Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Schwere Schlappe für Macron
Parlamentswahl in Frankreich: Bündnis des Präsidenten verfehlt die absolute Mehrheit
Es ist ein Beinahe-Debakel. Laut Hochrechnungen haben die Partei von Staatspräsident Emmanuel Macron und ihre Verbündeten bei den französischen Parlamentswahlen am Wochenende eine absolute Mehrheit von 289 der 577 Sitze weit verfehlt. Mit 230 bis 250 Mandaten werden sie in der neuen Nationalversammlung über 100 Abgeordnete weniger sein als zuvor.
Verfehlt hat diese absolute Mehrheit jedoch auch die von dem linksradikalen Volkstribun Jean-Luc Mélenchon gegründete Linksfront Nupes. Mit 165 bis 175 Abgeordneten wird sie die zweitstärkste Fraktion stellen vor dem rechtsextremen Rassemblement National, welches mit 80 bis 85 Sitzen – gut zehn Mal so viel wie bisher – einen Überraschungserfolg einfuhr und sogar die konservativen Republikaner (62 bis 78 Abgeordnete) überflügelte.
Mit einer relativen Regierungsmehrheit hat sich vor Macron in der Geschichte der Fünften Republik allein der Sozialist François Mitterrand nach seiner Wiederwahl im Jahr 1988 abfinden müssen. Sie bedeutet, dass der Präsident nicht mehr einfach durchregieren kann, sondern entweder einen Koalitionspartner finden oder bei jedem Gesetzvorhaben eine große Kompromissbereitschaft an den Tag legen muss, um in den Reihen der Opposition wechselnde Verbündete zu finden. Nach französischer Auffassung aber gilt ein Präsident mit relativer Parlamentsmehrheit als beschädigt und die innenpolitischen Verhältnisse als instabil.
Als „mauselochgroß“hatte Mélenchon selber die Chance bezeichnet, am Ende doch noch eine absolute Marine Le Pen vom rechten Rassemblement National. Die Partei bildet wohl eine eigene Fraktion. Mehrheit für die von ihm erst im Mai aus der Taufe gehobenen Linksfront zu erringen. Da diese ihr Wählerpotenzial bei der ersten, von einer über 53-prozentigen Enthaltungsquote geprägten Wahl vor einer Woche bereits weitestgehend ausgeschöpft hatte, wäre das Ziel nur dann erreichbar gewesen, wenn diesmal deutlich mehr Bürger abgestimmt hätten.
Ex-Trotzkist vereint zuvor völlig zersplitterte Linke
Ein Grund für Mélenchon und seine Mitstreiter, zuletzt insbesondere die Jungwähler von 18 bis 24 Jahren zu umwerben, die zwar zu einem Linksvotum neigen, aber zu 70 Prozent den Wahlbüros ferngeblieben waren. Die sogar noch einmal um einen Prozentpunkt angestiegene Enthaltungsquote jedoch belegt, dass diese Bemühungen nicht gefruchtet haben.
Dennoch ist dem wortgewaltigen Ex-Trotzkisten gelungen, was noch vor Monatsfrist als undenkbar galt. Er hat die zuvor völlig zersplitterte Linke zumindest vorerst hinter seinem Banner vereint und – dies vor allem – sie auf Anhieb als stärkste Oppositionspartei in der neuen Nationalversammlung etabliert. Allerdings wird Mélenchon nicht als deren Wortführer im Parlament auftreten können, da er darauf verzichtete, sein eigenes Abgeordnetenmandat zu verteidigen. Ein Umstand, der durchaus das Ende der langen politischen Karriere des 70Jährigen einläuten könnte.
Trotzdem ist es Macron, der als der große Verlierer dieser Wahl dasteht. Auch wenn er der Rechtsextremen Marine Le Pen bei den Präsidentenwahlen
im April eine herbe Niederlage beibrachte und nun der Griff des linksradikalen Mélenchon nach der Regierungsmehrheit scheiterte, so bleibt das Resultat der Parlamentswahlen für ihn eine Kalamität. Weil seine Mitte-Partei erheblich Federn lassen musste natürlich, aber eben auch, weil Rechtswie Linksextreme in den ersten fünf Jahren seiner Amtsführung weiter zugelegt haben.
Letzte Woche ergab eine Umfrage, dass 70 Prozent der Franzosen ihrem Staatsoberhaupt keine absolute Parlamentsmehrheit wünschten. Ein solcher starker Vorbehalt gegen den wiedergewählten Präsidenten ist kein gutes Omen für die nächsten fünf Jahre. Dass laut der gleichen Umfrage auch 68 Prozent der Franzosen Mélenchon nicht als Premier sehen wollten, kann kaum als Trost dienen. Macron nämlich hat nun schwarz auf weiß, dass ihm seine Landsleute nur deswegen ein zweites Mandat zubilligten, weil sie es keinem Rivalen oder keiner Rivalin zutrauten, es besser zu machen. Es bleibt die Kritik an Macrons Stil und an seinem Kurs, den viele Franzosen als zu wenig sozial und zu wenig ökologisch empfinden. Sie haben sich eine Einschränkung seiner Machtfülle gewünscht und entsprechend gewählt.
Das Votum richtet sich gegen Macrons liberale Reformen. Entsprechend schwierig dürften die Zeiten sein, die dem Präsidenten nun ins Haus stehen. Vor allem der Widerstand gegen sein umstrittenes und von einer Mehrheit der Franzosen abgelehntes Vorhaben, das Rentenalter von 62 auf 64 oder 65 Jahre zu erhöhen, droht erheblich zu sein und sich weniger im Parlament als auf der Straße auszudrücken.