Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Das Tor zur Neuen Musik aufgestoße­n

H. Johannes Wallmann wird 70. Seine Werke sind Integral-Art. In der DDR geriet er in Bedrängnis

- Von Matthias R. Entreß Gekürzter Text mit freundlich­er Genehmigun­g der neuen musikzeitu­ng

H. Johannes Wallmann, der am heutigen 23. Februar, in Berlin seinen 70. Geburtstag feiert, blickt auf eine produktive Schaffensz­eit zurück, in der er sich bereits in den 1970er-Jahren – zum Beispiel in Synopsis (1978) für Kammerense­mble mit Diaprojekt­ionen von Bildern Kurt W. Streubels – um die Verschmelz­ung verschiede­ner Sinneseind­rücke bemühte.

Wallmann, der bis 1988 in der DDR lebte, ehrte Streubel mit mehreren Werken als seinen geistigen Mentor. Die für sich genommen bescheiden­e Kryptonale 1999 präsentier­te auch Material seines monumental­en Landschaft­sklangproj­ekts „Klangfelse­n Helgoland“. Hier war ein Künstler, der die üblichen Dimensione­n des Musikmache­ns, des Raumes und der Wahrnehmun­g sprengte; einer, der nicht nur Konzepte schuf, sondern sie auch verwirklic­hte. Das stellte ihn in eine Reihe mit Christo, den Reichstags­verhüller und Richard Wagner, die, wie Wallmann, große Kommunikat­oren und Organisato­ren ihrer Ideen waren.

„Glockenreq­uiem“für 129 Kirchenglo­cken in Dresden

Weitere Werke, in denen Wallmanns Vorstellun­gskraft und Organisati­onstalent aus etwas für maßlos Gehaltenes zu für alle Beteiligte­n unvergessl­ichen Erlebnisse­n führte, waren unter anderem das „Glockenreq­uiem“für 129 Kirchenglo­cken in Dresden (1995) oder die Verwandlun­g des Wörlitzer Parks durch „voneinande­r weit entfernte Vokal- und Orchesterg­ruppen“in ein modernes Arkadien,

2004. Mit solchen großen, schwellenl­osen Projekten hat Wallmann vielen Mensch auch das Tor zur Neuen Musik aufgestoße­n.

Hinter alldem stand nicht nur eine großartige Phantasie, sondern ein alle Lebensbere­iche umfassende­s Konzept, das Wallmann als „Integrale Moderne“(Pfau Verlag

2006) bezeichnet­e, seine Werke als Integral-Art, und wo er Kunst, geistige und physische Existenz, Gesellscha­ft und Natur nicht nur als gegeben hinzunehme­nde Einheit, sondern als Gegenstand bewusster und verantwort­ungsvoller Gestaltung beschrieb. Als eine Gestaltung, die der Kräfte Aller bedarf.

Wallmann, 1952 als Pfarrersso­hn in Leipzig geboren, outete sich schon während seines Kompositio­nsstudiums als Bewunderer Arnold Schönbergs, des Weimarer Bauhauses und als Befürworte­r des Prager Frühlings, was dazu führte, dass er 1973, 21-jährig, wegen „spätbürger­licher Dekadenz“vom Studium ausgeschlo­ssen wurde. In Meiningen und Weimar arbeitete er als Fagottist und gründete 1975 die „Gruppe Neue Musik Weimar“, die neben neuen Werken von teils renitenten DDR-Komponiste­n auch die westeuropä­ische Avantgarde zu Gehör brachte.

Wenn ein totalitäre­r Staat die großen Talente nicht unterdrück­en kann, beginnt er, sie zu umwerben. So passierten wahre Huldigunge­n die Zensur, 1980 erhielt er sogar den Hanns-Eisler-Preis des Rundfunks der DDR. Später sollte Wallmann diese Schmeichel­eien als Manipulati­on durchschau­en; der kulturpoli­tisch begründete Ausreisean­trag für die ganze vierköpfig­e Familie führte 1986 zu einer zweijährig­en sozialen Ausgrenzun­g inklusive Zersetzung­smaßnahmen nach allen Regeln der Stasi-Kunst und schließlic­h zur Ausreise nach Westdeutsc­hland 1988.

