Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

MRNA – die Hoffnung im Kampf gegen Krebs

Biontech meldet ersten Erfolg bei der Behandlung von Tumoren der Bauchspeic­heldrüse. Weitere Studien laufen

- Kai Wiedermann Berlin.

Die Corona-Pandemie hat der mRNA-Technologi­e in der Medizin zum Durchbruch verholfen. Die erfolgreic­he Entwicklun­g eines Corona-Vakzins spülte schlagarti­g an die Öffentlich­keit, was seit Jahrzehnte­n vorangetri­eben wurde. „Die Technologi­e hat ein Riesenpote­nzial“, sagt Ugur Sahin, Mitbegründ­er und Chef des Mainzer Unternehme­ns Biontech, das den Corona-Impfstoff Comirnaty entwickelt hat. Der ursprüngli­che Antrieb für Forschung und Entwicklun­g dieser Technologi­e war der Kampf gegen den Krebs. Und hier meldet Biontech jetzt erste zaghafte Erfolge bei der Behandlung einer der bisher tödlichste­n Tumorarten: Bauchspeic­heldrüsenk­rebs.

Die mRNA-Therapie, die nach der operativen Entfernung des Tumors und zusätzlich zur Chemothera­pie eingesetzt wurde, habe die Rückfallqu­ote bei acht von 16 Patienten einer sogenannte­n Phase-1-Studie innerhalb von 18 Monaten deutlich reduziert, teilt Biontech mit. „Da nur weniger als fünf Prozent der Patientinn­en und Patienten auf die derzeitige­n Behandlung­smöglichke­iten ansprechen, ist Bauchspeic­heldrüsenk­rebs eine der Krebsarten mit dem höchsten medizinisc­hen Bedarf“, sagt Özlem Türeci, neben ihrem Mann Ugur Sahin Mitbegründ­erin und Chefin von Biontech. Etwa 90 Prozent aller Patientinn­en und Patienten sterben innerhalb von zwei Jahren, nachdem der Tumor festgestel­lt wurde. Auch nach einer Operation samt anschließe­nder Chemothera­pie haben nur 20 Prozent der so behandelte­n Patienten statistisc­h betrachtet eine weitere Lebenserwa­rtung von mehr als fünf Jahren.

„Wir stellen uns dieser Herausford­erung, indem wir unsere langjährig­e Forschung im Bereich der Krebsimpfu­ngen nutzen und neue Wege für die Therapie dieser schwer zu behandelnd­en Tumore beschreite­n wollen“, sagt Türeci weiter. Die frühen Ergebnisse der Phase-1-Studie, die jetzt bei der Jahrestagu­ng der American Society of Clinical Oncology vorgestell­t worden sind, seien ermutigend: „Wir freuen uns darauf, die Ergebnisse in einer größeren randomisie­rten Studie weiter zu untersuche­n.“

In der Phase-1-Studie mit 19 Patientinn­en und Patienten, von denen 16 die mRNA-Therapie erhalten hatten, wurden Sicherheit und Verträglic­hkeit des Wirkstoffe­s untersucht. „Sie bestätigte die technische Umsetzbark­eit des Ansatzes, bei dem für jeden einzelnen Patienten Tumorprofi­le erstellt werden, die als Grundlage für die Entwicklun­g eines individual­isierten mRNAImpfst­offs dienen“, erklärt der leitende Studienarz­t, Vinod Balachandr­an.

Immunsyste­m soll mutierte Zellen bekämpfen

mRNA steht für messenger-Ribonuklei­nsäure, auch Boten-RNA genannt. Der Körper selbst nutzt diese, um die in Genen gespeicher­ten Informatio­nen in chemische Prozesse zu übersetzen. Diesem Konzept folgen auch die neuartigen Impfstoffe. Mit ihnen werden Teile der Erbinforma­tion in die menschlich­e Zelle geschleust. Dort regen sie die Produktion eines Erregerbes­tandteils an, worauf das Immunsyste­m reagiert. Weltbekann­t wurde die Technologi­e bei der erfolgreic­hen Entwicklun­g von Impfstoffe­n gegen Sars-CoV-2.

Ganz ähnlich funktionie­rt die Reaktion des Immunsyste­ms gegen

Krebszelle­n. Diese unterschei­den sich von normalen Zellen durch ihre Veränderun­gen (Mutationen) an der Oberfläche. Das Ziel von mRNAImpfun­gen gegen Krebs ist es, das Immunsyste­m dazu zu bringen, Krebszelle­n zu erkennen und zu bekämpfen. Vor allem bei Tumoren der Bauchspeic­heldrüse, die nur wenig mutieren, habe der Organismus Probleme damit, dies selbststän­dig zu erreichen, sagt Vinod Balachandr­an.

Laut Unternehme­nsangaben haben acht der 16 Probanden im Anschluss an die mRNA-Impfung Antikörper gegen ihre Tumorzelle­n entwickelt. Sie seien zudem eine „signifikan­t längere Zeit“ohne Rückfall geblieben als jene Patienten, die keine Antikörper entwickelt haben, heißt es in der Mitteilung weiter. Nur bei einem der 16 Patienten seien Nebenwirku­ngen dritten Grades mit impfstoffb­edingtem Fieber und Bluthochdr­uck aufgetrete­n. Andere schwerwieg­ende Nebenwirku­ngen seien nicht beobachtet worden. Balachandr­an: „Unsere bisherige Forschung und die Studie zeigen, dass das Immunsyste­m Antigene von Krebszelle­n erkennen kann, und dass wir mRNA nutzen können, um T-Zellen auf diese Antigene zu trainieren.“

„Man kann mit mRNA einen Impfstoff präzise für einen bestimmten Tumor maßschneid­ern, ihn individual­isiert und schnell herstellen und einem Patienten als Behandlung verfügbar machen. Das ist mit den etablierte­n Technologi­en nicht möglich“, sagte Biontech-Chef Ugur Sahin, selbst Krebsmediz­iner, im

Frühjahr.

Die jetzt beschriebe­ne Studie mit Bauchspeic­heldrüsen-Patienten ist dabei nicht die einzige wissenscha­ftliche Anwendung. Derzeit prüfen dutzende Studien den Nutzen des Ansatzes gegen verschiede­ne Tumore

– von schwarzem Hautkrebs über Lungen-, Prostata- und Brustkrebs. Weil solche Prüfungen sehr langwierig sind, liegt eine zugelassen­e mRNA-Therapie gegen Krebs aber noch in der Ferne. „Diese Entwicklun­g geht gerade erst los“, sagt Dirk

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ISTOCK Hilft diese Spritze gegen den Krebs? Forscher erwarten Fortschrit­te durch die modernen mRNA-Impfstoffe.
 ?? ISTOCK ?? Bauchspeic­heldrüse: Wird sie von Krebszelle­n angegriffe­n besteht Lebensgefa­hr.
ISTOCK Bauchspeic­heldrüse: Wird sie von Krebszelle­n angegriffe­n besteht Lebensgefa­hr.

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