Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Der Erschöpfte
Wie sich Bodo Ramelow ins digitale Gespräch mit der Bevölkerung begibt
Die erste Zuschauerfrage, die der Moderator im Studio vorliest, setzt einen bemerkenswerten Ton. Sie beginnt mit: „Die USA verlangen gegen China und Russland von ihren sogenannten Partnern Nibelungentreue, die durch transatlantische Falken und natürlich unsere unabhängigen Medien lautstark eingefordert wird.“Müsse da nicht Bodo Ramelow etwas tun, etwa Einfluss auf den öffentlichenrechtlichen Rundfunk nehmen? Und wo bleibe „der Aufschrei der Linken“, also seiner Partei?
Der Ministerpräsident hört sich das alles stoisch an und sagt: „Na ja“. Dann fragt er zurück: Was habe man denn erlebt in der vergangenen Nacht? „Wir haben erlebt, dass das Völkerrecht mit Füßen getreten worden ist und dass erst mal die russische Armee auf das Staatsgebiet der Ukraine eingedrungen ist.“
Dann folgt aber doch die Gleichsetzung. „Umgekehrt ist es leider auch genauso wie das, was die Nato im Kosovo angerichtet hat“, sagt Ramelow. „Die völkerrechtswidrigen Eingriffe, ob sie von Amerika kommen, von Russland kommen oder von China kommen, sind immer völkerrechtswidrige Eingriffe.“
Willkommen zur neuesten Folge von „RamelowDirekt“, der persönlichen Talkshow des Ministerpräsidenten. Die Staatskanzlei hatte das Format bereits ein gutes Jahr vor der Landtagswahl 2019 erfunden. Nach der äußerst dramatischen Wiederwahl Ramelows im März 2020 wurde dann versucht, die Reihe fortzusetzen – was in der Pandemie nur bedingt funktionierte.
Zum Beispiel im Oktober 2020: Damals musste der Ministerpräsident, nachdem er gemeinsam mit Bund und Ländern den von ihm zuvor abgelehnten Lockdown beschlossen hatte, ohne das geplante Publikum in Erfurt sitzen. Die Stimmung war entsprechend, was zu interessanten Aussagen führte. So behauptete er etwa, dass entgegen der offiziellen Zahlen „die Anzahl von wirklich Covid-19-Verstorbenen“in Thüringen „sehr gering“sei.
Danach herrschte erst einmal Pause – bis zum Dienstagabend, an dem der Regierungschef zwar immer noch nur digital, aber live über den Kanal des Südthüringer Regionalfernsehens und dazu per Youtube sowie Facebook erscheint. Die Fragen ins kleine Studio in Suhl können über den Chat oder per Kurznachricht gestellt werden.
Nach der Ukraine geht es etwas wirr über die Förderung von Wärmepumpen im Altbau zur Jugendarbeit von Nichtregierungsorganisationen, bis schließlich die Pandemiepolitik erreicht ist.
Frage an Ramelow: Bars sind geschlossen, Shisha-Bars auf: Wie kann das sein? Ach, sagt der Ministerpräsident, „Edelstahl und Diebstahl hören sich ja auch ähnlich an und sind nicht das gleiche.“Dann fügt er lieber an: „Ehrlicherweise kann ich die Frage nicht beantworten, weil sie mir nicht präsent ist.“
Wie zuletzt nach der Ministerpräsidentenkonferenz gibt sich Ramelow durchaus defensiv. Er bitte wegen der Fehler um Entschuldigung, sagt er. Aber es sei immer um den Schutz von Menschenleben gegangen: „So sehr man auf uns sauer ist, so sehr man auf uns berechtigt schimpft: Gemessen am europäischen Durchschnitt sind unsere Sterbezahlen niedriger.“
Ansonsten schimpft Ramelow mal wieder auf den Bund, der sich um verbindliche Ansagen drücke. Auch habe ihn Art und Weise, wie der Genesenen-Status verkürzt wurde, „sehr in Rage gebracht“.
Der Rest besteht aus Kritik an der Gewalt von Corona-Demonstranten, etwas Vergangenheitsbewältigung und ein bisschen Olympiabilanz. Zwischendrin erzählt Ramelow davon, dass er sich derzeit nur erholen könne, wenn er mit dem Hund am Ferienhaus spazieren gehe. Während er das sagt, sieht der Ministerpräsident von Thüringen vor allem eines aus: sehr erschöpft.
„Corona“, sagt er, „hat sich bei mir über mein Leben gelegt.“