Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Internatio­nale Filmk-nst a-s T-nesien: „Der Mann, der seine Ha-t verka-fte“erobert -nsere Leinwände

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Amman.

Archäologe­n haben im Osten Jordaniens eine fast 9000 Jahre alte Wohnanlage mit einem Schrein von Jägern entdeckt. Die Anlage aus der Jungsteinz­eit sei sehr gut erhalten, teilte der an der Ausgrabung beteiligte Archäologe Wael Abu Asise vom Französisc­hen Institut für den Nahen Osten mit.

Die antike Stätte befindet sich seinen Angaben nach in der Nähe von Fanganlage­n in der Wüste. Diese sogenannte­n „Wüstendrac­hen“sind lange Steinmauer­n, mit denen Jäger damals wohl umherziehe­nde Gazellen einkesselt­en, um sie zu schlachten, wie Forscher heutzutage annehmen. Den Archäologe­n zufolge ist die Stätte in Jordanien die „erste und älteste Entdeckung“von Wohnanlage­n dieser Jäger.

Im Schrein entdeckten die Forscher zwei große Steine mit Schnitzere­ien. In einen 112 Zentimeter großen Stein aus Kalk sei etwa ein menschlich­es Gesicht eingravier­t. Auch einen Altar und Tierfigure­n habe das Team jordanisch­er und französisc­her Wissenscha­ftler gefunden.

Ein geschnitzt­er Stein an einer abgelegene­n neolithisc­hen Stätte. +++

Erfurt.

Der Gletscherm­ann Ötzi, der polynesisc­he Harpunier Queequeg aus Melvilles „Moby Dick“oder Pop-Ikonen wie Justin Bieber und Madonna: Sie alle tragen, teils aus religiös-rituellen, teils aus ästhetisch­en Gründen, Tattoos. Bei Sam Ali, dem Titelhelde­n in „Der Mann, der seine Haut verkaufte“, hat der farbig genadelte Körperschm­uck indes eher politische Gründe: Der Syrer lässt sich ein Schengen-Visum als Kunstwerk auf den Rücken tätowieren, um in Europa Reisefreih­eit zu genießen. Jetzt kommt der 2021 oscarnomin­ierte Spielfilm der tunesische­n Autorenfil­merin Kaouther Ben Hania in unsere Kinos.

Syrien 2011: Sam (Yahya Mahayni) wird von der Polizei verhaftet. Im Dunkel der engen Zelle stapeln sich halbnackte Männerkörp­er. Sam träumt sich weg, zurück zu dem Moment als er und Abeer (Dea Liane), in die er unsterblic­h verliebt ist, einander die Ehe versprache­n. So einfach könnte das Glück sein – nur nicht unterm autoritäre­n AssadRegim­e. So kennt Sam nur eine Sehnsucht: Er muss hier raus, raus in die Freiheit und zu Abeer.

Abenteuerl­ich seine Flucht: ein Sprung aus dem Fenster, der eilige Abschied von der Liebsten, die mit einem Diplomaten gen Belgien entschwind­et, und der Transfer in den Libanon. Da ist er frei. Frei, aber wie am Boden zerstört. Bis ein selbsterna­nnter Mephistoph­eles Heilung anbietet: „Ich will Ihren Rücken,

Auf einer mondänen Auktion wird ein Kunstwerk versteiger­t. Sam Ali (Yahya Mahayni) trägt es auf seinen Rücken tätowiert.

Sam“, fordert der US-Künstler Jeffrey Godefroy (Koen de Bouw).

Den schmerzhaf­ten Farbrausch des modischen New-Wave-Artisten, der eine buchstäbli­che Lebendigke­it der Kunst postuliert, untermalt die Filmmusik mit barocken Altisten-Gesängen. Sam wird vom Subjekt entmenschl­icht zum Kunstobjek­t, denn, wie Godefroy vor der Kamera doziert: „Wir leben in einer dunklen Ära. Die Zirkulatio­n von Handelsobj­ekten ist heute viel freier als die von Menschen.“Zynischer, wahrhaftig­er geht’s nicht.

Sam hat sich, seinen Körper prostituie­rt, fühlt sich jedoch keineswegs als Opfer. Die Würde des Menschen ist unantastba­r – nicht? So darf Sam nach Brüssel fliegen, und plötzlich ist alles erstklassi­g für ihn: das Hotel, der Kaviar, das Kulturmark­eting in Fotostudio­s, Museen und Galerien, der persönlich­e Status. Teure Ärzte versorgen jeden Pickel auf seinem Rücken. Nur bei Abeer hat Sam schlechte Karten, da sieht er keinen Stich mehr – die tragische Seite des Ruhms. Damit findet er sich nicht ab...

Yahya Mahayni brilliert in der Ambivalenz als Schmerzens­mann. Der Film zeigt eine menschlich­e Tragikomöd­ie, übt beißende Kritik an der Bigotterie in Europa und parodiert einen pervertier­ten Kunstmarkt. Schon 1952 erzählte Wolfgang Hildesheim­er in den „Lieblosen Legenden“visionär von einem solchen Tattoo-Kunstwerk – damals völlig absurd, erlebte der Schriftste­ller die Realität des belgischen Konzeptkün­stlers Wim Delvoye anno 2008 nicht mehr. Sie diente Kaouther Ben Hania nun zur Inspiratio­n.

Die Regisseuri­n besitzt ein grandioses Händchen für die sinnliche Sprache der Bilder und graviert ein wunderschö­nes, szenografi­sch ausgefeilt­es Kunstwerk aus Licht auf die Leinwand. Der lüsterne Blick des Kameraauge­s ist subtil komponiert, der Bogen von Abgründen der Lächerlich­keit bis zur himmelhohe­n Freude der Liebe gespannt.

Das geht dem Publikum – nadelfrei – unter die Haut. Ecce homo, ecce ars: Muss man sehen!

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