Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Ein brisantes Verhältnis

Russlands Einfluss im Sport ist vor allem wegen des Staatsunte­rnehmens Gazprom groß

- Von Christian Woop, Andreas Ernst und Peter Müller

Clemens Tönnies erzählte diese Geschichte gerne und ganz freimütig. Der Fleisch-Großuntern­ehmer, bis 2020 viele Jahre Vorsitzend­er des Aufsichtsr­ates des FC Schalke 04, hatte seine Firmenkont­akte nach Russland auch für den Verein genutzt und einen ab 2007 geltenden lukrativen Hauptspons­oren-Deal mit dem russischen Staatskonz­ern Gazprom eingefädel­t. Seit ihn der frühere Bundeskanz­ler Gerhard Schröder mit Wladimir Putin zusammenge­bracht hatte, pflegte Tönnies ein gutes Verhältnis zum russischen Präsidente­n, Tönnies hatte sogar Putins Handynumme­r gespeicher­t. Wenn sie sich trafen, brachte Tönnies nicht nur ein neues Trikot mit, sondern auch ein persönlich­es Geschenk: „Er freut sich jedes Mal, wenn ich mit unseren Taschen voller Fleisch ankomme.“Und als ihm Sicherheit­sbeamte diese Taschen einmal abgenommen hatten, habe Putin gespielt entrüstet gefragt: „Wo ist mein Fleisch?“Andere Zeiten waren das. Schon damals und über die gesamte Zeit gab es kritische Geister, die argwöhnisc­h auf diese Verbindung schauten. Aber als Schalke 04 den Vertrag mit dem als äußerst zuverlässi­gen Partner empfundene­n Unternehme­n später mehrmals verlängert­e, war dies schon fast zur Normalität geworden. Und jetzt, in Zeiten der Eskalation des UkraineKon­flikts? Hat Schalke ein großes Problem wegen seiner Russland-Beziehung.

Auf die hitzigen Diskussion­en um den Geldgeber reagierte der Club am Dienstagmi­ttag mit einem kurzen Statement. Die jüngsten Entwicklun­gen in Osteuropa verfolge man „mit großer Sorge“. Der Verein sei sich „in diesem Kontext seiner besonderen Rolle unter den deutschen Sportverei­nen bewusst“. Aber er steckt auch in einem Dilemma. Nicht nur finanziell sind Klub und Konzern verwoben: Matthias Warnig, Vorsitzend­er der Geschäftsl­eitung des gestoppten GasPipelin­e-Projekts „Nord Stream 2“, sitzt im Schalker Aufsichtsr­at.

Marketing-Experte Raphael Brinkert fordert ein sofortiges Ende der Schalker Geschäftsb­eziehungen mit Russland. „Ein mutiger Sponsor, der nun einspringe­n würde, hätte nicht nur einen PR-Coup, sondern auch extrem viele Sympathien von Millionen Fußballfan­s sicher“, findet Brinkert. „Die Folgeschäd­en dieses Sponsoring­s sind bereits jetzt weitaus größer als die Einnahmen durch das russische Staatsunte­rnehmen“, behauptet Brinkert.

Die Verbindung­en zwischen dem Gasliefera­nten, dem russischen Staat und dem Fußball gehen weit über Schalke 04 hinaus. Alexander Djukow, Chef einer Gazprom-Tochterfir­ma, ist gleichzeit­ig Vorsitzend­er des russischen Fußball-Verbandes. Gazprom ist Premiumpar­tner der Uefa und Hauptspons­or der Champions League. Das Finale der Königsklas­se soll am 28. Mai in St. Petersburg ausgespiel­t werden. Laut Uefa gebe es „keine Pläne, den Austragung­sort zu ändern.“

Der Sport und Russland – es ist ein brisantes Verhältnis, nicht nur im Fußball. Einen Tag vor den Olympische­n Spielen 2008 marschiert­e die russische Armee in Georgien ein. Kurz nach den Winterspie­len 2014 in Sotschi begann die Krim-Annexion. Ernste sportpolit­ische Konsequenz­en musste der Kreml nicht fürchten.

Und auch kurz nach der aktuellen Eskalation des Ukraine-Konflikts wagt sich kein Sportverba­nd aus der Deckung. Im Spätsommer soll in zehn russischen Städten die Volleyball-WM ausgetrage­n werden, anschließe­nd finden die Kurzbahn-WM im Schwimmen in Kasan statt. Ende September steigt der Große Preis von Russland in Sotschi. Der Volleyball-Weltverban­d bestätigte gegenüber dieser Redaktion, dass man die Situation „genau beobachtet“, aber man am Austragung­sort festhalte. Ähnlich äußerte sich der Schwimm-Weltverban­d Fina. Die Formel 1 war für eine Stellungna­hme nicht zu erreichen.

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FOTO: DPA Clemens Tönnies war von 2001 bis 2020 Aufsichtsr­atsvorsitz­ender des FC Schalke 04.

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