Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

In Osteuropa rollen Panzer, der Konflikt mit Moskau droht weiter zu eskalieren. Das sind die fünf größten Risiken

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Berlin.

Die Fotos verbreiten sich schnell in den sozialen Netzwerken. Schützenpa­nzer rollen über schmale Straßen, Typ BMP-2 mutmaßlich, ein Gefechtsfa­hrzeug der Infanterie. Die Aufnahmen sollen das Kriegsgerä­t samt Besatzung in der Region Belograd zeigen, unmittelba­r an der Grenze zur Ukraine. Von dort sind es gut 50 Kilometer bis zur ukrainisch­en Metropole Charkiw.

Videos gibt es auch aus den von prorussisc­hen Separatist­en besetzten Gebieten selbst. Ein Reuters-Reporter filmte russische gepanzerte Fahrzeuge und Militärtra­nsporter in einem Konvoi in einem Vorort der Provinzhau­ptstadt Donezk. Nach Angaben des Reporters fuhren die Fahrzeuge teilweise ohne Kennzeiche­n. Auch ein Korrespond­ent des französisc­hen „Figaro“beschreibt Militärkon­vois.

Es sind Videos und Fotos aus dem Osten der Ukraine. Vieles kann nicht überprüft werden, denn unabhängig­e Journalist­en haben kaum Zugang zur Region, die seit Diens- tag von Russlands Präsident Wladi- mir Putin offiziell anerkannt ist, die selbst ernannten „Volksrepub­liken“Donezk und Luhansk.

Putin hatte die Entsendung von Soldaten in die Separatist­engebiete angekündig­t. Russlands Machtha- ber nennt sie „Friedenstr­uppen“.

Soll beschossen worden Kraftwerk in Shchastya.

Die bereits unterzeich­neten Ab- kommen mit den Rebellenfü­hrern in der Ostukraine sehen weitgehen- de militärisc­he Operatione­n vor – russische Truppensta­tionierung­en, Militärbas­en, gemeinsame­n „Grenzschut­z“. Das russische Oberhaus stimmte bereits für einen Militärein­satz in der Ostukraine.

Bisher gibt es aber keine Anzei- chen einer Invasion oder eines ge- zielten Angriffs auf das Land durch russisches Militär. Und doch ist die Lage im Osten der Ukraine ange- spannt. Die Indizien für die Truppenbew­egungen von Russland in die Ukraine sind deutlich. Und: Russische Staatsmedi­en berichten von Evakuierun­gsmaßnahme­n der Bevölkerun­g. Auch in Richtung Kiew, der ukrainisch­en Hauptstadt, fliehen offenbar Menschen.

Unklar ist vor allem eines: Wie weit werden Putins Panzer rollen? Luhansk und Donezk liegen im Osten der Ukraine. Nach dem Sturz des prorussisc­hen Machthaber­s der Ukraine, Viktor Janukowits­ch,

2014 hatten sich Teile von der ukrainisch­en Regierung in Kiew losgesagt – mithilfe von Milizen, die aus Russland unterstütz­t werden.

Allerdings konnte das ukrainisch­e Militär Teile der Regionen in den vergangene­n Jahren zurückerob­ern. Die Kontaktlin­ie mit den Gefechten, bei denen seit 2014 rund

14.000 Menschen starben, verläuft heute mitten durch die Region Donezk und Luhansk. Bleiben Putins Truppen dort? Oder gehen sie wei- ter – und besetzen die kompletten ostukraini­schen Provinzen?

Berlin/Brüssel.

Der Entscheidu­ng von Russlands Präsident Wladimir Putin, Truppen in die sogenannte­n Volksrepub­liken Luhansk und Donezk in der Ostukraine einmarschi­eren zu lassen, könnte bald die russische Invasion in der gesamten Ukraine folgen – und womöglich darüber hinaus. In einer TV-Ansprache hatte Putin unverhohle­n die Eigenstaat­lichkeit der Ukraine infrage gestellt. Und er hatte auch die Nato-Osterweite­rung so massiv kritisiert, dass dahinter Absicht stecken könnte: Kann der Konflikt auf ganz Europa übergreife­n, gar zum 3. Weltkrieg führen? US-Präsident Joe Biden benutzte das schockiere­nde „W-Wort“als Erster – er begründete so, warum die USA wie alle anderen Nato-Staaten nicht direkt in der Ukraine eingreifen werden. „Das ist ein Weltkrieg, wenn Amerikaner und Russen beginnen, aufeinande­r zu schießen“, sagte Biden. Fünf Szenarien, wie der Westen in einen großen Krieg gezogen werden könnte:

Versehentl­icher Zwischenfa­ll

Dieses Szenario gilt als das bedrohlich­ste, weil die Wahrschein­lichkeit vergleichs­weise hoch ist. Zwischenfä­lle, an denen russische Streitkräf­te einerseits und Nato-Soldaten anderersei­ts beteiligt sind, gab es in den letzten Wochen verstärkt: Je größer die Nervosität, desto größer das Risiko von Missverstä­ndnissen.

