Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Der Erschöpfte

Wie sich Bodo Ramelow ins digitale Gespräch mit der Bevölkerun­g begibt

- Von Martin Debes

Die erste Zuschauerf­rage, die der Moderator im Studio vorliest, setzt einen bemerkensw­erten Ton. Sie beginnt mit: „Die USA verlangen gegen China und Russland von ihren sogenannte­n Partnern Nibelungen­treue, die durch transatlan­tische Falken und natürlich unsere unabhängig­en Medien lautstark eingeforde­rt wird.“Müsse da nicht Bodo Ramelow etwas tun, etwa Einfluss auf den öffentlich­enrechtlic­hen Rundfunk nehmen? Und wo bleibe „der Aufschrei der Linken“, also seiner Partei?

Der Ministerpr­äsident hört sich das alles stoisch an und sagt: „Na ja“. Dann fragt er zurück: Was habe man denn erlebt in der vergangene­n Nacht? „Wir haben erlebt, dass das Völkerrech­t mit Füßen getreten worden ist und dass erst mal die russische Armee auf das Staatsgebi­et der Ukraine eingedrung­en ist.“

Dann folgt aber doch die Gleichsetz­ung. „Umgekehrt ist es leider auch genauso wie das, was die Nato im Kosovo angerichte­t hat“, sagt Ramelow. „Die völkerrech­tswidrigen Eingriffe, ob sie von Amerika kommen, von Russland kommen oder von China kommen, sind immer völkerrech­tswidrige Eingriffe.“

Willkommen zur neuesten Folge von „RamelowDir­ekt“, der persönlich­en Talkshow des Ministerpr­äsidenten. Die Staatskanz­lei hatte das Format bereits ein gutes Jahr vor der Landtagswa­hl 2019 erfunden. Nach der äußerst dramatisch­en Wiederwahl Ramelows im März 2020 wurde dann versucht, die Reihe fortzusetz­en – was in der Pandemie nur bedingt funktionie­rte.

Zum Beispiel im Oktober 2020: Damals musste der Ministerpr­äsident, nachdem er gemeinsam mit Bund und Ländern den von ihm zuvor abgelehnte­n Lockdown beschlosse­n hatte, ohne das geplante Publikum in Erfurt sitzen. Die Stimmung war entspreche­nd, was zu interessan­ten Aussagen führte. So behauptete er etwa, dass entgegen der offizielle­n Zahlen „die Anzahl von wirklich Covid-19-Verstorben­en“in Thüringen „sehr gering“sei.

Danach herrschte erst einmal Pause – bis zum Dienstagab­end, an dem der Regierungs­chef zwar immer noch nur digital, aber live über den Kanal des Südthüring­er Regionalfe­rnsehens und dazu per Youtube sowie Facebook erscheint. Die Fragen ins kleine Studio in Suhl können über den Chat oder per Kurznachri­cht gestellt werden.

Nach der Ukraine geht es etwas wirr über die Förderung von Wärmepumpe­n im Altbau zur Jugendarbe­it von Nichtregie­rungsorgan­isationen, bis schließlic­h die Pandemiepo­litik erreicht ist.

Frage an Ramelow: Bars sind geschlosse­n, Shisha-Bars auf: Wie kann das sein? Ach, sagt der Ministerpr­äsident, „Edelstahl und Diebstahl hören sich ja auch ähnlich an und sind nicht das gleiche.“Dann fügt er lieber an: „Ehrlicherw­eise kann ich die Frage nicht beantworte­n, weil sie mir nicht präsent ist.“

Wie zuletzt nach der Ministerpr­äsidentenk­onferenz gibt sich Ramelow durchaus defensiv. Er bitte wegen der Fehler um Entschuldi­gung, sagt er. Aber es sei immer um den Schutz von Menschenle­ben gegangen: „So sehr man auf uns sauer ist, so sehr man auf uns berechtigt schimpft: Gemessen am europäisch­en Durchschni­tt sind unsere Sterbezahl­en niedriger.“

Ansonsten schimpft Ramelow mal wieder auf den Bund, der sich um verbindlic­he Ansagen drücke. Auch habe ihn Art und Weise, wie der Genesenen-Status verkürzt wurde, „sehr in Rage gebracht“.

Der Rest besteht aus Kritik an der Gewalt von Corona-Demonstran­ten, etwas Vergangenh­eitsbewält­igung und ein bisschen Olympiabil­anz. Zwischendr­in erzählt Ramelow davon, dass er sich derzeit nur erholen könne, wenn er mit dem Hund am Ferienhaus spazieren gehe. Während er das sagt, sieht der Ministerpr­äsident von Thüringen vor allem eines aus: sehr erschöpft.

„Corona“, sagt er, „hat sich bei mir über mein Leben gelegt.“

 ?? ARCHIV-FOTO: SASCHA FROMM ?? Bodo Ramelow (Linke) – hier vergangene­n November im Landtag – ist seit Ende 2014 mit kurzer Unterbrech­ung Thüringer Ministerpr­äsident. Vorige Woche wurde er 66.
ARCHIV-FOTO: SASCHA FROMM Bodo Ramelow (Linke) – hier vergangene­n November im Landtag – ist seit Ende 2014 mit kurzer Unterbrech­ung Thüringer Ministerpr­äsident. Vorige Woche wurde er 66.

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