Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Schuld, Strafe und Lücken in der Aufarbeitung
Eine Ausstellung im Erinnerungsort „Topf & Söhne“thematisiert den Dresdner Prozess 1947 gegen Ärzte und Pfleger, die zu Mördern wurden
Anfang 1941 erbat der Vater des 10-jährigen Lothar S. bei der Landesanstalt im sächsischen Großschweidnitz Aufklärung über die näheren Umstände des Todes seines Sohnes. Angeblich war er dort an „Kreislaufversagen“verstorben. Eine Antwort bekam er nie. Das Kind war eines der Opfer des Massenmordes an etwa 300.000 Menschen mit Behinderung, den die Nazis als „Euthanasie“verschleierten. Allein im nahen PirnaSonnenstein starben zwischen 1940 und 1941 etwa 13.700 Opfer im Gas. Die Heil-Pflegeanstalt war zu einem Mordzentrum geworden.
Es waren vor allem Anzeigen von Angehörigen, die 1947 zum Dresdner Euthanasie-Prozess führten. Einer der wichtigsten Verfahren dieser Art im Nachkriegsdeutschland, bei dem sich Ärzte, Pfleger und Schwestern aus Pirna-Sonnenstein verantworten mussten. In einer Wanderausstellung haben die Gedenkstätten Pirna-Sonnenstein und Münchner Platz den Dresdner Prozess dokumentiert, ab 11. Juni ist sie am Erfurter Erinnerungsort „Topf & Söhne“zu sehen.
Was natürlich keine Zufälligkeit ist. Sie muss in enger Korrespondenz mit der seit 2020 laufenden Ausstellung „Wohin bringt ihr uns?“betrachtet werden, die Opfern der Euthanasie-Verbrechen aus Thüringen ein Gesicht gibt und von denen viele in Pirna-Sonnenstein ermordet wurden. Mit den Ausstellungen wolle man dem Gedenken an Opfer der NS-Verbrecher einen Raum geben, die in der historischen Aufarbeitung lange unterbelichtet blieben, erklärt die Leiterin des Erinnerungsortes Annegret Schüle.
Mit einem Angebot, das in der Erfurter Museumslandschaft ein Novum ist: Ein Programmheft wird die Ausstellung des Erinnerungsortes in leichter Sprache erklären, es entstand mit der Lebenshilfe Thüringen. Der Landesverband hatte in Kooperation mit dem Erinnerungsort und den Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora 2020 das Projekt „Barrierefrei erinnern“gestartet. Lebenshilfe-Geschäftsführerin Katja Heinrich spricht von einer Ermunterung, sich mit diesem schweren Thema auseinanderzusetzen. Dazu gehören auch Führungen durch die Ausstellungen, die von Menschen mit Behinderung erarbeitet und angeboten werden.
Vor dem Dresdner Gericht hatte sich der Direktor der Anstalt in Pirna-Sonnenstein Paul Nitsche gegen die Mordanklage verwahrt. Im März 1948 wurde der Arzt, der zum Massenmörder wurde, hingerichtet. Insgesamt wurden beim Prozess von elf beantragten Todesstrafen vier ausgesprochen.
In späteren vergleichbaren Verfahren, konstatieren die Ausstellungsautoren, ging die Justiz in beiden Teilen Deutschlands weniger konsequent mit dieser Schuld der Mörder um.
„Täter, Opfer, Zeugen. Die „Euthanasie“-Verbrechen und der Prozess in Dresden 1947“: bis 29. Januar 2023