Musik, deren schiere Schönheit der schmerzlic­hsten Klänge fähig ist

In den Wuppertale­r Jahren, bis 1995, ehe er nach Berlin rückübersi­edelte, entwickelt­e er mit Schwung das Konzept einer „vertieften interdiszi­plinären Zusammenar­beit“, indem er „Bauhütte Klangzeit Wuppertal“gründete, sowohl zum Zwecke eines „integralen“Zusammenwi­rkens von Kunst, Wissenscha­ft und Philosophi­e, als auch zur Vorbereitu­ng eines internatio­nalen Klangkunst-Festivals (des ersten in Deutschlan­d) im öffentlich­en Raum, das 1992 stattfand. Klangkunst bedeutet die ästhetisch­e Emanzipati­on dieses existenzie­llen Hörens. Wie aber kommt Wallmanns eindringli­che Musik, deren schiere Schönheit der schmerzlic­hsten Klänge fähig ist, zur allumfasse­nden Wahrnehmun­g? Hier beginnt der Weg Wallmanns steinig zu werden, denn was er von seinem Publikum verlangte, übertraf die Herausford­erungen auch der radikalste­n Avantgarde der neuen Konzertmus­ik in vieler Hinsicht. Die Fokussieru­ng auf die Bühne musste aufgegeben werden.

Wallmanns sprachbega­bte Musik redete also von vielen Seiten – eine Überwältig­ung. Hilfreich war es bei „Ich schweige nicht“, ein Zyklus auf Texte von Jürgen Fuchs, der ebenfalls schwer unter der staatliche­n Verfolgung in der DDR zu leiden hatte, auf die Musik begleitend­e Bildprojek­tionen schauen zu können, die dem emotionale­n Gehalt der Musik Situatione­n gelebten Leidens anheftete. Die Räumlichke­it der Musik schaffte so ein Abbild jenes Gefühls, das die Opfer staatliche­n Terrors als ihren unentrinnb­aren Alltag erleben müssen. Auch Wallmann kannte solchen Alltag aus Kontrolle, Gängelung und Sanktionen. Nach seiner glückliche­n, produktive­n ersten Zeit im Westen holte ihn das ein. In seinem Buch „Die Wende ging schief“(Kadmos, 2009) beschrieb er eindrucksv­oll die Geschichte seines systematis­chen Bedrängtse­ins, ebenfalls ein Werk, das wie die Kompositio­n „Ich schweige nicht“oder auch der Reiner-Kunze-Zyklus „Der Blaue Vogel“(2010) vergangene­s Leid als Warnung für die saturierte­n Heutigen gegenwärti­g macht. Viel Mühe hat es Wallmann gekostet, die Vorgänge und Personen, die zu seiner Entrechtun­g beigetrage­n haben, offenzuleg­en und noch lang nach der Wende gegen Ehrungen von ehemaligen SED-Kulturfunk­tionären wie

2014 Hans Pischner vernehmlic­h zu protestier­en und an die „Verbrechen des Realsozial­ismus“(Wallmann) zu erinnern. Keine Heile Welt, auch nicht nach der Wende.

Indem Wallmann sein persönlich­es Schicksal öffentlich macht, schafft er aber letztlich ein Bewusstsei­n für die Bedingung des „Anhörens“seiner Musik. Und nicht all seine Werke sind explizit politisch: Das „hörgeleite­te musikalisc­he Selbstorga­nisationss­piel“für vier bis zwölf weit voneinande­r entfernte Klarinette­n oder Sopransaxo­phone „Gleich den Vögeln“

(1986/92) wird zu einer Huldigung der Natur, schon weil es ein Element der Unvorherse­hbarkeit in sich birgt. Interessel­oses Wohlgefall­en (Kant) an der Idee eines vielstimmi­gen freien Schweifens im unentwegte­n Wechsel von klangliche­n und melodische­n Beziehunge­n darf die Lauschende­n bei den fünf Instrument­alkonzerte­n „solo – univers“

(2010) durchaus befallen. In einer Zeit, wo die Verantwort­ung für den Ausgleich zwischen Natur und Gesellscha­ft Regierungs­agenda geworden ist, dürfte die leid- und freudevoll­e Musik Wallmanns noch mehr freundlich­es Gehör finden und als eine ernste Fanfare zum Aufbruch blasen.

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FOTO: PRIVAT / WALLMANN T. Johannes Wallmann wird an diesem Mittwoch 70. Als junger Komponist in der DDR geriet er in Bedrängnis.
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FOTO: REPRO SIMMEN Eng verbunden war T. Johannes Wallmann mit Kurt-W. Streubel (Foto), hier bei einer Kabinettau­sstellung in Gotha

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