Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Vom Mordopfer zur Heiligen

Am Staatsthea­ter Meiningen wird die Oper „Santa Chiara“zu neuem Leben erweckt

- Von Joachim Lange

Dass die Thüringer Theaterlan­dschaft geradezu sprichwört­lich ist, gehört zum besseren Erbteil der deutschen Kleinstaat­erei.

Dabei gab es Fürsten, deren persönlich­er Beitrag deutlich über dem üblichen Standard lag. Georg II. von Meiningen hat sich den Ehrentitel eines Theaterher­zogs redlich verdient. Sein Nachbar in SachsenCob­urg und Gotha, Ernst II. (18181893), hat sogar selbst komponiert. Der ältere Bruder von Prinz Albert (der Ehemann von Queen Victoria) „musste“mit 26 Jahren die Herrschaft übernehmen, brachte es aber dennoch, quasi nebenbei, unter anderem auf fünf Opern! Mit der unter Franz Liszt 1854 in Gotha uraufgefüh­rten „Santa Chiara“hatte er sogar einen europaweit­en Erfolg, der die damals von allen heiß begehrte Opernmetro­pole Paris einschloss.

Die Story ist allerdings selbst für Opernverhä­ltnisse ziemlich sonderbar. Da wird die junge deutsche Prinzessin Charlotte Christine aus politische­m Kalkül an den Zarenhof nach Russland verschache­rt, um den Sohn von Peter dem Großen zu heiraten. Dem fehlt aber nicht nur jede Größe des Vaters, ihm kommt auch sein Verstand abhanden. Für eine Mätresse reicht es aber noch und so wird Charlotte Christine nicht nur öffentlich gedemütigt, sondern sogar vergiftet! Ihr gelingt die Flucht aus Sarg und Gruft ins Exil. In der Meininger Inszenieru­ng von Hendrik Müller sogar unter Mitwirkung von Jesus persönlich.

So kann sie sich – nach der Pause – selbst als Zentrum einer Sekte in Szene (hier in einer Zirkusmane­ge) setzen, als Heilige verehren lassen, wie am Fließband wunderheil­en und dafür kassieren. Wenn sie aus dem Schnürbode­n in die mit lauter (weiblichen und männlichen) Bräuten des Herrn gefüllte Arena einschwebt und alle „Welch ein Anblick“singen, dann sind die Lacher wohl einkalkuli­ert. Und befreiend. Ihr Langzeit-Verehrer Victor landet in ihrem Verein. Zum Schluss auch noch der mittlerwei­le gänzlich dem Wahnsinn verfallene Czarowitsc­h (so wird der Zarewitsch in den Übertiteln genannt). Der bleibt – verdient – am Ende auf der Strecke.

Was diese Vorlage heute zu einer echten Herausford­erung macht, ist vor allem das blumige Libretto von

Charlotte Birch-Pfeiffer. Das ist für sich genommen unfreiwill­ig komisch. Aber ist das beim allseits geliebten „Freischütz“wirklich so viel anders? So weit das möglich ist, bewältigen Müller und sein Team – Marc Weeger (Bühne) und Katharina Heistinger (Kostüme) – diese Klippe mit gut dosierter Ironie, die alles eine Handbreit über dem Boden schweben lässt. Und es bleiben ja immer noch die selbstbewu­sste, ehrgeizige Frau mit einer abenteuerl­ichen Karriere, ein übergeschn­appter Zarensohn, ein Tenor als schmachten­der Liebhaber und große Chornummer­n – also Opernzutat­en für eine Melange, bei der man sich nicht langweilt. Selbst wenn man sich nur über die Absurdität­en amüsiert, die man bei anderen Werken gewohnheit­smäßig übersieht.

Musikalisc­h wirkt das heute Unbekannte dennoch vertraut. Oft lauert der „Freischütz“hinterm Baum des deutschen Waldes (vom Harz samt Bären ist mal die Rede). Dann schmettert Belcanto über die Rampe. Auch mal früher Wagner. Hier hatte keiner den Ehrgeiz, Avantgarde zu sein, sondern wollte unterhalte­n. Ein gewisser Grand-opera-Ehrgeiz, der blitzt freilich immer mal in den Chorpassag­en oder den Finali auf. Die Hofkapelle macht ihrem Namen unter GMD Philippe Bach alle Ehre. Die wunderbare Lena Kutzner als Charlotte Christine und Patrick Vogel als ihr Verehrer Victor, aber auch Johannes Mooser als Zarewitsch und Marianne Schachtel als Charlottes Vertraute Bertha führen ein fabelhafte­s Ensemble samt Chor an. Die Inszenieru­ng macht die Story erträglich und das durchweg tolle Protagonis­tenensembl­e sorgt für musikalisc­hes Vergnügen! Wer Lust auf etwas neues Altes hat, wird hier gut bedient. Nächste Aufführung­en: 13. März, 15 Uhr, 20. März, 18 Uhr, sowie 1. und 30. April, 19.30 Uhr.

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FOTOS (2): CHRISTINA IBERL / MEININGER STAATSTHEA­TER Musikalisc­hes Vergnügen: Tomasz Wija als Alphonse de la Borde, Marianne Schechtel als Bertha, Lena Kutzner als Charlotte Christina und Patrick Vogel als Victor de St. Auban (von links) in der Meininger Inszenieru­ng der Oper „Santa Chiara“.
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Johannes Mooser als Zarewitsch Alexej.

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