Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Essener Wohnkomplex steht innerhalb von Minuten in Flammen. Experten fragen, wie brandgefährlich Fassaden sind
Dämmstoffe. „Kann es sein“, fragt sich der 86-Jährige, „dass auch hier in einem Neubau zum Dämmen billiges Material verwendet wurde?“
Der ältere Herr formuliert damit die Frage, die sich nicht nur die obdachlos gewordenen Mieter stellen. „Die massive Brandausbreitung hat alle Einsatzkräfte sehr überrascht“, sagt der Essener Feuerwehrsprecher Christoph Risse. Die Wärmedämmverbundfassade aus Styropor habe eine wichtige Rolle bei der Ausbreitung des Brandes gespielt.
Feuerwehrverband warnt vor wärmegedämmten Fassaden
In Deutschland gelten relativ strenge Brandschutzregeln. Demnach dürfen Brandschutzwände, also beispielsweise Hauswände mit geringem Abstand zum Nachbargebäude, gar nicht mehr mit entflammbarem Material gedämmt werden. In diesen Fällen kommt praktisch nur noch Mineralwolle infrage, also aufwendig hergestellte Fasern aus anorganischem, nicht brennbarem Material. Alle anderen Wände müssen Brandsperren enthalten: In bestimmten Abständen muss eine Styroporschicht also ebenfalls von Mineralwollebahnen unterbrochen sein. Der zerstörte Essener Komplex war 2015 gebaut worden. Gemäß den Bauvorschriften
war er mit Brandschutztüren ausgestattet. Ob in dem Wärmedämmverbundsystem ordnungsgemäß auch Brandschutzriegel eingebaut worden waren, müssen nun Sachverständige klären. Fest steht: Die Dämmung muss fachmännisch erfolgen, damit die aus klimaschutzpolitischen Gründen vorgeschriebene Schicht nicht zur Gefahr wird.
„Wir sorgen uns seit Jahren um das Brandgeschehen solcher Fassaden“, sagt Christoph Schöneborn, Landesgeschäftsführer des Feuerwehrverbands NRW. Allein in Nordrhein-Westfalen habe es mehrere Brände ähnlicher Art gegeben, bei denen auch Tote zu beklagen waren. Wenn Schaumstoff Feuer fange, stelle das „die Feuerwehren vor enorme Herausforderungen“, so Schöneborn. „Das Feuer kann sich dann so schnell von außen vorarbeiten, dass es sich schon bis zum Dach ausgebreitet hat, bevor die ersten Kräfte eintreffen.“
Ob auch nur einer der Essener Bewohner in sein Zuhause zurückkehren kann, ist ungewiss: Von 39 Wohnungen sind 35 total zerstört, das Gebäude ist einsturzgefährdet. Und doch hätte es viel schlimmer kommen können, findet Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU): „Alle wurden gerettet, niemand wird vermisst, das ist eindeutig die gute Nachricht.“