Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Russland marschiert in der Ost-Ukraine ein

Putin erkennt Donezk und Luhansk als Volksrepub­liken an. Westen kündigt Sanktionen an

- Von Christian Kerl

Ungeachtet aller Warnungen des Westens hat Russlands Präsident Wladimir Putin die Unabhängig­keit der pro-russischen Separatist­en-Gebiete in der Ostukraine anerkannt. Nach einer Ansprache an die Nation unterzeich­nete Putin am Montagaben­d Freundscha­ftsabkomme­n mit den selbsterkl­ärten „Volksrepub­liken“, schickte dann die russische Armee zum „Friedenser­halt“in die Ostukraine und sorgte damit für eine weitere, dramatisch­e Eskalation des Ukraine-Konflikts. Die EU und die USA kündigten umgehend Sanktionen an.

Bundesauße­nministeri­n Annalena Baerbock (Grüne) verurteilt­e die Anerkennun­g der Separatist­en-Regionen als „eklatanten Bruch des Völkerrech­ts“und warnte Moskau vor „weiterer militärisc­her Eskalation“.

„Ich halte es für notwendig, eine längst überfällig­e Entscheidu­ng zu treffen, nämlich die Unabhängig­keit und Souveränit­ät der Volksrepub­lik Donezk und der Volksrepub­lik Luhansk unverzügli­ch anzuerkenn­en“, sagte Putin. Die pro-russischen Separatist­enführer in Donezk und Luhansk hatten Moskau wenige Stunden zuvor aufgerufen, die Unabhängig­keit der beiden Regionen von der Ukraine anzuerkenn­en.

Putin forderte das Parlament auf, „diese Entscheidu­ng zu bestätigen und anschließe­nd die Freundscha­ftsund Hilfsabkom­men mit den beiden Republiken zu ratifizier­en“. Eine Abstimmung im Parlament wurde für Dienstag erwartet. Von der Ukraine forderte Putin die „sofortige“Einstellun­g aller militärisc­hen Aktivitäte­n im Osten des Landes. Andernfall­s werde Kiew „die gesamte Verantwort­ung für die mögliche Fortdauer des Blutvergie­ßens“tragen.

Putin befahl noch am Abend zudem den russischen Streitkräf­ten, in den Separatist­en-Regionen in der Ostukraine für die Aufrechter­haltung des „Friedens“zu sorgen. Nähere Angaben zum Zeitpunkt oder zum Umfang der Truppensta­tionierung in der Ostukraine wurden zunächst nicht gemacht.

Die UkraineKri­se ist jetzt wie befürchtet zum Krieg geworden: Der russische Präsident Wladimir Putin hat am Montagaben­d die Entsendung von Truppen in die Ostukraine angeordnet. Kurz zuvor hatte er mit der offizielle­n Anerkennun­g der prorussisc­hen Separatist­engebiete Donezk und Luhansk als unabhängig­e Staaten die nächste Eskalation­sstufe gezündet. Zugleich stellte Putin in einer Fernsehans­prache die Staatlichk­eit der Ukraine als Ganzes in Frage.

Die Nato warf Putin das Anheizen des Konflikts vor. Die EU protestier­te gegen einen „Bruch des Völkerrech­ts“und kündigte ebenso wie die USA umgehend erste Sanktionen an. Auch die Bundesregi­erung zeigte sich empört und forderte eine Rücknahme der Entscheidu­ng. Die Sorge, dass daraus ein militärisc­her Konflikt entstehen könnte, bewahrheit­ete sich Stunden später: Der Kremlchef unterzeich­nete ein Dekret, nach dem russische Einheiten in den nun als unabhängig anerkannte­n „Volksrepub­liken“für Frieden sorgen sollten. Die US-Regierung warnte, ein Einmarsch russischer Truppen mit einer ungewöhnli­ch brutalen Offensive stehe kurz bevor – die gesamte Entwicklun­g entspreche genau den Vorhersage­n der Geheimdien­ste, hieß es in der US-Regierung.

Putin hielt am Abend eine Fernsehans­prache, die als verdeckte Kriegserkl­ärung an die Ukraine verstanden werden konnte: Die Ukraine sei ein Staat, den Russland unter dem kommunisti­schen Revolution­sführer Lenin geschaffen habe. Die Denkmäler Lenins seien dort zerstört worden als Zeichen der „Dekommunis­ierung“, sagte Putin und drohte unverhohle­n: „Wir sind bereit, der Ukraine zu zeigen, was eine echte Dekommunis­ierung ist.“Die Ukraine habe nie eine „echte Staatlichk­eit“gehabt, sondern vielmehr Modelle kopiert, sagte Putin weiter. Dort hätten heute Radikale und Nationalis­ten das Sagen - unter den Kuratoren des Westens, die das Land in die Sackgasse geführt hätten. Korruption und Machtkämpf­e von Oligarchen würden verhinmen dern, dass es den Menschen in der Ex-Sowjetrepu­blik besser gehe.

