Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
MRNA – die Hoffnung im Kampf gegen Krebs
Biontech meldet ersten Erfolg bei der Behandlung von Tumoren der Bauchspeicheldrüse. Weitere Studien laufen
Die Corona-Pandemie hat der mRNA-Technologie in der Medizin zum Durchbruch verholfen. Die erfolgreiche Entwicklung eines Corona-Vakzins spülte schlagartig an die Öffentlichkeit, was seit Jahrzehnten vorangetrieben wurde. „Die Technologie hat ein Riesenpotenzial“, sagt Ugur Sahin, Mitbegründer und Chef des Mainzer Unternehmens Biontech, das den Corona-Impfstoff Comirnaty entwickelt hat. Der ursprüngliche Antrieb für Forschung und Entwicklung dieser Technologie war der Kampf gegen den Krebs. Und hier meldet Biontech jetzt erste zaghafte Erfolge bei der Behandlung einer der bisher tödlichsten Tumorarten: Bauchspeicheldrüsenkrebs.
Die mRNA-Therapie, die nach der operativen Entfernung des Tumors und zusätzlich zur Chemotherapie eingesetzt wurde, habe die Rückfallquote bei acht von 16 Patienten einer sogenannten Phase-1-Studie innerhalb von 18 Monaten deutlich reduziert, teilt Biontech mit. „Da nur weniger als fünf Prozent der Patientinnen und Patienten auf die derzeitigen Behandlungsmöglichkeiten ansprechen, ist Bauchspeicheldrüsenkrebs eine der Krebsarten mit dem höchsten medizinischen Bedarf“, sagt Özlem Türeci, neben ihrem Mann Ugur Sahin Mitbegründerin und Chefin von Biontech. Etwa 90 Prozent aller Patientinnen und Patienten sterben innerhalb von zwei Jahren, nachdem der Tumor festgestellt wurde. Auch nach einer Operation samt anschließender Chemotherapie haben nur 20 Prozent der so behandelten Patienten statistisch betrachtet eine weitere Lebenserwartung von mehr als fünf Jahren.
„Wir stellen uns dieser Herausforderung, indem wir unsere langjährige Forschung im Bereich der Krebsimpfungen nutzen und neue Wege für die Therapie dieser schwer zu behandelnden Tumore beschreiten wollen“, sagt Türeci weiter. Die frühen Ergebnisse der Phase-1-Studie, die jetzt bei der Jahrestagung der American Society of Clinical Oncology vorgestellt worden sind, seien ermutigend: „Wir freuen uns darauf, die Ergebnisse in einer größeren randomisierten Studie weiter zu untersuchen.“
In der Phase-1-Studie mit 19 Patientinnen und Patienten, von denen 16 die mRNA-Therapie erhalten hatten, wurden Sicherheit und Verträglichkeit des Wirkstoffes untersucht. „Sie bestätigte die technische Umsetzbarkeit des Ansatzes, bei dem für jeden einzelnen Patienten Tumorprofile erstellt werden, die als Grundlage für die Entwicklung eines individualisierten mRNAImpfstoffs dienen“, erklärt der leitende Studienarzt, Vinod Balachandran.
Immunsystem soll mutierte Zellen bekämpfen
mRNA steht für messenger-Ribonukleinsäure, auch Boten-RNA genannt. Der Körper selbst nutzt diese, um die in Genen gespeicherten Informationen in chemische Prozesse zu übersetzen. Diesem Konzept folgen auch die neuartigen Impfstoffe. Mit ihnen werden Teile der Erbinformation in die menschliche Zelle geschleust. Dort regen sie die Produktion eines Erregerbestandteils an, worauf das Immunsystem reagiert. Weltbekannt wurde die Technologie bei der erfolgreichen Entwicklung von Impfstoffen gegen Sars-CoV-2.
Ganz ähnlich funktioniert die Reaktion des Immunsystems gegen
Krebszellen. Diese unterscheiden sich von normalen Zellen durch ihre Veränderungen (Mutationen) an der Oberfläche. Das Ziel von mRNAImpfungen gegen Krebs ist es, das Immunsystem dazu zu bringen, Krebszellen zu erkennen und zu bekämpfen. Vor allem bei Tumoren der Bauchspeicheldrüse, die nur wenig mutieren, habe der Organismus Probleme damit, dies selbstständig zu erreichen, sagt Vinod Balachandran.
Laut Unternehmensangaben haben acht der 16 Probanden im Anschluss an die mRNA-Impfung Antikörper gegen ihre Tumorzellen entwickelt. Sie seien zudem eine „signifikant längere Zeit“ohne Rückfall geblieben als jene Patienten, die keine Antikörper entwickelt haben, heißt es in der Mitteilung weiter. Nur bei einem der 16 Patienten seien Nebenwirkungen dritten Grades mit impfstoffbedingtem Fieber und Bluthochdruck aufgetreten. Andere schwerwiegende Nebenwirkungen seien nicht beobachtet worden. Balachandran: „Unsere bisherige Forschung und die Studie zeigen, dass das Immunsystem Antigene von Krebszellen erkennen kann, und dass wir mRNA nutzen können, um T-Zellen auf diese Antigene zu trainieren.“
„Man kann mit mRNA einen Impfstoff präzise für einen bestimmten Tumor maßschneidern, ihn individualisiert und schnell herstellen und einem Patienten als Behandlung verfügbar machen. Das ist mit den etablierten Technologien nicht möglich“, sagte Biontech-Chef Ugur Sahin, selbst Krebsmediziner, im
Frühjahr.
Die jetzt beschriebene Studie mit Bauchspeicheldrüsen-Patienten ist dabei nicht die einzige wissenschaftliche Anwendung. Derzeit prüfen dutzende Studien den Nutzen des Ansatzes gegen verschiedene Tumore
– von schwarzem Hautkrebs über Lungen-, Prostata- und Brustkrebs. Weil solche Prüfungen sehr langwierig sind, liegt eine zugelassene mRNA-Therapie gegen Krebs aber noch in der Ferne. „Diese Entwicklung geht gerade erst los“, sagt Dirk