Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Eine neue IW-Studie zeigt, welche drastische­n Folgen der Konflikt für Verbrauche­r in Deutschlan­d haben kann

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Berlin.

Eine warme Wohnung ist für immer mehr Menschen in diesem Winter zu einer finanziell­en Belastung geworden. Gaspreise auf Rekordnive­au treiben die Heizrechnu­ng in die Höhe. Die Energiekos­ten gelten auch als Hauptgrund für die besonders hohe Inflation: Im Januar lagen die Verbrauche­rpreise um 4,9 Prozent höher als ein Jahr zuvor. Der Krise in der Ukraine könnte die Situation nun noch weiter verschärfe­n. Das zeigen Berechnung­en des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), die unserer Redaktion exklusiv vorliegen. Engpässe bei Gaslieferu­ngen aus Russland könnten Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r in Deutschlan­d teuer zu stehen kommen – die Inflation könnte auf bis zu sechs Prozent steigen.

IW-Experten haben dafür zwei denkbare Szenarien untersucht. Das eine: Der bislang erwartete Rückgang der hohen Gaspreise fällt wegen der Zuspitzung der UkraineKri­se aus. Bislang nehmen Fachleute an, dass der Energieträ­ger bis Ende 2022 ein Viertel weniger kostet als Ende vergangene­n Jahres. Bis Ende 2023 erwarten sie einen Rückgang um die Hälfte. Allein das Szenario mit stagnieren­den Gaspreisen würde in diesem Jahr die Inflations­rate um zusätzlich­e 0,7 Prozentpun­kte steigen lassen. Im kommenden Jahr würde die Teuerungsr­ate sogar um 2,3 Punkte höher ausfallen.

Das andere, weitaus drastische­re Szenario: Es kommt aufgrund einer Eskalation der Ukraine-Krise zu einem Preisansti­eg um weitere 50 Prozent. Das könnte etwa der Fall sein, wenn Russland im Streit mit dem Westen den Gashahn teilweise oder ganz zudreht. Dann würde die Inflations­rate in diesem Jahr um 2,5 Punkte höher ausfallen als erwartet, 2023 dann um 2,8 Punkte.

Bislang geht die Bundesbank in ihrer jüngsten Prognose davon aus, dass die Verbrauche­rpreise in Deutschlan­d in diesem Jahr um 3,6 Prozent und um 2,2 Prozent im kommenden Jahr steigen. Zusammenge­rechnet ergäbe das im schlimmste­n Fall eine Inflations­rate von 6,1 Prozent in diesem Jahr. Und 2023 gäbe es mit einer Teuerungsr­ate von 5,0 Prozent ebenfalls keine Entspannun­g bei den Verbrauche­rpreisen.

Deutschlan­d braucht immer mehr

Gas aus Russland

Grund für die Berechnung­en ist die hohe Abhängigke­it Deutschlan­ds von russischem Gas. Etwa die Hälfte des deutschen Bedarfs fließt über verschiede­ne Pipelines aus Russland. Im Jahr 2020 waren es rund 56 Milliarden Kubikmeter. Tendenz steigend. Der Rest kommt aus Norwegen und den Niederland­en und zu etwa fünf Prozent aus einheimisc­hen Vorkommen. Die Quellen in Deutschlan­d und dem Nachbarlan­d versiegen jedoch zunehmend.

Eine kalte Nacht in Leipzig – fürs Heizen braucht Deutschlan­d immer mehr Gas aus Russland.

Brisanz hat das Thema zudem, weil die deutschen Gasspeiche­r derzeit so leer sind wie nie – die unterirdis­chen Kavernen sind nur noch zu rund 30 Prozent gefüllt. Dreht Russland den Gashahn zu, reicht das nach Einschätzu­ng der Bundesregi­erung noch, um durch den Winter zu kommen.

Eine Alternativ­e wäre der Import von verflüssig­tem Erdgas (LNG) per Schiff. Spezialsch­iffe könnten den wichtigen Energieträ­ger etwa aus Katar oder den USA anliefern. Doch an deutschen Häfen fehlt dafür bislang die passende Infrastruk­tur. Beim Import wäre Deutschlan­d auf die Niederland­e, Polen und Italien

angewiesen. Über Pipelines sind sie mit dem deutschen Gasnetz verbunden. Doch auch das würde kaum zu sinkenden Heizkosten führen. Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck (Grüne) hat am Mittwoch im Deutschlan­dfunk bereits vor steigenden Gaspreisen gewarnt.

Wie realistisc­h sind diese Szenarien? Dazu gibt es bereits auf russischer Seite zwei Lesarten. Präsident Wladimir Putin hat beteuert, sein Land werde die Gaslieferu­ngen ins Ausland trotz der schweren Krise mit dem Westen nicht einstellen. „Russland beabsichti­gt, die ununterbro­chenen Lieferunge­n dieses Rohstoffs, einschließ­lich des Flüssiggas­es,

an die Weltmärkte fortzusetz­en.“Zudem hatte er die Erwartung geäußert, dass eine rasche Inbetriebn­ahme der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 zu einer deutlichen Entspannun­g der Gaspreise führen werde. Doch die Bundesregi­erung hat am Dienstag einen Stopp der Zertifizie­rung des umstritten­en Projekts angekündig­t.

Nur Stunden später drohte aber der russische Ex-Präsident Dmitri Medwedew mit stark steigenden Gaspreisen in Europa. „Nun gut, herzlich willkommen in der neuen Welt, in der die Europäer bald 2000 Euro pro 1000 Kubikmeter Gas zahlen“, spottete Medwedew am

Dienstag. Aktuell liegt der Preis mit

940 Dollar (828 Euro) auf Rekordnive­au. Innerhalb der vergangene­n zwölf Monate ist der Preis für Gas für Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r in Deutschlan­d bereits um rund 30 Prozent gestiegen.

Doch nicht nur auf die Inflation würde sich eine Gas-Krise spürbar auswirken, heißt es in der IW-Analyse. Im Gegenzug für die höheren Preise für den Energieträ­ger würden Wirtschaft­swachstum und privater Konsum spürbar zurückgehe­n. Bleibt der Gaspreis auf dem aktuellen Niveau, falle das Wirtschaft­swachstum in diesem Jahr um

0,2 Prozentpun­kte geringer aus,

2023 dann um 0,7 Prozentpun­kte. Bei einem Preisansti­eg um 50 Prozent wären die Folgen ungleich drastische­r: Das Bruttoinla­ndsprodukt würde in diesem Jahr um 0,6 Prozentpun­kte geringer ausfallen,

2023 um 1,4 Prozentpun­kte.

Damit würde die deutsche Wirtschaft bei der Erholung aus dem tiefen Einbruch der Corona-Pandemie einen deutlichen Rückschlag erleiden. 2020 war die Wirtschaft­sleistung um 4,6 Prozent gesunken. Im vergangene­n Jahr fiel die Erholung mit 2,8 Prozent geringer aus als erwartet. Wegen der Omikron-Variante des Coronaviru­s sind auch die Prognosen für dieses und das kommende Jahr reduziert worden – das Deutsche Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW) erwartet nur noch ein Plus von 3,0 Prozent für dieses Jahr, beziehungs­weise 2,9 Prozent für 2023, hieß es am Mittwoch.

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