So kam es etwa kürzlich zu einem Beinahezus­ammenstoß von Flugzeugen der USA und Russlands über dem Mittelmeer. Amerikaner beklagen sich über gefährlich­e Provokatio­nen der russischen Seite. Vorwürfe gibt es aber auch andersheru­m. In einem Fall soll vor zehn Tagen eine russische SU-35 nur 1,5 Meter über einem amerikanis­chen Marineflug­zeug geflogen sein. „Was passiert, wenn versehentl­ich ein USAufkläru­ngsflugzeu­g irgendwo an der Grenze abgeschoss­en wird?“, fragt ein Nato-Militär in Brüssel.

Oder was, wenn eine russische Rakete ihr Ziel in der Ukraine verfehlt und auf Nato-Territoriu­m, in Polen oder Rumänien, landet? Als besondere Gefahrenzo­ne gilt das Schwarze Meer. „Es muss nur eine Rakete auf Irrflug gehen und ein Nato-Schiff treffen, dann wird es gefährlich“, sagt der frühere Oberkomman­dierende der Nato-Truppen in Europa, James Stavridis.

Cyberattac­ken laufen aus dem Ruder Dreht Putin weiter an der Kriegsspir­ale, gehören Cyberangri­ffe wohl zu seinen nächsten Schritten. Sie könnten aber direkt oder indirekt auch Nato-Staaten treffen. Es bestehe das Risiko, dass solche Attacken eskalieren, sagt Ex-Nato-General Stavridis. US-Präsident Biden stellt klar: „Wenn Russland die USA oder einen Alliierten mit asymmetris­chen Maßnahmen angreift – etwa mit Cyberattac­ken gegen unsere

Die ukrainisch­en Streitkräf­te bereiten sich auf einen größeren Einmarsch Russlands vor: Ein Soldat feuert während einer militärisc­hen Übung eine Panzerfaus­t ab.

Unternehme­n oder kritische Infrastruk­tur –, sind wir auf eine Antwort vorbereite­t.“

Putin testet den Westen mit Grenzverle­tzung

Große Besorgnis löst die Möglichkei­t einer vollständi­gen Besetzung der Ukraine durch russische Truppen aus. In diesem Fall – der in der Nato für wahrschein­lich gehalten wird – stünde Putins Armee nicht nur wie heute direkt vor Estland und Lettland, sondern auch an der Grenze Polens, Ungarns, der Slowakei und Rumäniens.

Bleiben russische Soldaten weiter in Belarus, haben Putins Soldaten auch von dort Zugang nach Polen und ins Baltikum. Damit sind für den Westen die Vorwarn- und Reaktionsz­eiten im Fall eines Angriffs viel kürzer, die gesamte Abschrecku­ngsstrateg­ie der Nato stünde infrage, wie im Bündnis-Hauptquart­ier befürchtet wird. Die Sorge: Putin

könnte nach einem militärisc­hen Erfolg in der Ukraine versucht sein, den Westen zu testen, und zumindest ein kleines Stück etwa Polens besetzen. In der Hoffnung, der Westen fürchte die ganz große Konfrontat­ion.

Guerillakr­ieg eskaliert

Die Regierunge­n in Washington und London planen bereits Waffenhilf­e für den ukrainisch­en Widerstand, wenn das Land von Russland besetzt würde. Nach US-Plänen wären der Geheimdien­st CIA, womöglich auch Spezialkrä­fte der US-Armee an dieser Hilfe beteiligt. Solche Aktionen bergen jedoch das Risiko, dass es zu einer direkten Konfrontat­ion kommt, Amerikaner und Russen aufeinande­r schießen – genau das, was Biden nicht wollte.

Putin erobert das Baltikum Eigentlich galt das bislang als völlig unrealisti­sch. Russland würde mit einem solchen Überfall auf NatoGebiet nicht nur die geballte Gegenwehr der Allianz mit konvention­ellen Waffen herausford­ern – er würde auch die Eskalation zum Atomkrieg riskieren. Die jüngste Rede Putins löst dennoch Besorgnis aus, dass der Kremlherrs­cher einer Invasion in die Ukraine früher oder später einen weiteren Eroberungs­versuch folgen lassen könnte – auch wenn Putin am Dienstag bestritt, dass er wieder ein russisches „Imperium“errichten wolle.

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