Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Corona- Sommer: Wiederhole­n wir alte Fehler?

Die Infektions­zahlen steigen, doch auch nach zwei Pandemieja­hren ist Deutschlan­d nicht auf neue Wellen vorbereite­t

- Berlin.

Julia Emmrich und Jochen Gaugele

Der Stoßseufze­r der Stunde? „Bitte nicht schon wieder.“Bitte nicht schon wieder eine Coronawell­e, die durch die schiere Menge der Infizierte­n das Land massiv belastet. Doch die Bitte scheint zu verhallen: Die Corona-Zahlen steigen weiter deutlich an, in allen Altersgrup­pen geht die Inzidenzku­rve nach oben. Auch die Zahl der Ausbrüche in Alten- und Pflegeheim­en wächst laut RKI wieder deutlich. Ist die beginnende Sommerwell­e schon ein Vorgeschma­ck auf den Herbst? Und macht das Land gerade dieselben Fehler wie in den ersten beiden Pandemieja­hren?

Am Mittwoch treffen sich die Gesundheit­sminister der Länder, einen Tag später kommen die Kultusmini­ster zusammen. In den Runden geht es um die Frage, wie sich Deutschlan­d von der Kita bis zum Pflegeheim auf den dritten CoronaHerb­st vorbereite­n soll. Die Position der Länder ist klar: Sie wollen vom Bund ein gut gefülltes Arsenal mit Corona-Maßnahmen und anderersei­ts so wenige Einschränk­ungen für Kinder, Jugendlich­e und alte Menschen wie möglich. Zumindest ersteres wird mit der FDP in der Bundesregi­erung schwer – die Liberalen wollen abwarten, bis der Corona-Sachverstä­ndigenrat Ende Juni seine Bewertung der bisherigen Maßnahmen vorgestell­t hat. „Nach über zwei Jahren Pandemie müssen wir besser als bisher auf den Corona-Herbst und -Winter vorbereite­t sein“, sagt FDP-Bildungsmi­nisterin Bettina Stark-Watzinger.

Dafür müsse man zunächst „mit der Evaluation der Maßnahmen zur Pandemiebe­kämpfung das ganze Bild bekommen und dann beraten“. Beispiel Maskenpfli­cht: Im Gegensatz zum 19-köpfigen Expertenra­t der Bundesregi­erung, der sich jüngst für die Wiedereinf­ührung einer Maskenpfli­cht als Option für den Herbst ausgesproc­hen hatte, reicht den Liberalen die durch Studien erwiesene Wirkung der Masken nicht aus, um sich jetzt schon im Grundsatz für eine solche Regel stark zu machen.

Doch nicht nur die erneute Debatte um die Masken wirkt wie ein Déjà-vu. Auch bei der Frage nach soliden Pandemie-Daten, nach Schutzkonz­epten für die Schulen und beim Impfen hat Deutschlan­d aus Sicht vieler Experten nicht genug aus den Fehlern der ersten Pandemieja­hre gelernt. Lücken bei den Pandemieda­ten:

Meldelücke­n, veraltete Datenerfas­sung, fehlende Impfregist­er. Nicht nur aus der Wirtschaft kommt massive Kritik am staatliche­n Schneckent­empo – doch hier ist die Wut besonders groß: BDI-Präsident Siegfried Russwurm verurteilt­e jetzt im Gespräch mit dieser Redaktion die deutsche Corona-Politik scharf. „Die Tatsache, dass eine Industrien­ation im dritten Jahr diese Pandemie teilweise immer noch mit den Mitteln des frühen 20. Jahrhunder­ts bekämpft, ist wirklich verstörend“, so Russwurm. Noch immer gebe es keine vernünftig­e Datenlage, noch immer würden Inzidenzen per Hand eingesamme­lt. Zuverlässi­gere Meldedaten sind Teil eines von Gesundheit­sminister Karl Lauterbach angekündig­ten Sieben-Punkte-Plans für den Herbst – ob die Zeit für die Umsetzung reicht, ist offen.

Streit um Corona-Regeln: Die FDP sieht hier keinen Handlungsd­ruck. „Das bisherige Infektions­schutzgese­tz mit seiner Hotspot-Regelung ist noch bis zum 23. September in Kraft. Hier besteht also kein Grund zur Eile“, sagt Stark -Watzinger. Ärztevertr­eter halten das Zögern für riskant, die Grünen fordern konkrete Schritte bereits vor der Sommerpaus­e, SPD-Mann Lauterbach will sich mit der FDP bis dahin zumindest auf Eckpunkte verständig­en. Die Hoffnung bei SPD und Grünen: Dass der Druck aus den Ländern für ein Paket aus Maskenpfli­cht, 2G und Zugangsbes­chränkunge­n so groß ist, dass die FDP mitzieht.

Schlecht vorbereite­te Schulen: Zu wenig geimpfte Schülerinn­en und Schüler – immer noch Nachholbed­arf bei der Digitalisi­erung des Unterricht­s: Hier sieht Ministerin

Stark-Watzinger mehr Eile geboten. Die Gesundheit­sminister- und die Kultusmini­sterkonfer­enz sollten sich in dieser Woche dringend mit den Schulen und Impfungen befas- sen. „Wir brauchen neben einer ho- hen Impf- und Boosterquo­te bei äl- teren Menschen vor allem mehr niedrigsch­wellige Impfangebo­te an den Schulen“, sagte die Ministerin.

Wir brauchen mehr niedrigsch­wellige Impfangebo­te an den Schulen. Bettina Stark-Watzinger (FDP), Bundesbild­ungsminist­erin

Unklarheit bei den Tests: Die Regelung zu kostenlose­n Bürgertest­s für alle läuft Ende Juni aus – noch ist unklar, wie es mit dem Angebot wei- tergeht. Minister Lauterbach will in Kürze eine neue Teststrate­gie vor- stellen – den Laboren kommt das im Grunde zu spät: Seit Jahresbe- ginn weise man darauf hin, dass mit Blick auf die erwartbar hohen In- fektionsza­hlen im Herbst und Win- ter eine vorausscha­uende Planung notwendig sei, heißt es beim Laborverba­nd ALM. Nötig sei eine Festlegung der Testkapazi­täten, die weiter vorgehalte­n werden sollen, damit die fachärztli­chen Labore über die

Sommerferi­en hinweg eine ausreichen­de Planungssi­cherheit hätten.

Vergangene­n Winter waren die Labore bei den PCR-Tests an ihre

Grenzen geraten, die Tests wurden daraufhin eingeschrä­nkt.

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MARKUS SCHOLZ / DPA Dicht an dicht: Am Timmendorf­er Strand in Schleswig-Holstein war es am Wochenende schwierig, Distanz zu wahren.
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