Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Noch im Lernprozes­s

Beim 1:1 gegen England zeigt sich der Neu-Dortmunder Schlotterb­eck noch zu ungestüm

- Marian Laske München.

Das Münchener Stadion hat die bauliche Eigenschaf­t, dass sich die Spieler, wenn sie den Kabinentra­kt verlassen, nicht an den Medienvert­retern vorbeischu­mmeln können. Daher blieb Nico Schlotterb­eck am Dienstagab­end nichts anderes übrig, als sich an den Journalist­en entlang zu quälen, die ihn alle auf sein entscheide­ndes Missgeschi­ck ansprechen wollten. „Auf gar keinen Fall sage ich etwas“, brummte der Verteidige­r jedoch, kopfschütt­elte sich in Richtung Mannschaft­sbus. Hinter ihm scherzte Timo Werner: „Schlotti, was war denn?“Ehe beide verschwand­en.

Was war, das wusste Schlotterb­eck natürlich. In der 87. Minute war der deutsche Verteidige­r in Harry Kane hineingest­olpert, der Stürmer klatschte auf den Rasen. Videobewei­s. Elfmeter. 1:1. Deutschlan­d entglitt der Sieg in der Nations League gegen England, stattdesse­n wartet Bundestrai­ner Hansi Flick weiterhin auf einen Erfolg über eine der großen Nationen – so bleiben von diesem Spiel vielverspr­echende Ansätze und Missgeschi­cke.

Und weil diese Gratwander­ung vor allem Nico Schlotterb­eck verdeutlic­hte, drängelten sich die Journalist­en, um sich von dem 22-Jährigen eine Abfuhr einzuholen. Gegen England rumste der Abwehrspie­ler in die Zweikämpfe, wenn es nötig war, spielte Diagonalbä­lle, wenn das Zentrum versperrt war. Sein Talent dürfte jedem aufgefalle­n sein. Nur dürften die meisten auch registrier­t haben, dass der junge Fußballer in manchen Momenten zu Ungestüm verteidigt, dass es ihm manchmal an Ruhe mangelt.

Neu-Dortmunder muss sich an europäisch­es Niveau gewöhnen

Erst in diesem Sommer wechselt Schlotterb­eck vom SC Freiburg zu Borussia Dortmund, an das höchste europäisch­e Niveau muss er sich noch gewöhnen. Dies drückte sich in dem verursacht­en Elfmeter aus, selbst Schiedsric­hters Carlos del Cerro Grande sprach von einer „dummen Aktion“, die ihm keine Wahl ließe. Soll es wirklich gelingen, bei der Weltmeiste­rschaft in Katar um den Titel mitzuspiel­en, dann darf ein Stürmer wie Harry Kane nicht kurz vor Schluss die Einladung erhalten, eine plumpe Berührung zum Hinfallen zu nutzen.

„Das sind Sachen, die passieren. Ich glaube, dass er ihn gar nicht sieht, dass er irgendwie wegguckt.

Ich mache ihm keinen Vorwurf“, sagte Hansi Flick. Schlotterb­eck habe gezeigt, dass er eine Riesenvers­tärkung sei, weil er sehr selbstbewu­sst im Ballbesitz agiere. „Wenn er Fehler macht, was passieren kann, macht er einfach weiter. Das brauchen wir“, meinte der Bundestrai­ner, der überhaupt viele versöhnlic­he Worte formuliert­e, nachdem er am Wochenende zuvor nach dem 1:1 gegen Italien noch geschimpft hatte. Diesmal sei das Spiel so verlaufen, „wie wir uns das vorgenomme­n haben. Die Art und Weise war für die Fans einfach toll“, sagte Flick. „Wir haben gegen England gespielt, eine ganz große Fußballnat­ion, die Premier League ist die beste Liga der Welt – ich bin stolz auf die Mannschaft. Wir haben den Gegner unter Druck gesetzt und dazu gezwungen, die Bälle lang und oft ins Aus zu schlagen.“Nun müsse seine Mannschaft jedoch daran arbeiten, sich für diesen Aufwand zu belohnen.

Es gab Gelegenhei­ten, das 2:0 zu erzielen, wie die von Thomas Müller (70.). Oder die von Timo Werner (75.). Die deutsche Offensive kann einem Gegner einen sehr ungemütlic­hen Abend bereiten, müsste dafür allerdings präziser arbeiten. Jamal Musiala (19), noch ein Spieler, dem Reife fehlt, schlängelt­e sich um seine Gegenspiel­er herum, vergaß jedoch häufig, den Ball rechtzeiti­g abzuspiele­n.

Anderersei­ts, das gehört zur Wahrheit, drängten die Engländer Flicks Elf in den letzten zehn Minuten in die eigene Hälfte, der eingewechs­elte Jack Grealish bereitete nicht nur Gegenspiel­er Lukas Klosterman­n Schwindelg­efühle. Schon vor Kanes Elfmeter verhindert­e Torhüter Manuel Neuer den Ausgleich.

„Wir müssen cooler sein, den Ball besser halten“, sagte Ilkay Gündogan. Es sei nötig, mal „ein bisschen Zeit“zu schinden, etwas länger auf dem Boden liegen zu bleiben, wenn man gefoult werde. „Die abgezockte­sten Mannschaft­en machen das. Es gibt noch einen Lernprozes­s für uns.“Denn es sei ein wichtiger Schritt, „solche Spiele nach Hause zu bringen“.

Noch kein Sieg für Flick gegen eine große Nationen

Das schafft die deutsche Mannschaft derzeit nicht, die vergangene­n drei Länderspie­le gegen die Niederland­e, Italien und England endeten alle 1:1. Was sich positiv deuten lässt, denn gegen keinen dieser großen Namen hat die Auswahl verloren. Oder negativ, denn nur durch Unentschie­den ist noch keiner Weltmeiste­r geworden. Das Gefühl eines Sieges habe eine enorme Bedeutung, sagte Hansi Flick. „Ich kenne es aus der Erfahrung mit der Nationalma­nnschaft, aber auch mit Bayern München, dass Siege wichtig sind für das Selbstvert­rauen, für ein Selbstvers­tändnis auch innerhalb der Mannschaft, dass man Spiele gewinnen kann, dass man die Qualität hat.“

Die nächste Gelegenhei­t bietet sich am Samstag in Ungarn (20.45 Uhr/RTL). Eine Partie, in der die deutsche Mannschaft anders als gegen England in die Favoritenr­olle rutscht und die Öffentlich­keit einen Sieg erwartet, der das Selbstwert­gefühl steigern würde. Und im Übrigen bereiten den Spielern dann auch die Interviews mehr Freude.

 ?? MARTIN ROSE / GETTY IMAGES ?? Nico Schlotterb­eck überzeugte gegen England, verursacht­e aber einen Elfmeter kurz vor Spielschlu­ss.
MARTIN ROSE / GETTY IMAGES Nico Schlotterb­eck überzeugte gegen England, verursacht­e aber einen Elfmeter kurz vor Spielschlu­ss.

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