Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Der Eklat fällt aus
Wie sich die Thüringer Politik aus ihrer selbst gebastelten Krise manövriert
Über Wochen hatte der linke Ministerpräsident Bodo Ramelow zugesehen, wie die Konflikte seiner Minderheitskoalition mit der CDU eskalierten und man kollektiv in Gefahr geriet, sich von der AfD abhängig zu machen. Kurz vor der entscheidenden Landtagssitzung löste er die Krise ohne größere Rücksicht auf linksgrüne Befindlichkeiten auf schlichte, aber effiziente Weise auf: Er gab der Union nahezu alles, was sie wollte. Chronologie eines Tages, wie es ihn so nur in Thüringen geben kann.
9.30 Uhr, Raum 105, Landtagshochhaus:
Der Ministerpräsident hat kurzfristig zur Pressekonferenz mit Kaffee und Brötchen in seine Räumlichkeiten im Parlament geladen. Die Miene ist angemessen ernst. Es geht, wie so oft zuletzt bei ihm, um Krieg, Gas und Glasindustrie und das große Ganze. Der eigentliche Anlass ist aber die aktuelle landespolitische Krise.
Tags zuvor hatte Ramelow lange mit CDU-Fraktionschef Mario Voigt telefoniert. Das Ergebnis: Der 1000-Meter-Abstand, den die CDU per Gesetzentwurf zwischen Windkraftanlagen und Wohnhäusern gegen den erbitterten Widerstand von Linke, SPD und Grüne forderte, wird mit ein paar Ausnahmen und Einschränkungen akzeptiert. Außerdem gibt Kultusminister Helmut Holter die Gelder frei, damit das Land wie bisher die Gebühren an den freien Gesundheitsfachschulen übernimmt.
Damit scheint der Eklat, auf den die Landespolitik zusteuerte und halb Berlin in Alarmstimmung versetzte, zumindest vorerst auszufallen. Die Sondersitzungen von CDU und AfD zum Schulgeld, die für Mittag angesagt sind, verkommen zur Formalie.
Weil der Ministerpräsident schon mal dabei ist, stellt er auch gleich einen „Masterplan Masterplan zur Dekarbonisierung der Glasindustrie“in Südthüringen vor. Ein Energiemix aus Wasserstoff, Windkraft, Fotovoltaik und Pumpspeicherwerk soll unter Beteiligung der bisher bekämpften Südlink-Stromtrasse 7000 Arbeitsplätze in der Region retten. Auch da biete er der CDU Zusammenarbeit an.
Der Auftritt ist typisch Ramelow: Nachdem er sich lange den Kurs von Rot-Rot-Grün stützte oder zumindest akzeptierte, vollzieht er nun die plötzliche, staatstragende Kehrtwende, ohne Rücksicht auf Partner oder die eigene Fraktion.
11.15 Uhr, ein Flur im Landtag:
CDU-Fraktionschef Voigt hat sich nach der Sitzung mit seinen Abgeordneten vor Kameras und Mikrofonen aufgebaut. Auch er gibt sich maximal staatstragend. Die Eskalation und die bundesweite Berichterstattung hatte ihm Dauertelefonate über Pfingsten eingebracht, auch mit Friedrich Merz, der sich ausgerechnet für Mittwochabend zum Bürgermeisterwahlkampf in Südthüringen angesagt hat. Eine gemeinsame Abstimmung mit der AfD würde dem CDU-Bundesvorsitzenden, der gerade einen Lauf hat, so gar nicht passen – auch wenn er natürlich öffentlich zu Voigt hält.
Die Situation war also brenzlig für Voigt. Aber nun, da Ramelow zuerst nachgegeben hat, darf er sich als Sieger fühlen.
Die Sondersitzung zum Schulgeld beginnt. Der Bildungsminister sieht aus, als habe er Tage nicht geschlafen oder als habe Ramelow ihm stundenlang den Job erklärt. Beides schlägt aufs Gemüt. Holter hat seine Rede auf gelbe Zettel notiert und das Wichtigstes vorsichtshalber noch markiert. Schulgeld für Auszubildende in den medizinischen Fachberufen werde „in Zukunft nicht mehr bezahlt werden“, sagt er. Finanzministerin Heike Taubert (SPD) habe ihm die nötigen knapp zwei Millionen Euro zugesagt.
In der Ankündigung des Ministers sieht der CDU-Parlamentarier Thadäus König einen „guten Tag für die Gesundheitsfachberufe“.
Der AfD-Abgeordnete René Aust dagegen wettert, junge Menschen seien „bitter betrogen“worden, und spricht von „einem unverschämten Vertrauensbruch“.
„Ich möchte die Betroffenen ausdrücklich um Entschuldigung bitten“, sagt Denny Möller (SPD). Auch Ramelow bittet um Entschuldigung und nimmt den kritisierten Holter mehrfach in Schutz.
grüne Landeschefin Anne Bohm schnaubt zu allgemeinen Konsensmeldungen
im Radio: Ramelows Vorschlag sei „nicht abgestimmt“, es gebe noch keine Einigung.
14.10 Uhr, Raum 003 im Landtag:
Die Fraktionschefs Steffen Dittes (Linke), Matthias Hey (SPD) und Astrid Rothe-Beinlich (Grüne) treffen sich mit ihrem CDU-Pendant Voigt. Sie vereinbaren, die Abstandsflächen von Windrädern von der Landtagstagesordnung zu nehmen. „Wir haben jetzt noch einmal vier Wochen, um zu verhandeln“, sagt Hey im Anschluss.
17.30, Gesellschaftshaus Sonneberg:
Der CDU-Bundesvorsitzende CDU gibt sich prächtig gelaunt. Friedrich Merz steht auf der Bühne vor etwa 200 Menschen, hört sich geduldig die Reden der örtlichen Bürgermeisterkandidatin und der Landesprominenz an und dankt Voigt, der aus Erfurt angereist ist: Der Fraktionschef habe gezeigt, dass die CDU „auch aus der Opposition etwas erreichen“könne und „dass das nicht mit der AfD“gehen müsse – „oder der FDP“.