Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Auto rast in Schülergru­ppe

In Berlin steuert ein Kleinwagen in eine Menschenme­nge, eine Lehrerin stirbt. Fahrer wird festgenomm­en

- Berlin. Was ist passiert?

Christian Unger und Ulrich Kraetzer

Die Nähe ist brisant. Sie ist es, die Menschen aufhorchen lässt, Erinnerung­en weckt. Hier, ganz nah am Berliner Breitschei­dplatz, raste der Dschihadis­t Anis Amri 2016 auf den Weihnachts­markt, einen Lastwagen als Waffe, tötete 13 Unschuldig­e. Jetzt flattert wieder Polizeiban­d am Kurfürsten­damm.

Einen Terror-Alarm gibt es bis zum Mittwochab­end noch nicht – doch der Tathergang erinnert an 2016: Ein Autofahrer ist am Mittwochvo­rmittag mit einem Renault Clio über den Gehweg in eine Menschenme­nge gerast. Ein Mensch starb. Die Ermittlung­en der Polizei sind im Gange. Was wir wissen – und was nicht.

Um kurz vor 10.30 Uhr am Mittwochmo­rgen rast der Fahrer mit hohem Tempo, „Vollgas“berichtet ein Augenzeuge der „Bild“-Zeitung, die große Einkaufsst­raße von Berlin entlang. An der Ecke Rankestraß­e und Tauentzien­straße verlässt der Mann die Fahrbahn mit seinem Auto, verletzt Passanten auf dem Bürgerstei­g. Der Fahrer nimmt wieder Kurs auf die Straße, weicht einem weiteren Auto aus. Am Ende der tödlichen Fahrt kracht der Mann mit dem Wagen in die Fenstersch­eibe einer Douglas-Filiale. So rekonstrui­ert es die Polizei. Die Befragung von Zeugen dauert an.

Zwischen dem ersten verletzten Passanten und dem Crash in der Parfümerie liegen rund 200 Meter. Auf dem Gehweg liegt am Nachmittag Erde aus umgefahren­en Blumenkübe­ln, Tische und Stühle von Cafés daneben. Laut Zeugen soll der Fahrer zunächst versucht haben wegzurenne­n. Passanten halten ihn auf. Mindestens ein Polizist kommt zur Hilfe.

Wer sind die Opfer?

Der Autofahrer fuhr in eine hessische Schülergru­ppe. Nach Informatio­nen unserer Redaktion starb dabei eine Lehrerin. Neben 14 Schülern und einem weiteren Lehrer wurde offenbar auch eine Schwangere verletzt. Den Behörden in Berlin und Wiesbaden zufolge war die zehnte Klasse einer Schule im hessischen Bad Arolsen auf Klassenfah­rt in Berlin. Unmittelba­r nach dem Vorfall knieten die Jugendlich­en auf dem Boden und umsorgten ihre verletzten Mitschüler­innen und Mitschüler. Behörden zufolge erlitten mindestens sechs Menschen lebensgefä­hrliche

Tauentzien­str.

Breitschei­dplatz

Gedächtnis­kirche Verletzung­en. Weitere drei Menschen wurden schwer verletzt. Die Polizei sprach von insgesamt mehr als einem Dutzend Verletzten.

Was ist über den Fahrer bekannt?

Der Fahrer wurde vorläufig festgenomm­en.

Rankestr.

K u rf ü

r s t e n da mm

Ein Großaufgeb­ot der Polizei sperrt die normalerwe­ise belebte Geschäftss­traße mit Flatterban­d ab.

Er sei zunächst von Passanten festgehalt­en worden, sagte Polizeispr­echer Thilo Cablitz. Es gibt ein Video, das kurz nach dem Vorfall entstanden ist. Die Filmaufnah­men kursierten in sozialen Medien, unsere Redaktion konnte sie einsehen. Das Video zeigt einen

Mann, Glatze, stämmige Figur. Er trägt einen blauen Trainingsa­nzug, darunter ein knallgelbe­s Polohemd. Laut Augenzeuge­n soll es sich um den Fahrer des silbernen Renaults handeln. Das Video zeigt, wie dem Mann die Hände auf dem Rücken gefesselt sind, ein Polizist hält ihn fest. Mehrfach sagt der Mann: „Bitte Hilfe“. Er spricht mit Akzent. Später wird das Video gelöscht. Laut Berliner Polizei ist der Fahrer ein 29 Jahre alter Mann, der in Berlin lebt. Er sei Deutsch-Armenier. Offenbar konnte der Fahrer nicht unmittelba­r vernommen werden, da er selbst am Kopf verletzt wurde.

Was ist sein Motiv?

Der Hintergrun­d ist unklar. Die Polizei geht von einem Unfall aus, ermittelt aber weiterhin zu einem möglichen politische­n Motiv. Psychische Beeinträch­tigungen des Fahrers seien zwar nicht auszuschli­eßen, aber alle anderen Hintergrün­de ebenso wenig. Nach Informatio­nen unserer Redaktion soll der Mann der Polizei in der Vergangenh­eit „psychisch aufgefalle­n“sein. Der Mann ist bisher nicht als politische­r Straftäter in Erscheinun­g getreten, etwa als Islamist oder Rechtsextr­emist.

Im Auto entdeckten Ermittler offenbar ein Plakat mit einem Spruch mit Bezug zur Türkei. Armenien ist seit Jahren politisch mit der Türkei verfeindet. Aus Sicht der Polizei handelt es sich – entgegen anderslaut­ender Medienberi­chte – nicht um ein „Bekennersc­hreiben“, teilte ein Polizeispr­echer unserer Redaktion mit.

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GETTY IMAGES Die Todesfahrt des silberfarb­enen Kleinwagen­s endete im Schaufenst­er einer Parfümerie­kette.
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AFP Ein Rettungshu­bschrauber landet auf dem Kudamm.
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AFP Helfer versorgen die Verletzten auf dem Bürgerstei­g.

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