Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Habeck ruft Alarmstufe aus
Wirtschaftsminister reagiert auf weitere Kürzungen russischer Gaslieferungen
Seit Donnerstag gilt Alarmstufe 2 des Notfallplans Gas in Deutschland. Noch sei ausreichend Gas vorhanden, erklärt Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Aber die gelieferte Menge reiche kaum noch, die Speicher für den Winter zu füllen. Hinzu komme, dass ab dem 11. Juli die GasPipeline „Nord-Stream 1“gewartet werde. Üblicherweise falle dann für etwa zwei Wochen die Gas-Lieferung aus. Ob danach wieder Gas komme, sei derzeit ungewiss.
Das Ausrufen der Alarmstufe 2 weise darauf hin, „dass eine Gasmangellage im Winter wahrscheinlicher geworden ist“, erklärt Thüringens Umwelt- und Energieministerin Anja Siegesmund (Grüne). Gaseinsparungen seien jetzt das A und O, um die Speicher zu füllen. Die Versorgungssicherheit sei gewährleistet, die Lage aber ernst.
Unternehmen und Energieversorger in Thüringen bereiten sich bereits seit Wochen auf den Ernstfall, das Ausbleiben der vertraglich vereinbarten russischen Gaslieferungen, vor. Dazu gehöre das Erarbeiten und Vorbereiten von Abschaltprozeduren, wenn das notwendig werden sollte, ist von Energieversorgern zu hören. Aber auch das Ansprechen der Gaskunden, um weitere Möglichkeiten für Einsparungen zu erarbeiten und umzusetzen. Habeck spricht von einer nationalen Kraftanstrengung.
„Aber wir können sie in Solidarität miteinander bewältigen.“Es seien die Versäumnisse des vergangenen Jahrzehnts, „die uns jetzt in diese Bedrängnis geführt haben“.
Die AfD-Landtagfraktion wirft der Bundesregierung dagegen „Versagen bei der Sicherung der Gasversorgung vor“und kritisiert die Sanktionen. Der russische Angriffskrieg als Anlass der Maßnahmen und Auslöser der Gaskrise wird nicht erwähnt. Stattdessen fordert die AfD von der Bundesregierung, auf diplomatischem Weg russische Gaslieferungen sicherzustellen.
erklärt nun, warum er sich nicht sofort an die Öffentlichkeit wandte. Im Hintergrund ließ er sein Haus die verschiedenen Szenarien – von reduzierten Liefermengen bis hin zum vollständigen Gasembargo – durchrechnen. „Das ist kein Spiel“, sagt Habeck mit ernster Stimme. „Wir müssen jetzt Vorsorge für den Winter treffen.“
Aktuell kommt noch so viel Gas in Deutschland an, dass die Netzbetreiber die unterirdischen Speicher weiter füllen können. Aktuell sind diese zu rund 58 Prozent gefüllt. Das Ziel sind 90 Prozent zum Winterbeginn. Sollte dieses Ziel scheitern, droht Deutschland eine Rezession. „Das ist ein weiteres psychologisches Signal, das uns sagt: Es wird ernst“, kommentierte Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger gegenüber unserer Redaktion die ausgerufene Alarmstufe. Er appellierte an die Haushalte, Energie zu sparen. Die Potenziale in der Wirtschaft hält er allerdings für begrenzt. „Wir Unternehmen verschwenden keine Energie – das wäre bei dem Preisniveau auch schlichtweg Irrsinn“, sagte Dulger. Mit vollen Speichern dagegen könnte Deutschland seinen Bedarf für zwei bis drei Monate decken, hinzu kommen Lieferungen aus Norwegen, den Niederlanden sowie die geringe heimische Erdgasförderung und perspektivisch Importe von Flüssiggas (LNG) per Schiff.
