Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Lauter große Baustellen
Wie Kulturrat und Kulturminister auf den Veränderungsbedarf im Freistaat blicken
Das aktuelle Kulturkonzept des Freistaats Thüringen, 170 Seiten stark, stammt von 2012, entstanden unter Kulturminister Christoph Matschie (SPD) in der Großen Koalition. Sein Nachfolger, Benjamin Hoff (Linke), betonte mehrfach, es sei sinnvoll, eine solche Konzeption alle zehn Jahre anzupassen.
Daran knüpft der Kulturrat Thüringen an. „Jetzt ist genau der richtige Zeitpunkt dafür“, so Präsident Jonas Zipf, das „im Dialog und beteiligungsoffen zu gestalten“. Damit meint er nicht allein, dass die ZehnJahres-Frist abläuft, sondern auch die Erfahrungen mit der Pandemie. Dass diese wie unterm Brennglas Veränderungen zeige, „die wir seit Jahren antizipieren“, wie Hoff es formuliert, sagt er im Grunde auch.
Doch wenn zwei das Gleiche sagen, meinen sie noch lange nicht dasselbe. So sieht der Kulturrat etwa ein Vorbild in Hessen, wo die grüne Ministerin Angela Dorn gerade einen umfassenden Beteiligungsprozess organisiert für das, was sie den „Masterplan Kultur“nennt.
„Eine Kulturkonzeption ist immer nur eine Beschreibung von Tendenzen“, meint hingegen Hoff. „Sie wird kein Masterplan Kultur sein.“So etwas hielte er für Staatskultur.
Hoff stellt für 2022 und 2023 Kulturkonferenzen in Aussicht
Und ein dickes Papier, das am Ende keiner liest, sei ihm „weniger wichtig als die Diskussion über die Tendenzen, die uns in den nächsten Jahren beschäftigen.“Dafür stellt er, unserer Zeitung gegenüber, Kulturkonferenzen in Aussicht. Die könnten 2022 und 2023 demnach zu unterschiedlichen Themen stattfinden: Tarifpolitik und Arbeitsbedingungen, Klimaneutralität, kommunale und regionale Entwicklung.
Da trifft sich schon einiges mit dem Kulturrat, der sechzehn Fachverbände vereint. Um über die Zukunft der Kultur zu sprechen, hatte er für kommenden Montag Fachpolitiker aus dem Landtag auf die Heidecksburg in Rudolstadt eingeladen. Kurzfristig sagte man den Termin jetzt ab. Grund: „die gegenwärtige Pandemieentwicklung“.
Das bedeutet für den Moment bittere Ironie. Denn der Kulturrat will ja gerade überwinden, was er die kulturpolitische Schockstarre in der Pandemie nennt: also den Fokus auf kurzfristige Problemlösung. Es müsse nun zum „echten Neustart für die Kultur auch in Thüringen kommen“, ließ Zipf verlauten, als man jüngst ein Positionspapier veröffentlichte (wir berichteten).
Mindestens am Begriff stört sich der Minister. „Neustart hieße ja, die Reset-Taste zu drücken.“Die Bundesund Landesmittel, die in den vergangenen Monaten zwar unter anderem unterm Stichwort „Neustart“flossen, sollten aber dafür sorgen, dass gerade das nicht passiert.
Die Pandemie zeitigte laut Hoff „die erste Wirtschaftskrise, in der die Kultur eine solch prominente Rolle spielt. Daran muss man festhalten, darauf muss man aufbauen.“
Unterm Strich bestreitet der Minister aber sowieso vehement eine Schockstarre. Mittel- und langfristige Veränderungen behält man demzufolge im Blick. So investiere man ja schließlich derzeit an fast allen
Theaterstandorten in Sanierung, Um- und Neubau. Das DNT Weimar arbeite zudem am klimaneutralen Betrieb. „Und in der Soziokultur ist unglaublich viel passiert.“
Größte Kontroverse um Forderung nach einem Kulturgesetzbuch
Im Kulturrat erkennt man das an. Und sieht zugleich lauter große Baustellen: bei Klimaneutralität, Digitalität oder Diversität und Teilhabe. „Transformation findet statt“, sagt Zipf nicht zum ersten Mal, „ob wir wollen oder nicht. Wenn wir das nicht gestalten, tun es andere.“
Definitiv in der Kontroverse befindet man sich mit Hoff beim Thema Kulturgesetzbuch. Der Kulturrat wünscht sich das Gesetz zu Musikund Jugendkunstschulen als erstes Kapitel, dem weitere folgen.
Hoff befürchtet „durch eine Verrechtlichung von Kulturpolitik“eine Tendenz zur Verbeamtung der Kultur. In den republikanischen Phasen von 100 Jahren Thüringen sei man ohne ein solches Kulturgesetzbuch
ganz gut gefahren: „Entscheidend ist, dass die Freiheit der Kultur gewährleistet wird und die finanziellen Rahmenbedingungen dafür zur Verfügung stehen!“
Der Haushaltsentwurf für 2022, der die Ansätze von 2020 zugrunde legt, bereinigt um aktuelle CoronaSondereffekte also, sieht insofern keinerlei Kürzungen vor. Das ist nicht selbstverständlich, wenn man auf andere Bundesländer schaut.
Tarifaufwüchse sind planmäßig eingepreist, Projektmanager-Gehälter werden nicht einmal aufs Vorkrisenniveau zurückgefahren. Und aufgrund aktueller Steuerschätzungen hoffe man, schon 2023 die Entwicklung jährlich steigender Kulturausgaben fortsetzen zu können.
Hoff und Zipf diskutieren über verschiedene Wege zum gleichen Ziel. Der Minister spricht von „Kultur first“fürs Land, der Präsident nennt die Kultur „ein absolutes AThema für Thüringen“. Wenn zwei nicht ganz dasselbe sagen, so können sie doch das Gleiche meinen.