Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Brandenburger Tor erstrahlt in den Farben der Ukraine
Berlin/Moskau.
Jeder glaubt, ihn zu kennen. Sofort tauchen die Bilder auf, wie Wladimir Putin durch goldene Türen schreitet, mit nacktem Oberkörper Lachse fischt – oder wie er breitbeinig in seinem Sessel sitzt und feixend zuschaut, als sein Labrador Koni 2007 an der verängstigten Angela Merkel herumschnüffelt. Die Kanzlerin, das wusste der russische Präsident ganz genau, fürchtet sich vor großen Hunden.
Doch wer ist Putin wirklich, der in Europa Kriegsängste schürt? Der in seiner Videobotschaft am Mittwoch die Sicherheitsinteressen seines Landes für nicht „verhandelbar“erklärt? Wie tickt der Mann, der im Kreml die Entscheidung über Krieg oder Frieden fällt?
Im Oktober wird Putin 70. Man sieht es ihm nicht an. Das mag an den Eisbädern liegen, die er im Winter gern nimmt und sich dabei publikumswirksam ablichten lässt. Oder an Botox. Über angebliche Schönheitsoperationen des Kremlchefs kursieren seit Jahren Gerüchte. Sicher ist, dass sich Putin immer wieder als starker Mann in Szene setzen lässt – sei es bei der Tigerjagd am Amur oder hoch zu Ross. In Russland kommt so etwas an. Aber klar ist auch: Um seine Stärke zu demonstrieren, bräuchte Putin die Bilder nicht. In Moskau und im ganzen Land wissen sie längst, wie weit der Arm des Präsidenten reicht. Putin-Gegner landen im Gefängnis. Zu viele Tote säumen seinen Weg.
Putin hat in Russland eine „Vertikale der Macht“geschaffen. Alles beginnt oben im Kreml. Von dort wird nach unten durchregiert. Er wirkt isoliert, hat einen Club von Gleichgesinnten um sich versammelt. Selbst die hält er auf Distanz. Meterlang ist der Tisch, an dem Putin sich – und in verstörendem Abstand – Außenminister Sergej Lawrow und Verteidigungsminister Sergej Schoigu inszeniert, um der Welt Anfang Februar zu sagen, dass es in der Ukraine-Krise „immer eine Chance“für Diplomatie gebe.
Die Jahre in Dresden zählt Putin zu seinen schönsten
Die zentralen ausführenden Organe sind die Geheimdienste FSB (Inland) und GRU (Ausland). Deren Spitzen gehören zu Putins engstem Beraterkreis, zu jenen Männern, die sie in Russland die „Silowiki“nennen: die Starken. Dazu gehört Nikolaj Patruschew, Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates. Er ist
Eishockey gehört zu Putins großen Leidenschaften.
einer der einflussreichsten Männer. Im Westen würde man von den Falken sprechen, in Abgrenzung zu den Tauben, die es im Kreml nicht gibt. Oder nicht mehr gibt.
Putin hat eine Geschichte, die man nicht vom Ende her verstehen kann. Da ist die ärmliche Kindheit im Leningrad der Nachkriegszeit. Der junge Wladimir prügelt sich viel in den Hinterhöfen, wo das Recht des Stärkeren gilt. Weil er klein ist, lernt er Judo und kämpft mit Köpfchen. Putin erzählt gern, welche Weisheit er aus der Zeit mitgenommen hat: „Wenn der Kampf unvermeidbar ist, musst du als Erster zuschlagen.“Mit 14 bricht er einem Mitschüler das Bein. Seine Lehrerin erzählt später, was Putin dazu sagte: Manche verstünden nur „die Sprache der Gewalt“.
Putins großes Vorbild ist der Vater, der im Krieg als Agent hinter der Feindeslinie deutsche Stellungen
2013: Putin mit seinen Hunden „Buffy“und „Yume“.
sabotierte. Folgerichtig führt Putins Weg in die Kaderschmieden des KGB. Er ist für Auslandsspionage zuständig und kommt 1985 in die DDR nach Dresden, wo er mit seiner Familie lebt. Er fühlt sich wohl, spricht fließend deutsch. Diese Jahre gehörten zu den schönsten in seinem Leben, sagt er später.
