Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Die umstrittene Ostseepipeline Nord Stream 2 wird zum Druckmittel in der eskalierenden Ukraine-Krise
Berlin.
Politiker und Nutzer von sozialen Netzwerken haben die Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Sender über die Eskalation im Ukraine-Konflikt als unzureichend kritisiert. „Es geht gerade um Krieg und Frieden in Europa, gibt es da keine Sondersendung beim ÖRR?“, fragte FDP-Politiker Oliver Luksic, parlamentarischer Staatssekretär im Verkehrsministerium, am Montagabend auf Twitter. Parteifreund Tobias Bauschke, der für die FDP im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt, ging einen Schritt weiter: „Wenn der ÖRR mit der vorhandenen finanziellen Ausstattung bei einem Krieg in Europa keine Sondersendung hinbekommt, hat der ÖRR seine Daseinsberechtigung verloren“, twitterte er. Auch AfDPolitiker und einige Nutzer und Nutzerinnen der Plattform kritisierten die fehlende Sondersendung am Montagabend zur Rede von Russlands Präsident Wladimir Putin und den Entwicklungen im UkraineKonflikt.
Tatsächlich berichtete das „heute journal“um 21.45 Uhr, einschließlich Stimmen von Korrespondenten aus Washington, Berlin, Kiew und Moskau. Die „Tagesthemen“berichteten unter anderem um 22.15 ebenfalls über die Putin-Rede und lieferten Einordnungen aus Moskau und Brüssel. Im Spartensender Tagesschau24 gab es zudem eine Sondersendung. Einen ARD-„Brennpunkt“, ein „ZDF spe- zial“oder eine Unterbrechung lau- fender Sendungen gab es allerdings nicht.
Berlin.
Mit der von Wladimir Putin herbeigeführten Eskalation in der Ostukraine ist die Gaspipeline Nord Stream 2 endgültig zu einem geostrategischen Druckmittel geworden. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kündigte am Dienstag an, das Verfahren zur Inbetriebnahme der Röhre zu stoppen. Scholz begründete den Schritt damit, dass der russische Präsident die Axt an die europäische Nachkriegsordnung lege: „Es droht ein Krieg im Osten Europas.“
Putin hatte die Unabhängigkeit der Separatistenregionen Donezk und Luhansk in der Ostukraine am Montag anerkannt und Truppen dorthin entsandt. „Die Lage heute ist damit eine grundlegend andere“, sagte Scholz. Das gelte auch für Nord Stream 2. Der Kanzler beauftragte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) damit, das Verfahren zur Zertifizierung der Pipeline zu stoppen und in Anbetracht der aktuellen Lage neu zu bewerten. „Das wird sich sicher hinziehen, wenn ich das mal vorhersagen darf“, machte Scholz seinen Willen deutlich, die umstrittene Pipeline auf längere Sicht nicht in Betrieb zu nehmen.
Die 1230 Kilometer lange Röhre führt vom westrussischen Wyborg nach Lubmin bei Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern. Durch die im vergangenen Jahr fertiggestellte Pipeline sollten nach bisherigen Planungen 55 Milliarden Kubikmeter russisches Gas pro Jahr nach Deutschland fließen. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba begrüßte den Stopp der Pipeline. Russland zeigte sich demonstrativ unbeeindruckt: „Moskau hat vor nichts Angst“, verkündete Vizeaußenminister Andrej Rudenko.
Die Parteien der Ampelkoalition benötigten nach ihrem Start Anfang Dezember eine Weile, um angesichts der zunehmenden Spannungen mit Russland in einen Gleichschritt zu kommen. Die Grünen mit Vizekanzler Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock standen schon früh für eine härtere Position
gegenüber Russland. Habeck ließ seit seinem Amtsantritt prüfen, wie Nord Stream 2 Teil eines Sanktionspakets werden könnte. Die SPD hingegen eierte lange herum. Mitte Dezember bezeichnete Scholz die Gaspipeline noch als rein „privatwirtschaftliches Vorhaben“.
Deutschland ist abhängig vom Gas aus Russland
Bei den Verbündeten, besonders in Osteuropa und in den USA, weckte Scholz damit Zweifel an der Standhaftigkeit der Bundesregierung gegenüber Putin. Schließlich ist Deutschland zu einem hohen Maß abhängig davon, dass der Machthaber im Kreml den Gashahn nicht abdreht. Erst im neuen Jahr fand die Koalition zu einer gemeinsamen Linie, Scholz gab mit der Androhung „harter Sanktionen“die Sprachregelung vor. Dennoch weigerte sich der Kanzler bei öffentlichen Auftritten beharrlich, die Pipeline beim Namen zu nennen, um Putin im Ungewissen zu lassen.
Vor einer Woche in Moskau wurde Scholz bereits deutlicher. Im Beisein von Putin sagte der Kanzler über das Schicksal der Röhre im Falle einer militärischen Konfrontation: „Wir jedenfalls wissen, was dann zu tun ist. Mein Eindruck ist, dass das auch alle anderen ganz ge- nau wissen.“Die Warnung war un- missverständlich. Mehrere Stunden redeten Scholz und Putin an dem Tag miteinander. Zeitgleich machte die Ankündigung Russlands, Trup- pen aus dem Grenzgebiet zur Ukrai- ne abgezogen zu haben, Hoffnung auf eine friedliche Lösung der Krise.
Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken bejubelte dies bereits als Ergeb- nis einer „beeindruckenden Krisen- diplomatie“der Ampel-Regierung und des Bundeskanzlers. Der an- gebliche Truppenabzug bewahrhei- tete sich nicht. Heute müssen Scholz und die Koalitionäre in Ber- lin davon ausgehen, dass Putin sich zum Zeitpunkt des Scholz-Besu- ches längst für die Eskalation und die Stationierung von Truppen in den Separatistengebieten in der Ostukraine entschieden hatte.
Eine Brüskierung für den Kanz- ler. Scholz ist allerdings nicht der einzige ausländische Staatschef, der rückblickend vergeblich nach Mos- kau gereist ist, um den Machthaber im Kreml von drastischen Schritten abzuhalten. Mit der Entscheidung, die Inbetriebnahme der Pipeline zu stoppen, macht Scholz nun deut- lich, auf welcher Seite die Bundesre- gierung in diesem Konflikt steht.
Die Gefahr eines neuen Weltkriegs in Europa ist sehr real und sogar zum Greifen nah. Putin verfolgt nur seine wahnsinnigen Interessen auf brutalste Weise – bis jetzt fast ohne Widerstand des Westens. Keiner bleibt von den verheerenden Kriegsfolgen verschont. Auch die Deutschen dürfen sich nicht mehr sicher fühlen. Sollte die Bundesrepublik uns Ukrainer im Stich lassen, anstatt uns mit aller Kraft mit mutigen Taten beizustehen, wird auch der deutsche Wohlstand als Nächstes Putin zum Opfer fallen.
Mit der Kriegserklärung Putins wurde auch Deutschland und seine langjährige Vermittlungsdiplomatie blamiert und gedemütigt. Daher muss die Ampel-Regierung jetzt ohne Zögern handeln. Erstens müsste die Ampel noch heute mit allen Partnern in der EU die viel versprochenen höllischen Russland-Sanktionen verhängen. Zweitens erwarten wir von Deutschland, dass ein milliardenschweres Hilfspaket auf den Weg gebracht wird, um die wirtschaftliche Stabilität und Resilienz der Ukraine zu bewahren. Und drittens verlangen wir mehr denn je deutsche Verteidigungswaffen. Die Ukraine darf nicht als Opferlamm des Pseudopazifismus vor laufenden Kameras geschlachtet werden.