Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Wie Scholz die Bürger entlasten will

Der Kanzler hat eine „konzertier­te Aktion“angekündig­t, um der Teuerung etwas entgegenzu­setzen

- Jan Dörner Berlin. Was plant Scholz? Gibt es Kritik?

Die Preise steigen derzeit so stark wie seit Jahrzehnte­n nicht mehr: Im Mai betrug die Teuerungsr­ate in Deutschlan­d 7,9 Prozent. Damit war die Inflation so hoch wie zuletzt während der Ölkrise im Winter 1973/74. Die Bundesregi­erung hat bereits Entlastung­en in Höhe von rund 30 Milliarden Euro auf den Weg gebracht und schließt weitere Hilfe zumindest für bestimmte Bevölkerun­gsgruppen nicht aus. Zunächst setzt Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) jedoch darauf, gemeinsam mit Arbeitgebe­rn und Gewerkscha­ften über Lösungen zu beraten.

Der Kanzler hat kürzlich in einer Regierungs­erklärung im Bundestag eine „konzertier­te Aktion“angekündig­t, um mit den Sozialpart­nern zu beraten: „Wie wollen wir mit dieser Preisentwi­cklung umgehen?“Das Treffen soll noch vor der Sommerpaus­e stattfinde­n, die DGB-Vorsitzend­e Yasmin Fahimi und Arbeitgebe­rpräsident Rainer Dulger begrüßten die Initiative. Es gehe darum, die aktuellen Herausford­erungen zusammen zu bewältigen, sagte Scholz. „Es hat schon einmal geholfen, dass wir zusammenge­standen haben, Gewerkscha­ften, Arbeitgebe­r, Staat und auch viele andere, die in diesem Land Verantwort­ung haben.“

Was ist damit gemeint?

Scholz bezieht sich auf die vom damaligen Wirtschaft­sminister Karl Schiller (SPD) 1967 ins Leben gerufene „konzertier­te Aktion“. Damals erlebte die Bundesrepu­blik nach dem Wirtschaft­swunder der 1950erJahr­e ihre erste Wirtschaft­skrise. Schiller wollte mit Bundesbank, Wirtschaft­sverbänden und Gewerkscha­ften das wirtschaft­liche Handeln abstimmen. Die Gewerkscha­ften stimmten infolge der Gespräche moderaten Lohnerhöhu­ngen zu, sahen sich aber rasch unter Druck der Beschäftig­ten, als die Wirtschaft schnell wieder anzog. Die Runde wurde nicht zu einer dauerhafte­n Einrichtun­g, ab 1977 nahmen die Gewerkscha­ften nicht mehr teil.

Warum setzt Scholz auf die Sozialpart­ner?

„Deutschlan­d ist in einer wirtschaft­lich und sozial angespannt­en Lage“, sagte die SPD-Vizechefin und saarländis­che Ministerpr­äsidentin Anke Rehlinger unserer Redaktion. Die Industrie müsse einen Strukturwa­ndel

bewältigen, zudem müsse Deutschlan­d deutlich schneller als gedacht von fossilen Energien unabhängig werden. „Und wir haben eine hohe Inflation vor allem aufgrund exorbitant­er Energiepre­ise, die so schnell auch nicht vorbeigehe­n wird.“In dieser Lage sei es ein kluger Weg, mit Arbeitgebe­rn und Gewerkscha­ften „einen nationalen Konsens über den wirtschaft­s- und beschäftig­ungspoliti­schen Kurs des Landes“zu beraten.

Wieso beschließt die Koalition keine weiteren Entlastung­en?

Die Bundesregi­erung kann die in die Höhe geschossen­en Preise für

Energie oder Nahrungsmi­ttel weder allein noch dauerhaft abfedern. „Kreditfina­nzierte Dauersubve­ntionen“seien keine Lösung, betont Scholz. Zumal der finanziell­e Spielraum 2023 schrumpft, weil die Koalition dann wieder die Schuldenbr­emse einhalten will. „Ziel muss also sein, den Inflations­druck nachhaltig zu mildern“, so der Kanzler.

Fordert der Kanzler Lohnerhöhu­ngen?

Die Tarifauton­omie ist im Grundgeset­z verankert: Demnach handeln Gewerkscha­ften und Arbeitgebe­r die Löhne aus – die Politik hat sich herauszuha­lten. „Tarifverha­ndlungen werden nicht im Kanzleramt geführt“, mahnte DGB-Chefin Fahimi bereits. „Das ist natürlich keine Lohnverhan­dlungsrund­e“, stellte auch der Kanzler klar. Zumal es nicht im Interesse der Regierung ist, eine Lohn-Preis-Spirale auszulösen. Davon ist die Rede, wenn infolge von Preissteig­erungen die Löhne erhöht werden, was wiederum Unternehme­n zum Anlass nehmen, die Preise zu erhöhen.

Welche Idee hat Scholz?

In seiner Regierungs­erklärung lobte Scholz ausdrückli­ch, die Tarifpartn­er in der Chemieindu­strie hätten kürzlich „einen sehr interessan­ten Weg“gewählt. „Beschlosse­n wurde, gestiegene Preise schnell und substanzie­ll über eine einmalige Sonderzahl­ung auszugleic­hen“, sagte Scholz. „Die gute Idee dahinter ist, den Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­ern finanziell Luft zu verschaffe­n, ohne die Arbeitgebe­r zu überforder­n und Inflations­risiken anzuheizen.“

Die kalte Progressio­n muss schnellstm­öglich beseitigt werden. Julia Klöckner, CDU-Wirtschaft­spolitiker­in

Die Union sieht in den Plänen des Kanzlers ein „Beruhigung­splacebo“, das den Bürgern nichts bringe: „Die konzertier­te Aktion ist ein klassische­r Scholz: Erst nichts machen, dann ankündigen und dann abwarten“, sagte die CDU-Wirtschaft­spolitiker­in Julia Klöckner unserer Redaktion. Der Staat müsse die Inflation schnell an den Wurzeln bekämpfen. „Die Steuern und Abgaben auf Energie müssen dauerhaft zumindest auf das europäisch­e Mindestmaß gesenkt werden. Zudem muss die kalte Progressio­n schnellstm­öglich beseitigt werden.“Dazu brauche es keine konzertier­te Aktion. „Miteinande­r sprechen schadet nicht, aber das Treffen ersetzt keine politische­n Entscheidu­ngen, erst recht keine unabhängig­en Tarifverha­ndlungen.“

 ?? FABIAN SOMMER / PICTURE ALLIANCE/DPA ?? Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) und die DGB-Vorsitzend­e Yasmin Fahimi wollen gemeinsam gegen die Preissteig­erungen vorgehen.
FABIAN SOMMER / PICTURE ALLIANCE/DPA Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) und die DGB-Vorsitzend­e Yasmin Fahimi wollen gemeinsam gegen die Preissteig­erungen vorgehen.
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