Vom US-Präsidenten Barack Obama gedemütigt
Doch dann bricht 1991 die Sowjetunion zusammen. Als Präsident spricht er später von der „größten geopolitischen Katastrophe des 20. Jahrhunderts“. Millionen Russen hätten sich von heute auf morgen „im Ausland“wiedergefunden und damit in einem völlig fremden Leben. Das lässt erahnen, wie es Putin in den 90er-Jahren erging. Nichts ist mehr, wie es gestern noch war. Auf der Suche nach Halt schließt er sich dem Petersburger Reformbürgermeister
Der Präsident testet das Scharfschützengewehr SVCh 380.
Anatoli Sobtschak an. Später schafft er es nach Moskau, steigt zum Chef des FSB auf.
Damals ist nicht ausgemacht, wohin Putins Reise geht. 2001 hält er im Bundestag eine Rede, in der er die Hand weit Richtung Westen ausstreckt. „Wir sehen die europäische Integration mit Hoffnung“, sagt er und verspricht, niemand werde Russland je wieder in die Vergangenheit zurückführen: „Das Hauptziel ist die Garantie der demokratischen Rechte und der Freiheit.“In der Realität geschieht das Gegenteil. Anfangs ist noch von der „gelenkten Demokratie“die Rede, die Stabilität sichern soll. Doch dann sterben die ersten Kritiker. Und 2012, als Putin nach einer Rochade im Präsidentenamt mit seinem Vertrauten Dmitri Medwedew in den Kreml zurückkehrt, lässt er Proteste blutig niederschlagen.
Ist an alldem der Westen schuld,
Putin und die Tiger – es gibt viele Bilder wie dieses.
der die Nato immer weiter nach Os- ten ausdehnt und zuletzt auch einen Beitritt der Ukraine nicht mehr ausschließt? Regelmäßig wirft er westlichen Politikern vor, sie wollten Russland zerteilen, den russischen Bären als Trophäe „ausgestopft“an die Wand hängen. Als US-Präsident Barack Obama Russland zur Regionalmacht herunter- stuft, muss Putin das als Demüti- gung empfunden haben.
Ob Putin von Furcht getrieben ist, von ungebändigtem Machtwillen oder von beidem, darüber lässt sich viel spekulieren. Sicher ist aber: Pu- tin setzt während seiner 22 Jahre an der Spitze Russlands alles daran, Stärke zu zeigen, nie Schwäche. Ob das alte KGB-Schule ist oder Putins Psyche entspringt, lässt sich nicht entscheiden. In der Ukraine-Krise sollte niemand von ihm ein Entgegenkommen erwarten, das als Schwäche gewertet werden könnte.
Berlin.
Die Nato ist ein westliches militärisches Verteidigungsbündnis, das im Nordatlantikvertrag von 1949 geregelt ist. Dort heißt es in Artikel 5: „Die Parteien vereinbaren, dass ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen werden wird.“Wenn nun im Konflikt zwischen Russland, der Ukraine und dem Westen vom „Bündnisfall der Nato“die Rede ist, ist genau diese Passage im Nato-Vertrag gemeint. Im Fall eines solchen Angriffs, so hält der Artikel 5 fest, greife das in den Vereinten Nationen anerkannte „Recht der individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung“der angegriffenen Parteien.
Um die „Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen und zu erhalten“, dürfe auch „Waffengewalt“ergriffen werden, heißt es in Artikel 5. „Vor jedem bewaffneten Angriff und allen daraufhin getroffenen Gegenmaßnahmen ist unverzüglich dem Sicherheitsrat Mitteilung zu machen.“Die Maßnahmen seien einzustellen, „sobald der Sicherheitsrat diejenigen Schritte unternommen hat, die notwendig sind, um den internationalen Frieden und die internationale Sicherheit wiederherzustellen und zu erhalten“.
Die Nato hat derzeit 30 Mitglieder – allerdings gehört die Ukraine nicht dazu. Daher kann laut Vertrag auch nicht der Bündnisfall der Nato greifen im Krieg zwischen russischen und ukrainischen Truppen auf dem Gebiet der Ukraine.
Berlin.
Als Zeichen der Solidarität hat das Brandenburger Tor in Berlin am Mittwochabend in den Farben der ukrainischen Nationalflagge geleuchtet. In den Hauptstädten Paris und London gab es ähnliche Aktionen.