Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Lauter große Baustellen

Wie Kulturrat und Kulturmini­ster auf den Veränderun­gsbedarf im Freistaat blicken

- Von Michael Helbing

Das aktuelle Kulturkonz­ept des Freistaats Thüringen, 170 Seiten stark, stammt von 2012, entstanden unter Kulturmini­ster Christoph Matschie (SPD) in der Großen Koalition. Sein Nachfolger, Benjamin Hoff (Linke), betonte mehrfach, es sei sinnvoll, eine solche Konzeption alle zehn Jahre anzupassen.

Daran knüpft der Kulturrat Thüringen an. „Jetzt ist genau der richtige Zeitpunkt dafür“, so Präsident Jonas Zipf, das „im Dialog und beteiligun­gsoffen zu gestalten“. Damit meint er nicht allein, dass die ZehnJahres-Frist abläuft, sondern auch die Erfahrunge­n mit der Pandemie. Dass diese wie unterm Brennglas Veränderun­gen zeige, „die wir seit Jahren antizipier­en“, wie Hoff es formuliert, sagt er im Grunde auch.

Doch wenn zwei das Gleiche sagen, meinen sie noch lange nicht dasselbe. So sieht der Kulturrat etwa ein Vorbild in Hessen, wo die grüne Ministerin Angela Dorn gerade einen umfassende­n Beteiligun­gsprozess organisier­t für das, was sie den „Masterplan Kultur“nennt.

„Eine Kulturkonz­eption ist immer nur eine Beschreibu­ng von Tendenzen“, meint hingegen Hoff. „Sie wird kein Masterplan Kultur sein.“So etwas hielte er für Staatskult­ur.

Hoff stellt für 2022 und 2023 Kulturkonf­erenzen in Aussicht

Und ein dickes Papier, das am Ende keiner liest, sei ihm „weniger wichtig als die Diskussion über die Tendenzen, die uns in den nächsten Jahren beschäftig­en.“Dafür stellt er, unserer Zeitung gegenüber, Kulturkonf­erenzen in Aussicht. Die könnten 2022 und 2023 demnach zu unterschie­dlichen Themen stattfinde­n: Tarifpolit­ik und Arbeitsbed­ingungen, Klimaneutr­alität, kommunale und regionale Entwicklun­g.

Da trifft sich schon einiges mit dem Kulturrat, der sechzehn Fachverbän­de vereint. Um über die Zukunft der Kultur zu sprechen, hatte er für kommenden Montag Fachpoliti­ker aus dem Landtag auf die Heidecksbu­rg in Rudolstadt eingeladen. Kurzfristi­g sagte man den Termin jetzt ab. Grund: „die gegenwärti­ge Pandemieen­twicklung“.

Das bedeutet für den Moment bittere Ironie. Denn der Kulturrat will ja gerade überwinden, was er die kulturpoli­tische Schockstar­re in der Pandemie nennt: also den Fokus auf kurzfristi­ge Problemlös­ung. Es müsse nun zum „echten Neustart für die Kultur auch in Thüringen kommen“, ließ Zipf verlauten, als man jüngst ein Positionsp­apier veröffentl­ichte (wir berichtete­n).

Mindestens am Begriff stört sich der Minister. „Neustart hieße ja, die Reset-Taste zu drücken.“Die Bundesund Landesmitt­el, die in den vergangene­n Monaten zwar unter anderem unterm Stichwort „Neustart“flossen, sollten aber dafür sorgen, dass gerade das nicht passiert.

Die Pandemie zeitigte laut Hoff „die erste Wirtschaft­skrise, in der die Kultur eine solch prominente Rolle spielt. Daran muss man festhalten, darauf muss man aufbauen.“

Unterm Strich bestreitet der Minister aber sowieso vehement eine Schockstar­re. Mittel- und langfristi­ge Veränderun­gen behält man demzufolge im Blick. So investiere man ja schließlic­h derzeit an fast allen

Theatersta­ndorten in Sanierung, Um- und Neubau. Das DNT Weimar arbeite zudem am klimaneutr­alen Betrieb. „Und in der Soziokultu­r ist unglaublic­h viel passiert.“

Größte Kontrovers­e um Forderung nach einem Kulturgese­tzbuch

Im Kulturrat erkennt man das an. Und sieht zugleich lauter große Baustellen: bei Klimaneutr­alität, Digitalitä­t oder Diversität und Teilhabe. „Transforma­tion findet statt“, sagt Zipf nicht zum ersten Mal, „ob wir wollen oder nicht. Wenn wir das nicht gestalten, tun es andere.“

Definitiv in der Kontrovers­e befindet man sich mit Hoff beim Thema Kulturgese­tzbuch. Der Kulturrat wünscht sich das Gesetz zu Musikund Jugendkuns­tschulen als erstes Kapitel, dem weitere folgen.

Hoff befürchtet „durch eine Verrechtli­chung von Kulturpoli­tik“eine Tendenz zur Verbeamtun­g der Kultur. In den republikan­ischen Phasen von 100 Jahren Thüringen sei man ohne ein solches Kulturgese­tzbuch

ganz gut gefahren: „Entscheide­nd ist, dass die Freiheit der Kultur gewährleis­tet wird und die finanziell­en Rahmenbedi­ngungen dafür zur Verfügung stehen!“

Der Haushaltse­ntwurf für 2022, der die Ansätze von 2020 zugrunde legt, bereinigt um aktuelle CoronaSond­ereffekte also, sieht insofern keinerlei Kürzungen vor. Das ist nicht selbstvers­tändlich, wenn man auf andere Bundesländ­er schaut.

Tarifaufwü­chse sind planmäßig eingepreis­t, Projektman­ager-Gehälter werden nicht einmal aufs Vorkrisenn­iveau zurückgefa­hren. Und aufgrund aktueller Steuerschä­tzungen hoffe man, schon 2023 die Entwicklun­g jährlich steigender Kulturausg­aben fortsetzen zu können.

Hoff und Zipf diskutiere­n über verschiede­ne Wege zum gleichen Ziel. Der Minister spricht von „Kultur first“fürs Land, der Präsident nennt die Kultur „ein absolutes AThema für Thüringen“. Wenn zwei nicht ganz dasselbe sagen, so können sie doch das Gleiche meinen.

 ?? FOTO: MARCO KNEISE ?? Im Zuge der Sanierung des Theaters in Nordhausen entsteht zunächst gerade ein mehrgescho­ssiger Anbau, für den jüngst Richtfest gefeiert wurde. Investiert wird derzeit an fast allen Theatersta­ndorten in Thüringen – für den Kulturmini­ster ein Beleg dafür, dass Veränderun­g in der Landschaft ständig stattfinde­t.
FOTO: MARCO KNEISE Im Zuge der Sanierung des Theaters in Nordhausen entsteht zunächst gerade ein mehrgescho­ssiger Anbau, für den jüngst Richtfest gefeiert wurde. Investiert wird derzeit an fast allen Theatersta­ndorten in Thüringen – für den Kulturmini­ster ein Beleg dafür, dass Veränderun­g in der Landschaft ständig stattfinde­t.

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