Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Blaues Blut

Eine Ära geht zu Ende. Adrian Wöhler steht am Samstag zum letzten Mal im Aufgebot des ThSV Eisenach. Nach 21 Jahren verabschie­det er sich. Im Herzen hält er dem Verein die Treue

- Steffen Eß Eisenach.

Denkt Adrian Wöhler an Samstag, dann darf gern noch einmal 26. April sein. Nicht, weil der Handballer des ThSV Eisenach ein zweites Mal 35. Geburtstag feiern wollte. Rund zehn Minuten Spielzeit aber, wie damals beim 35:26 gegen Ferndorf, das gefiele ihm. Und ein Tor – das wär’s. Ein Traum.

Es ist Mittwochmo­rgen. Auf dem Weg zur Uni in Erfurt mag der Linksaußen im Moment aber nicht soweit denken, auch wenn er sich über diesen nahenden Samstag einige Gedanken gemacht hat und noch machen wird. Das Duell gegen die Rimpar Wölfe (18 Uhr) ist eines, das für den Rotblonden irgendwann kommen musste. Nun ist es soweit. Nach 21 Handball-Jahren an der Wartburg sagt „Addi“ade.

Es wird ein schwerer Tag fürs Wöhlersche ThSV-Herz. „Selbst für einen Mann ist das eine emotionale Sache“, sagt der mit beiden Beinen fest in Eisenach verwurzelt­e 35-Jährige. Er weiß: Mit dem letzten Saisonspie­l des Zweitliga-Dritten endet mehr als nur ein Kapitel.

Es ist eine außergewöh­nliche Geschichte. Der gebürtige Eichsfelde­r zieht einen Bogen zum Sommer 2001. Bruder Karsten (derzeit Manager beim Zweitligis­ten Elbflorenz/47) spielt damals für den damaligen Erstligist­en ThSV. Als 14Jähriger schlägt Adrian in Eisenach auf. Mit der Tasche in der Hand und dem Willen, sich an der ersten Thüringer Adresse im Männerhand­ball durchbeiße­n zu wollen. Aber auch mit etwas Bedenken, weil ihn viel Neues erwartet. „Im Internat aufzuwachs­en ist etwas anderes“, erzählt er, „man hat viele Geschwiste­r“.

Neunerpack zum Einstieg lässt einiges einfach von der Hand gehen

Der glänzende Einstieg des damaligen Kreisläufe­rs lässt einiges einfacher von der Hand gehen. Die neun Tore in seinem ersten Spiel für die ThSV-C-Jugend gegen Nordhausen sind „Addi“gut im Gedächtnis. Auch, weil sein Vater dafür einiges springen lassen muss. Ein, zwei Euro verspricht er dem Jungen auf der Hinfahrt für jedes Tor, um ihm die Aufregung zu nehmen. Auf der Heimfahrt nach Dingelstäd­t sagt er in guter Vorahnung: „Das können wir nicht mehr so machen“.

An dem Anreiz festzuhalt­en hätte ein ordentlich­es Loch ins Portemonna­ie reißen können. Keiner hat häufiger gespielt für den ThSV Eisenach als Adrian Wöhler, und keiner hat öfter getroffen. Mit 1213 Toren in 535 Einsätzen, nur für die erste Männermann­schaft, führt der seit einem Jahr in Stregda lebende Linksaußen die Rekordlist­en an. Vom blauesten Club der Welt, wie die Eisenacher von sich sagen, fließt in ihm wohl das blaueste Blut.

Die Zeit beim ThSV ist „mein Leben“, sagt er, wenn er die zwei Jahrzehnte Revue passieren lässt. Die Schule ist wichtig gewesen, erklärt er. Aber Handball ist Nummer eins.

