Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Pandemie überrollt ungeimpftes Nordkorea
In dem abgeschotteten Land haben sich binnen kürzester Zeit Millionen mit dem Coronavirus infiziert. Nur zögerlich geht das Regime auf Hilfsangebote ein
Im chinesischen Dadong möge man dieser Tage die Fenster schließen. Diese Empfehlung gab die Regierung der 2,2-Millionenstadt im Osten des Landes, nachdem Offizielle dort einen bösen Verdacht geschöpft haben. Dass nämlich trotz eines konsequenten Lockdowns seit April zuletzt die Corona-Infektionsfälle wieder unvermittelt stiegen, könne kein Zufall sein. Vermutlich seien die Viren mit dem Wind von der anderen Seite der Grenze gekommen, aus der nordkoreanischen Stadt Sinuiju.
Was Virologen als unwissenschaftlich bezeichnen, da sich das
Coronavirus kaum über längere Distanzen durch die Luft transportieren lässt, ist in der chinesischen Grenzregion zu Nordkorea dieser Tage offizielle Politik. Und um der Null-Covid-Strategie der Zentralregierung in Peking zu folgen, schließt man lieber Fenster und Türen, schottet sich also noch deutlicher vom sozialen Leben ab als zuvor schon. Schließlich weiß man so viel: Im Nachbarland grassiert Covid-19.
Nachdem der isolierte Ein-Parteien-Staat Nordkorea offiziell mehr als zwei Jahre ohne Infektionsfall durch die Pandemie kam, vermeldete die Regierung am 12. Mai die ersten Erkrankungen. Auch weil es im
Land an Testkapazitäten mangelt, wird zwar vor allem von Fiebersymptomen gesprochen, wenn Verdacht auf Covid-19 besteht. Davon aber zählen die Behörden mittlerweile mehr als 4,5 Millionen Fälle. Bei einer Bevölkerung von 26 Millionen ist das Wachstum im vorigen Monat also äußerst rasant gewesen.
Im wie Nordkorea kommunistisch regierten China sorgt dies für Nervosität. Mit Beginn der Pandemie hatte Nordkorea seine Grenzen zu China und Russland geschlossen, um sich vor dem Virus, dessen erste Fälle in China festgestellt worden waren, zu schützen. Da die strikte Grenzschließung aber auch die ohnehin schon schwierige nordkoreanische Versorgungssituation noch deutlich komplizierter machte, findet mittlerweile wieder Güterverkehr zwischen den zwei Staaten statt. Auf diese Weise wurde womöglich das Virus in Nordkorea eingeschleppt.
Die zwei Ein-Parteien-Staaten sind offiziell befreundet. China hält sich mit Kritik an Nordkorea in der Regel zurück. Während diverse Staaten etwa die häufigen Raketentests aus Pjöngjang verurteilen, bleibt es in Peking hierzu meist still. Sollte Nordkorea nun aber – wenn auch ungewollt – Chinas Zero-Covid-Strategie torpedieren und so in China weitere bei den Menschen höchst unbeliebte Lockdowns provozieren, könnte die Toleranz abnehmen. Nordkorea wiederum kann das nicht gefallen, denn von Chinas Wohlwollen ist man abhängig. Andere Freunde hat das Regime in Pjöngjang nicht.
Im nordkoreanischen Regierungszirkel liegen die Nerven seit Wochen blank. Kurz nachdem die ersten Infektions- und Todesfälle offiziell verkündet wurden, teilte Machthaber Kim Jong-un gegen seine Beamten aus. Über die Staatsmedien ließ er die Öffentlichkeit wissen, seine Mitarbeiter seien schuld am Ausbruch, die Verantwortlichen „verstehen die gegenwärtige Krise nicht.“Zugleich kündigte Kim schnell an, mit aller Kraft gegen weitere Infektionen zu arbeiten.
Einen Monat später sind laut offiziellen Angaben mehr als 11.000 Quarantänezentren eingerichtet. Laut der internationalen Impfallianz Gavi hat Nordkorea ein Angebot für Impfstoffe aus China angenommen und begonnen, Dosen zu verabreichen. Details blieben unklar. Für Nordkoreas Regierung dürfte das Thema Impfung ein schwieriges sein. Auf Angebote aus den USA, Südkorea und der internationalen Gemeinschaft, Impfstoffe bereitzustellen, ging das Regime nicht ein. Ein Grund könnte sein, dass es im Land an Kühlkapazitäten für Impfstoffe und geschultes Personal mangelt.