Damit käme Deutschland eigentlich halbwegs gut durch den nächsten Winter. Doch so einfach ist diese zuletzt immer wieder angestellte Rechnung nicht, betont Habeck. Deutschland ist über das europäische Gasnetz mit den Nachbarländern verbunden. Die Deutschen Speicherkapazitäten – die größten in Europa – spielten wegen der zentralen Lage schon früher eine wichtige Rolle bei der Versorgungssicherheit.
Aber auf die Nachbarländer ist Deutschland in der Notlage angewiesen. Bislang hat Deutschland kein funktionierendes Terminal für Flüssiggasimporte per Schiff, womöglich ist das erste in Wilhelmshaven zum Winter startklar. Hier ist die Bundesrepublik vorerst etwa auf die Niederlande, Belgien und Polen angewiesen. Zudem fördern die Niederlande große Mengen Erdgas für den Export nach Deutschland.
Zur Sicherung der Energieversorgung im Winter ergreift Habeck wie angekündigt Maßnahmen, „die wirklich wehtun“– damit meint der Grünen-Politiker, der auch Klimaschutzminister ist, vor allem die Wiederinbetriebnahme von alten Kohlekraftwerken. Damit werde der Gasverbrauch bei der Stromproduktion deutlich gesenkt. Für die Industrie soll es ein Auktionsmodell für Gaseinsparungen geben. Und die Gemeinschaftsfirma der Gasnetzbetreiber, Trading Hub Europe (THE), wird mit 15 Milliarden Euro Steuergeld für den Gaseinkauf ausgestattet.
Habeck kündigt weitere Entlastungen für die Bürger an
Zudem sollen Privathaushalte vor dem Winter ihre Heizungsanlagen warten lassen. „Es macht Sinn, die Heizung vernünftig einstellen zu lassen“, sagt Habeck. Allein das könne den Gasverbrauch um 15 Prozent reduzieren. Claudia Kemfert, Energieexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), plädiert dafür, auch Verbrauchern Prämien zu zahlen, wenn sie Energie einsparen. Zudem dringt sie auf ein schnelles Ende von Gasheizungen: „Eine Abwrackprämie für alte Gasheizungen wäre ebenso sinnvoll wie ein Wärmepumpensofortprogramm“, sagte Kemfert unserer Redaktion.
Fest steht: Für Wirtschaft und Privathaushalte dürfte Gas noch teurer werden als jetzt. Viele Versorger haben bereits die Abschlagszahlungen erhöht. Nun drohen wegen der Knappheit weitere Preissteigerungen.
Das letzte Register beim Thema Preise hat die Bundesregierung jedoch noch nicht gezogen. Gesetzlich möglich ist es, dass die Energieunternehmen die gestiegenen Kosten direkt an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergeben – auch wenn ihre Verträge das wegen festen Preisvereinbarungen gar nicht vorsehen. Diesen Schritt will Habeck aber ausdrücklich nicht ausschließen. Er folgt, wenn aus der nun festgestellten „Störung“der Gasversorgung eine „strukturelle Störung“wird. Die Opposition warnt bereits vor diesem Schritt: „Die Preiserhöhungsklausel muss raus aus dem Gesetz“, sagte Sören Pellmann, Ostbeauftragter der Linken-Fraktion im Bundestag und Kandidat für den Linken-Parteivorsitz. Er sprach sich für einen Gaspreisdeckel aus.
Damit die Belastungen nicht zu Überlastungen führen, kündigte der Wirtschaftsminister weitere Entlastungen für Haushalte und Unternehmen an. Die Ausgestaltung erfolge in den kommenden Wochen. Der Hauptgeschäftsführer des Städteund Gemeindebundes, Gerd Landsberg, erwartet klare Signale – insbesondere für Menschen mit geringen und mittleren Einkommen. „Die aktuelle Krisensituation erfordert Einigkeit und beherztes Handeln“, sagte Landsberg unserer Redaktion. Man müsse den Menschen nun Mut machen, damit sie durch den Herbst und Winter kämen.