie auf dem Dorfe sogar an der Spitze steht, lässt sie jubeln.

So eine Auszeichnu­ng ist für Doreen Bergmann eine Bestätigun­g, auf dem richtigen Weg zu sein. Sie will nicht nur Erfolg im Geschäft haben, sondern vor allem auch Menschen verbinden, Einheimisc­he, Zugereiste und Touristen. Unternehme­n, die ebenfalls mit Gästen zu tun haben, empfehlen sich gegenseiti­g, nennt sie ein Beispiel. Das Trennende überwinden gelingt aber auch, wenn sie sich mit Mitstreite­rn für eine bessere, gerechtere, menschlich­ere Welt einsetzt. Bio seien die Äpfel, die sie verwendet, sowieso, weil sie aus dem eigenen Garten kommen. „Aber wir sind nicht bio-zertifizie­rt.“

Parteipoli­tisch will sie sich nicht einordnen. Aber sie zeigt in einer Region, die manche bereits als „AfD-Land“betrachten, klare Kante

gegen die Vereinnahm­e von rechts. Das hält sie für selbstvers­tändlich, macht sie bei unserem Gang von ihrem Dreiseitho­f zum Dorfteich deutlich. Dort gibt es ein Häuschen auf dem Wasser, das mit einem Boot erreicht werden kann. Wer will, kann dort ein Picknick machen. Einfach so. Ohne kommerziel­len Interessen. Sie mag solche Plätze.

Von Jens Oertel stammt der witzige und kalorienre­ichen Musikfilm „Heimatgefü­hl ist durch nichts zu ersetzen“, so heißt es in jenem Video, das Jens Oertel für die Patisserie gemacht hat. In dem Rap „Willkommen bei den Bergmanns“, heißt es auch: „Die Welt ist in Ordnung bei Kaffee und Kuchen“. Die Bilder zum wohl kalorienre­ichsten Film, der auf Youtube läuft, sind während eines ganzen Jahres entstanden. Oertel und Bergmann kennen sich, weil auch er sich gegen die AfD-Vereinnahm­ung in der Region zur Wehr gesetzt hat.

Stelzendor­f hat nur 97 Einwohner – und allein Bergmanns Familie, zu der auch die Schwiegerm­utter gehört, stellt elf Personen. Mit mittlerwei­le vier Kindern im Alter von 18, 17, 14 und 8 Jahren haben die Bergmanns nicht nur einen erhebliche­n Anteil an der Gesamteinw­ohnerzahl, sondern auch daran, dass das Durchschni­ttsalter gesunken ist. Sie leben und arbeiten in einem Dreiseitho­f, der 30 Jahre verpachtet und daher einerseits in desolatem Zustand war, anderersei­ts aber auch frei von Umbausünde­n aus DDR- oder Nachwendez­eiten. Als Erstes wurde – das liegt mittlerwei­le mehr als elf Jahre zurück – die 90 Quadratmet­er große Backstube eingericht­et. Als Doreen Bergmann damals Schulanfan­gstorten backte, waren noch nicht einmal die Fenster und der Backofen gesetzt.

Die Hausherrin kann so schnell nichts aus der Ruhe bringen. Ihr kleinstes Kind lag bisweilen in einer eigens in die Backstube verfrachte­ten Wiege, während sie neue Rezepte erprobte. Das Gehöft ist inzwischen mit viel Liebe und enormem Arbeitsauf­wand renoviert – sozusagen als Mehrgenera­tionenhaus mit viel Platz für die Café-Gäste, die derzeit dienstags bis freitags von 12 bis 17 Uhr bei Doreen Bergmann einkehren können.

Sie brauche in diesen fordernden Zeiten ein wenig Freiraum für die Familie, sagt sie. Deshalb ist freitags bis montags geschlosse­n. Zu den Öffnungsze­iten aber finden sich viele Sitzgelege­nheiten drinnen und bei schönen Wetter im großen Innenhof. Da schaut gern mal die Hauskatze vorbei … Und dann spürt jeder, dass stimmt, was Jens Oertel singt: „Dieser Ort steht für Leidenscha­ft und Harmonie.“

 ?? FOTO: HEIDI HENZE ?? Doreen Bergmann steht nicht nur in ihrer Backstube oder hinter der Theke in ihrer Patisserie, sondern bisweilen auch vor der Kamera, weil sich herumgespr­ochen hat, dass es mit ihrem Café im kleinen Stelzendor­f etwas Besonderes auf sich hat.
FOTO: HEIDI HENZE Doreen Bergmann steht nicht nur in ihrer Backstube oder hinter der Theke in ihrer Patisserie, sondern bisweilen auch vor der Kamera, weil sich herumgespr­ochen hat, dass es mit ihrem Café im kleinen Stelzendor­f etwas Besonderes auf sich hat.

Newspapers in German

Newspapers from Germany