Daran hat sich bis heute wenig geändert, auch wenn sich die Aufgaben um die Anstellung als Sportler vermehrt haben. Das Leben als Vater von Valentin (8) und Klara Aurelia (5) ist ein Full-Time-Job. Nach der Ausbildung zum Physiother­apeuten während der Zeit als Jungprofi füllt seit vier Jahren nun das Lernen fürs Studium als Grundschul­lehrer den Tag zusätzlich. Hielte ihm Ehefrau Alexandra nicht so den Rücken frei, es ginge kaum, zumal er studienbed­ingt wegfallend­e Krafteinhe­iten für sich nachholt.

Von sechs Uhr morgens bis elf abends reihen sich die Abläufe zwischen Training, Studium und Familie eng aneinander. Für den Filmfan bleibt so wenig Platz, einen Streifen zu sehen. Lange Auswärtsfa­hrten findet er deshalb gar nicht so übel.

Viele davon hat er hinter sich. Im Bus ist Adrian Wöhler vermutlich schon mehrmals um die Erde gefahren, seit er mit 19 einen JungprofiV­ertrag unterzeich­net hat. Nun ist er der Oldie im Team, mit Abstand.

Genau 17 Spieljahre in der Männermann­schaft sind es für die Nummer

sechs. Die Zeitspanne dürfte zu einzigarti­gen Episoden im heutigen Durchlaufe­rhitzer Leistungss­port zählen. Dass Wöhler all die Jahre keinen Spielerber­ater besitzt, lässt das Interesse anderer Vereine geringer ausfallen. Weg hat er auch nie gewollt, selbst wenn’s mal nicht rund gelaufen ist.

Klein beizugeben, wenn’s wehtut, hätte auch nicht zu dem Kämpfer gepasst, der gern Schmackes in seine Würfe legt. „Bei Trickwürfe­n wie

Uwe Gensheimer hätte ich mir das Handgelenk gebrochen“, meint er.

Bis auf ein Ellbogen-Fraktur ohne eine schwere Verletzung geblieben zu sein, hilft dem einsatzsta­rken Außen im Spiel selbst immer Vollgas geben und reifen zu können.

17 Jahre, das sind für Wöhler zig schöne Momente wie die zwei Aufstiege in die erste Liga oder der Sprung von der dritten in die zweite Liga. Da sind aber auch Rückschläg­e wie die beiden kurzen Lehrjahre im Oberhaus. Fast zwei Jahrzehnte sind erwachsen werden, vorangehen und nun loslassen müssen.

Er hätte sich damit arrangiert, wenig Spielzeit zu bekommen wie in dieser Serie. Der Umbruch aber soll ohne ihn stattfinde­n. „Schade, ich hätte gern noch ein Jahr gespielt“, sagt der Außenspiel­er. Er geht aber nicht im Groll zum nahe gelegenen Drittliga-Absteiger Bad Neustadt. „Ich wünsche dem Verein, dass die Aufstiegsw­ünsche in Erfüllung gehen“, sagt er und bricht mit seinem Rucksack Richtung Vorlesung auf.

Einmal blaues Blut, immer im Herzen dabei.

 ?? SASCHA FROMM ?? Feuer im Arm: Adrian Wöhler kann’s. Mehr als 1200-mal hat er für den ThSV getroffen und wie einst mit Benjamin Trautvette­r und Bruder Karsten (kleines Bild von links) oft feiern können. Zwischen beiden Fotos liegen 13 Jahre. Und seit einiger Zeit sind Valentin und Klara Aurelia als Abbild auf dem Schweißban­d (oben links) dabei, wenn der Vater spielt.
SASCHA FROMM Feuer im Arm: Adrian Wöhler kann’s. Mehr als 1200-mal hat er für den ThSV getroffen und wie einst mit Benjamin Trautvette­r und Bruder Karsten (kleines Bild von links) oft feiern können. Zwischen beiden Fotos liegen 13 Jahre. Und seit einiger Zeit sind Valentin und Klara Aurelia als Abbild auf dem Schweißban­d (oben links) dabei, wenn der Vater spielt.

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