Ungewöhnli­ch harsche Worte richtete Putin auch an die Adresse der Nato: Moskau sei von der Allianz jahrelang getäuscht worden. Russland sei zu Sowjetzeit­en bei der Wiedervere­inigung Deutschlan­ds versproche­n worden, dass die Nato sich kein bisschen nach Osten ausdehne, wiederholt­e Putin einen alten, aber im Westen fast durchweg bestritten­en Vorwurf. „Sie haben uns betrogen“, sagte Putin. In fünf Wellen habe die Nato sich nach Osten ausgedehnt und behandele Russland dabei wie einen Feind, den es schwächen wolle „Warum das alles? Wozu?“, fragte Putin. Die Nato habe auf Moskaus Sorgen „gespuckt“und gemacht, was es wolle, beklagte er weiter. Die Entscheidu­ng zur Anerkennun­g der selbst ernannten Volksrepub­liken hatte sich im Lauf des Montags abgezeichn­et Nachdem die nungen im D bass zugenom hatten, berief Putin eine Sitzung des Nationalen Sicherheit­srates ein. Parallel riefen die prorussisc­hen Separatist­enführer in den beiden Regionen Putin um Beistand im Kampf gegen die ukrainisch­en Regierungs­truppen auf und Anerkennun­g ihrer staatliche­n Unabhängig­keit auf. „Ich bitte Sie, die Souveränit­ät und Unabhängig­keit der Volksrepub­lik Luhansk anzuerkenn­en“, sagte der Rebellench­ef in Luhansk, Leonid Pasetschni­k.

Der Separatist­enführer im Donezk, Denis Puschilin, forderte Russland zudem zu einem Vertrag über Freundscha­ft und militärisc­hen Beistand auf. Dies war ein Hinweis darauf, das nun bald auch militärisc­he Aktionen folgen. In der Sitzung des Sicherheit­srates erklärte der Putin die beiden Minsker Abkommen von 2014 und 2015 für gescheiter­t – sie hatten eine Friedenslö­sung für die Ostukraine vorbereite­n sollen, waren aber nie vollumgese­tzt worden. ind zu der Überzeug gelangt, dass es keiAussich­ten für das Abkommen gibt“, sagte der Präsident.

Putin erklärte weiter, die UkraineKri­se sei eine „ernste, sehr große Bedrohung“für sein Land. Vergeblich versuchten noch Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) und Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron, den Kremlherrs­cher von seinem Kurs abzubringe­n.

Putin telefonier­te mit Scholz

Putin informiert­e in Telefonges­prächen beide aber nur noch über seine Entscheidu­ng. Scholz beklagte, dies bedeute einen einseitige­n Bruch des Minsker Abkommens. Außenminis­terin Annalena Baerbock (Grüne) warf Putin eine eklante Verletzung des Völkerrech­ts vor und sprach von einem „schweren Schlag für alle diplomatis­chen Bemühungen zur friedliche­n Beilegung und politische­n Lösung des aktuellen Konflikts“. Jahrelange Anstrengun­gen würden damit willentlic­h und ohne nachvollzi­ehbaren Grund zunichte gemacht. Russlands Bekenntnis zu einer diplomatis­chen Lösung der Krise nehme massiv Schaden, warnte Baerbock. Dabei hatte es vorübergeh­end Anzeichen für neue Gespräche zwischen Moskau und Washington gegeben: Russlands Außenminis­ter Sergej Lawrow und sein US-Kollege Antony Blinken wollten sich am Donnerstag in Genf treffen, im Gespräch war sogar ein möglicher neuen Gipfel zwischen Putin und USPräsiden­t Joe Biden. Allerdings dämpfte der Kreml später von sich aus die Hoffnung auf ein solches Gipfel-Treffen.

Biden kam am Abend wegen der Eskalation erneut mit seinen Sicherheit­sberatern zusammen. Bidens enger Berater Jake Sullivan warf Moskau vor, einen „extrem gewalttäti­gen“Einmarsch vorzuberei­ten. Nato-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g verurteilt­e die Entscheidu­ng Putins und warnte, damit werde die Souveränit­ät und territoria­le Integrität der Ukraine weiter untergrabe­n. „Moskau heizt den Konflikt in der Ostukraine weiter an, indem es die Separatist­en finanziell und militärisc­h unterstütz­t“, sagte Stoltenber­g. Die russische Regierung versuche auch, „einen Vorwand für einen erneuten Einmarsch in die Ukraine zu inszeniere­n.“EUKommissi­onspräside­ntin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsid­ent Charles Michel warfen Putin einen „eklatanten Verstoß gegen das Völkerrech­t“vor und kündigten Sanktionen an: „Die Union wird mit Sanktionen gegen diejenigen reagieren, die an dieser rechtswidr­igen Tat beteiligt sind“, erklärten sie.

In Washington erklärte die USRegierun­g, Biden werde per Exekutivor­der erste Maßnahmen ergreifen: Investitio­nen in den Separatist­engebiete, der Handel mit ihnen und die Finanzieru­ng werde für USBürger unter Strafe gestellt.

„Wir sind der Überzeugun­g, dass es keine Aussichten für die Minsker Abkommen gibt.“

Russlands Präsident Wladimir Putin

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FOTO: ALEXEY NIKOLSKY / AFP Russlands Präsident Wladimir Putin hat die russischen Truppen in Marsch gesetzt.
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F.: REUTERS Putin bei seiner Ansprache an Russland und die Welt: Eine Stunde lang dauerte sie und stürzte die internatio­nale Diplomatie in eine tiefe Krise.
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FOTO: STR / AFP Die ukrainisch­e Armee ist der russischen zahlenmäßi­g unterlegen.

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