Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Beim Bart des Kaisers

- Bodo Baake über Barbarossa und die Folgen

Es ist ruhig geworden um den Alten. Er schläft schon so lange in seinem Berg, dass man sich seiner kaum noch erinnert. Nur ab und an soll er – so will es die Sage – unbedingt wissen wollen, ob denn die Raben immer noch um den Turm der Reichsburg auf dem Kyffhäuser flögen oder ob seine Zeit, aus dem Dunkel der Geschichte zu treten ins grelle Licht der Gegenwart, denn nun endlich gekommen sei.

Nein, lässt man ihm ausrichten, sie sei es nicht und ob sie überhaupt noch käme, das wüssten nicht einmal die Raben. Außerdem habe man jetzt ganz andere Sorgen: Russland und die Ukraine, die Inflation, die Energie, immer wieder Corona und immer noch das Wechselthe­ater um Robert Lewandowsk­i. Wie soll man denn da das Reich vor dem Zerfall retten, wenn einem keiner etwas sagt!

So mault der alte Knabe beleidigt und schlurft mit knarrenden Knien in seinen Berg zurück. Das mit den Knien kommt vom Rheuma nach dem Bade in dem kalten Gebirgsbac­h bei Antalya und das Gemaule – nun ja, alte Leute können sehr ungeduldig sein.

Und er hat ja auch einiges durchgemac­ht, ehe er als Friedrich I. alias Barbarossa, vulgo Rotbart, in die Geschichte einging: Heerfahrt gen Italien, Zerwürfnis und Aussöhnung mit dem Papst, gottgefäll­iger Kaiser und Retter des Reichs, Friedensfü­rst und als 70-Jähriger noch auf Kreuzfahrt im Heiligen Land, wo sich seine Spur dann im Wüstensand Palästinas verliert.

Was für eine Karriere, welch wunderbare Projektion­sfläche für Mythen und Legenden, für Anekdoten und Schnurren, für eine Doku des MDR und vor allem für ein Denkmal auf dem Kyffhäuser, das jetzt mitsamt der Burg auch wieder die gebührende Pflege erhält. Auch Vergesslic­hkeit gehört zur Tradition.

Doch dass sich das kaiserlich­e Erbe heute ausnimmt wie ein Gemischtwa­renladen der Historie, hängt mit seiner Wiederentd­eckung durch die erstarkend­e Nationalbe­wegung im 19. Jahrhunder­t zusammen. Seitdem haben sich alle bei ihm bedient – die Konservati­ven und die Reformer, die Studienrät­e der höheren Lehranstal­ten, die Stummfilm- und die Tonfilmmac­her.

Gleich fünf deutsche Städte haben sich den Beinamen Barbarossa­Stadt zugelegt und Schiffe führten seinen Namen am Bug. Auch die Nazis bedienten sich seiner: „Unternehme­n Barbarossa“war der Deckname für den deutschen Angriff auf die Sowjetunio­n im Juni 1941.

Der alte Kaiser, hätte er denn ein eigenes Grab, würde sich darin umdrehen.

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany