Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

„Ich war wütend und voller Scham zugleich“

Alwin Meyer recherchie­rt zum Schicksal der Kinder des Konzentrat­ionslagers Auschwitz

- Klaus-Dieter Simmen Eisenach.

Ein halbes Jahrhunder­t beschäftig­t sich Alwin Meyer mit den Kindern von Auschwitz. Er schrieb das Buch „Vergiss Deinen Namen nicht. Die Kinder von Auschwitz“. Und Meyer konzipiert­e Ausstellun­gen. Ab 8. Juni ist in der Eisenacher Gedenkstät­te „Goldener Löwe“eine neue Exposition zu sehen, die sich vor allem den Kindern widmet, die im Lager unter schlimmste­n Verhältnis­sen geboren wurden und leben mussten.

Woher rührt Ihr Interesse an den Kindern von Auschwitz?

Als junger Mensch wusste ich wenig über die Konzentrat­ionslager der Nazis. Meine Fragen dazu blieben entweder unbeantwor­tet oder die Antworten waren nichtssage­nd. Deshalb schloss ich mich als 21-Jähriger einer Gruppe junger Erwachsene­r an, die ins südpolnisc­he Oswiecim reiste, um das KZ Auschwitz und das Vernichtun­gslager Birkenau zu besuchen. Ich wollte endlich Antworten.

Die haben Sie damals offenbar auch bekommen.

Uns führte mit Tadeusz Szymański ein ehemaliger Häftling, der zahlreiche KZ überlebt hatte. Und er erzählte von den Kindern, die entweder nach Auschwitz verschlepp­t oder hier geboren wurden. Die Zahlen sind erschrecke­nd, allein 232.000 Kinder und Jugendlich­e im Alter von ein bis 17 Jahren mussten diese Hölle erleben. Die meisten starben. Bis ins Mark erschütter­ten mich die Geschichte­n, die Tadeusz über diese Kinder erzählte. Ich war wütend und voller Scham zugleich.

Und da haben Sie beschlosse­n, selber auf Spurensuch­e zu gehen?

Ich habe spontan gesagt, ich will drei oder vier dieser Lagerkinde­r aufsuchen, mir ihre Geschichte erzählen lassen und diese aufschreib­en, damit möglichst viele Menschen davon erfahren. Natürlich war das ungeheuer naiv von mir.

Inwiefern?

Glauben Sie, dass die Kinder von Auschwitz freiwillig mit einem Deutschen gesprochen hätten? Alles Deutsche war ihnen verhasst. Und einem Spätgebore­n misstraute­n sie ebenso wie der Generation der Täter.

Wie schafften Sie es trotzdem, mit diesen Menschen zu reden?

Dank Szymański und dank dem polnischen Maler Adam Brandhuber bekam ich Gelegenhei­t, mit Koala Klimczyk und Lydia Rydzikowsk­a zu reden, die das Lager überlebt hatten. Das war der erste Schritt, viele folgten. Oftmals dauerte es lange, ehe die Menschen vertrauen fassten und bereit waren, mit mir zu reden.

Wie viele Interviews mit Zeitzeugen haben Sie mittlerwei­le bei Ihren Recherchen geführt?

Das sind etwa 80 Gespräche weltweit. Viele der ehemaligen Kinder von Auschwitz haben mir nicht nur ihr Vertrauen, sondern auch ihre Freundscha­ft geschenkt.

 ?? HANNO MÜLLER / ARCHIV ?? Alwin Meyer beschäftig­t sich seit mehr als 40 Jahren mit den Geschichte­n der überlebend­en Kinder von Auschwitz. Seine nächste Ausstellun­g zu dem Thema öffnet am 8. Juni in der Eisenacher Gedenkstät­te „Goldener Löwe“.
HANNO MÜLLER / ARCHIV Alwin Meyer beschäftig­t sich seit mehr als 40 Jahren mit den Geschichte­n der überlebend­en Kinder von Auschwitz. Seine nächste Ausstellun­g zu dem Thema öffnet am 8. Juni in der Eisenacher Gedenkstät­te „Goldener Löwe“.

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