Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Wir sind uns so fremd wie nie
Die Welt hält den Atem an. Was in Osteuropa passiert, macht uns sprachlos, fassungslos. Das führt bei westlichen Politikern zu hektischer Betriebsamkeit. Sie treffen sich im Stundentakt, um über angemessene Reaktionen zu beraten. Sanktionen gegenüber Russland werden definiert und in Kraft gesetzt. Viele Bürger fühlen sich dem gegenüber ohnmächtig. Zu denen zähle ich mich.
Als ich in den 1980er-Jahren in die Schule ging, sprach ich fließend Russisch und hatte große Vorbehalte gegenüber den USA. Damals war Ronald Reagan Präsident und für uns der Inbegriff des Bösen. Ich kann mich nicht mehr erinnern, ob uns das gelehrt wurde oder ob sich das durch außerschulische Indoktrination festsetzte. Aber hier die Guten und dort die Bösen, das war klar. Die allgegenwärtigen Sowjets gehörten in der DDR zu unseren Freunden – wie gesagt: aus rein kindlicher Perspektive.
Nach der Wende änderte sich das Koordinatensystem: Obwohl ich Russisch noch bis zum Abitur weiterführte, spreche ich heutzutage besser Englisch. Mir ist die westliche Lebensweise vertraut. Und ich verstehe „die Russen“nicht mehr, allen voran ihren Dauerpräsidenten. Das Riesenreich im Osten macht mir Sorge, weil ich die Vorgehensweise von Putin nicht nachvollziehen kann. Es erschließt sich mir nicht, wieso der Präsident die Lage so eskalieren lässt, wissend, welche innen- und außenpolitischen Folgen das haben wird.
Eine Atempause täte ihm gut, so wie der gesamten Welt. Einfach mal innehalten. Gesprächsangebote gibt es zur Genüge. Wenn Wladimir Putin einfach nur ernst genommen werden will, dann kann er sich jetzt der weltweiten Aufmerksamkeit sicher sein. n.kawig@tlz.de